SPIEGEL ONLINE - 15. August 2005, 22:31
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Wahlkampfauftakt
 
Merkel warnt Ostdeutsche vor Protestwahl

Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel hat ihre Wahlkampftour im Osten mit einem eindringlichen Appell gestartet. Sie warnte die Wähler davor, ihre Stimmen der Linkspartei zu überlassen, fand dabei allerdings moderatere Töne als CSU-Chef Stoiber.

Wittenberg - "Wir werben darum, dass die Stimmen nicht in den Protest gehen, sondern dahin gehen, wo sie etwas bewegen können", sagte Merkel in Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Sie appellierte an die rund 2000 Zuhörer auf dem Marktplatz der Lutherstadt, sie sollten sich ganz genau überlegen, ob sie mit ihren Stimmen die Linkspartei-Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi unterstützen wollten, die sich schon einmal aus ihrer Verantwortung als Regierungsmitglieder gestohlen hätten.

"Wir wollen ein gemeinsames Land haben, und deshalb kultivieren wir nicht die Unterschiede." Merkels Rede wurde von lautstarken Pfiffen, Buhrufen und Sprechchören von rund 50 Demonstranten begleitet, die "Hau ab" und "Lüge" skandierten und auf Transparenten forderten: "Weg mit Hartz IV".

Merkel rief den Störern zu Beginn ihrer Rede mit Blick auf die Wiedervereinigung zu: "Der Unterschied zu vor 15 Jahren ist, dass Sie freiwillig hier auf diesen Platz kommen, dass Sie die ganze Zeit brüllen können." Als ihre Rede auch beim Thema Bildungspolitik von den Rasseln, Parolen und Trillerpfeifen der Demonstranten unterbrochen wurde, sagte sie: "Die, die da schreien, haben meist nichts mitgekriegt in der Schule. Die helfen uns auch nicht weiter."

Die CDU-Chefin warf der rot-grünen Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder vor, durch falsche Versprechungen die Wähler enttäuscht und Misstrauen gegen die Politiker gesät zu haben. "Versprochen, gebrochen - das hat die Menschen so missmutig gemacht." Ohne die heftig umstrittenen Äußerungen des CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber über die Ostdeutschen direkt anzusprechen, betonte die aus Ostdeutschland stammende Merkel unter verhaltenem Beifall der Zuhörer in ihrer mit Spannung erwarteten Wahlkampfrede: "Es wird ganz Deutschland nur gut gehen, wenn es dem Osten gut geht." Niemand in den neuen Bundesländern wolle dauerhaft von Finanzhilfen aus dem Westen abhängig sein. Die Ostdeutschland wollten stattdessen "auf die eigenen Beine kommen".

Stoiber hatte in mehreren Wahlkampfreden seine Bereitschaft zu weiteren Milliardenhilfen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs erklärt, aber mit Blick auf die im Osten starke Linkspartei betont, dass Ostdeutschland und die Frustrierten dort nicht erneut über die Zukunft Deutschlands bestimmen dürften. Diese Äußerungen hatten auch in der CDU Empörung ausgelöst.

Applaus erhielt Merkel für Ankündigung, für Bürokratieabbau, neue Arbeitsplätze und Lehrstellen zu sorgen sowie in der Verbrechensbekämpfung den Opfern Vorrang vor den Tätern zu geben.
 


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