SPIEGEL ONLINE - 12. August 2005, 18:39
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SPD-Wahlkampf im Schrebergarten
 
"Schröder ist wie Metallica"

Von Sebastian Christ

Wo der Kanzler ist, da schlagen sich die Leute um die besten Plätze. Gerhard Schröder ist zur Zeit auf Wahlkampftour durch Deutschland, und er zieht immer noch die Massen an. Bei einem Ortstermin in der Gartenkolonie Bonsfeld hinterließ er eine Spur der Zerstörung.

Der Schlamm unter den Schuhen schmiert wie Kettenfett. Jeder Schritt ruiniert den Rasen der Schrebergartenkolonie ein wenig mehr. Aber wen stört es? Der Rhabarber im Nachbargarten ist schon lange platt getrampelt, niemand kümmert sich um den Absperrzaun. Pressevertreter und Sozialdemokraten trippeln nervös auf ihren Fußspitzen. Der Kanzler kommt. Während sich der Himmel über Velbert immer weiter verfinstert und nasse Wolkenberge an den Mittelgebirgshügeln kleben bleiben, hämmert mit harten Rotorschlägen ein Bundeswehrhubschrauber über den regenschwangeren Himmel.

Stahlbaumeister Thomas Hahn schaut nach oben. Auf seinem Kohlegrill dampfen Rostbratwürstchen, über seinem Zaun lehnen gut ein Dutzend Fotografen. Nie zuvor haben ihn so viele Menschen beim Grillen beobachtet, wahrscheinlich werden es auch nie wieder so viele werden. Ihn haben seine Vereinskollegen ausgesucht, den Handwerker aus Heiligenhaus, er soll heute Gerhard Schröder bewirten. Doch dazu wird es nicht kommen. Wann das nette Sommerfest des Kleingartenvereins Bonsfeld aus den Fugen geriet, lässt sich nicht mehr exakt rekonstruieren. Doch eins ist sicher: Erst kam der Regen, dann der Kanzler. Und zum Schluss das Chaos.

Eigentlich ist Velbert-Langenberg ein friedlicher Flecken Erde. Etwa 16.000 Menschen leben hier. Man ist stolz auf die nette Altstadt mit ihren hübschen Schieferhäuschen. Die Schrebergartenkolonie Bonsfeld liegt am Ortsrand, neben einem Maisfeld mit mannshohen, grünen Stauden. Der Rasen ist streichholzkurz, Rosen ranken um Holzspaliere. Und vor manchen Türen wachen Gartenzwerge über die Ordnung im kleinen, grünen Erholungsreich. Von den Gärten aus kann man Langenberg sehen, und von Langenberg aus die Gärten. Eine harmonische Symbiose.

Dosenwerfen für die Kinder, Kanzler für die Eltern

Es war eine tolle Idee. Schrebergärtner-Chefin Christel Münchow hatte für das alljährliche Sommerfest Kanzler Schröder eingeladen. Und der sagte zu, für einen gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit der SPD-Direktkandidatin Kerstin Griese. Im Kreis Mettmann ist das ein echtes Ereignis. Und nicht nur da. Aus ganz Deutschland hatten sich Journalisten angemeldet.

Ein ganzer Biertisch voller Akkreditierungen ist da zusammengekommen. Außerdem hat die SPD 400 ausgesuchte Gäste nach Bonsfeld bestellt. Sie alle drängen auf eine grüne Wiese vor, die nach unten hin steil abfällt, und an deren tiefsten Punkt eine würfelförmige Stahlrohrbühne mit schwarzer Stoffverkleidung steht. In den Hecken hängen kleine SPD-Windrädchen, der Zaun ist mit Parteiballons staffiert. Man kennt sich hier, jeder wird begrüßt. Die Gespräche drehen sich um Parteiveranstaltungen und Vereinsinterna. Noch.

Der Strom an Menschen reißt nicht ab. Vor den Getränkeständen stauen sich die Durstigen zum Teil 20 Meter weit. Schon jetzt ist klar, dass nicht alle einen Sitzplatz bekommen, wenn die Veranstaltung auf ihren Höhepunkt zusteuert. Für die Kinder gibt es Dosenwerfen und Sackhüpfen. Für die Erwachsenen einen waschechten Kanzler.

Ein wenig abseits der großen Wiese, durch einen schmalen, grasbewachsenen Weg, da liegt der Garten von Herrn Hahn und seiner Familie. Er ist aufgeregt, auch wenn er sich das nicht so sehr anmerken lassen will. "Da hamma aber wieder passendes Wetta ausgesucht", unkt er, und blickt nochmals zum Himmel. Es regnet oft hier. Auch heute schon. Minuten später schlagen die ersten fetten Tropfen auf das Laubendach.

Würstchen im Regen

Zur selben Zeit fahren Polizeimotorräder auf der Straße weiter unten vor. Ein freudiges Aufschreien dringt in die kleine Gartenwelt der Hahns. Es kommt von der Gruppe Sozialdemokraten, die des Kanzlers Eskorte auf den Bürgersteigen begrüßt. Mittlerweile ist der Tröpfelregen zu einem waschechten Wolkenbruch herangewachsen. Schröder wird beschirmt, Hahn duckt sich unter dem Vordach seiner Laube. Ordner und BKA schaffen mit ausgefahrenen Ellenbogen eine Gasse für Schröder, der mit einem Tross von gut 20 Leuten anrückt. Das Wasser platscht auf den liebevoll gedeckten Tisch, die Servietten weichen auf.

Kurze Begrüßung, dann verschwindet Schröder unter dem Dach eines Partyzelts nebenan. Der Kanzler lacht. Im Wolkenbruch schlagen sich 20, vielleicht 30 triefnasse Journalisten um die besten Plätze am Laubenzaun, es geht ruppig zu. Schröder lächelt nach links. Schröder lächelt nach rechts. Dann lässt er Familie Hahn und ihre Würstchen im Regen stehen und zieht weiter zur Festwiese.

Hinter ihm drängt die Meute. Ein Menschenwurm von 30 oder 40 Metern mit Kameras und Tonangeln, der auf dem vielleicht anderthalb Meter breiten Weg jeden Grashalm unwiderruflich in den Matsch trampelt. Auch Lokalpolitiker und Parteifreunde lassen sich mit treiben. Irgendwo, weit vorne, da ist Schröder.

Eichenfeste Gartenfreunde

Jetzt geht die Party richtig los. Auf der Festwiese sind die 400 eingeladenen Sozialdemokraten und Gartenfreunde in Stellung gegangen. Sie alle wollen den Kanzler sehen. Das wollen freilich auch die Fotografen. Ein dichter Pulk bildet sich vor der Bühne. Schröder ist blickdicht weggeschlossen von seinen Anhängern. Die ersten Gäste erklimmen ihre Bierbänke. Und pesten gegen die Pressevertreter, die in der ersten Reihe stehen.

Schröder ist heute ein Kumpelkanzler. Er lehnt mit dem linken Arm auf dem Pult und parliert lässig mit den Gartenfreunden. Mehr Heimspiel geht nicht. Genosse Gerhard dichtet. "Wenn in Velbert die Sonne lacht, dann hat das die SPD gemacht. Zieht sich der Himmel aber zu, dann war's die böse CDU." Lachen, Szenenapplaus. Er steht im Trockenen. "Ich habe zu der Region eine besondere Beziehung", sagt Schröder. Seine westfälische Sprachfärbung wird stärker. "Ganz früher hab ich mal Baustoffe verkauft", setzt er an, "da weiß man natürlich, wat Velbert is." Er blickt gelassen in die Objektive. "Das hat was mit den uralten Eichenbäumen im Wappen zu tun, die so fest sind, wie die Gartenfreunde hier." Genau jetzt hat er auch das letzte Laubenpieper-Herz erobert. Das Publikum ist euphorisch.

Seine Rede ist kurz. "Der hat mal wieder seine größten Hits runtergedudelt", sagt ein Ordner. Dann kennt die Masse kein Halten mehr. Schröder verlässt die Bühne links vorn, und genau da prallen Journalisten und Gartenfreunde aufeinander. Ein älterer Mann schüttelt ihm die Hand. Er ist der erste, der den Kanzler erreicht. Für die zehn Meter zu seinem Platz braucht Schröder fünf Minuten. Fotos, immer wieder Autogramme. Am Tisch trägt er sich ins Goldene Buch der Stadt Velbert ein. Man sieht keinen Kanzler und auch kein Buch. Er trinkt einen halben Becher Bier.

"Eigentlich sind wir doch ganz diszipliniert in Bonsfeld"

Schließlich bricht jede Ordnung zusammen. Während die Fotografen und Fernsehteams immer noch auf gute Bilder hoffen, versuchen Väter mit ihren kleinen Kindern den Belagerungsring zu durchbrechen um an Autogramme zu kommen. Schröder unterschreibt alles: Schultüten, Fußbälle, Bücher. Journalisten steigen auf Tische, Rentner rennen aufgeregt zum Kanzler. Zwischendrin hockt ein kleines Mädchen, das gern ein Autogramm gehabt hätte. Sie hält ein zerknittertes Stück Altpapier in der Hand und weint. Ihre Mutter nimmt sie daraufhin wieder an die Hand und stürzt sich ein weiteres Mal in den Pulk.

"Nehmen Sie bitte die reservierten Plätze ein, damit das Programm wieder ein bisschen in die Linie kommen kann", fleht ein Vertreter der Gartenfreunde auf der Bühne. "Eigentlich sind wir doch hier ganz diszipliniert in Bonsfeld, oder?" Heute ist alles anders.

Mitten im Gedränge stehen zwei Ordner von den Jusos, die schon lange nichts mehr ordnen können. "Wenn ich überlege, mit welcher Hingabe wir auch noch diese Schilder auf die Bänke geklebt haben", sagt Christof Deringer. "Und welche Überlegungen jetzt noch mit eingeflossen sind, wie der Schröder Gerhard am besten sitzt, und wo die BKA-Beamten Platz nehmen." Das hätten sie sich auch sparen können.

Dann ist Schröder plötzlich weg, sein Tross auch. Durch den Seiteneingang verschwunden. Die Kameramänner stehen für kurze Zeit etwas orientierungslos da, packen dann zusammen. Auch einige der Gartenfreunde haben genug und gehen nach Hause. "Das war wie der Einmarsch der Hunnen", sagt Christof. Sein Ordner-Kollege Niklas Thiel staunt: "Das hat was von einer Metallica-Lifeshow gehabt." Sie blicken Richtung Bühne. Das wohl dekorierte Ambiente hat sich in einen hässlichen großen Müllhaufen verwandelt.

Die Papierschildchen auf den Bänken liegen in Fetzen, auf und unter dem Tisch rollen verschüttete Bierbecher. Ein angebissenes Würstchen ist übrig, ebenso ein paar aufgeweichte Papiertaschentücher und ein zertretender Alu-Aschenbecher. Das Gras ist platt gewalzt, überall sind Schlammspuren zu sehen. Das kleine Gartenfest ist zu einem sozialdemokratischen Kanzler-Woodstock im Laubenpieper-Milieu mutiert. Und als sie aus der Schröder-Trance wieder aufwachen, ist es den ordnungsliebenden Gartenfreunden irgendwie unangenehm, was passiert ist. Sie stehen im Halbkreis um die beiden vorderen Tischreihen und meiden den Platz, wo vor ein paar Minuten noch ihr Kanzler saß.

Was Thomas Hahn währenddessen gemacht hat, weiß niemand. Vielleicht hat er mit seiner Familie jene schönen dampfenden Rostbratwürste gegessen, die er für den Kanzler gebraten hatte. Seine Laube jedenfalls hatte zu diesem Zeitpunkt schon das Schlimmste überstanden.
 

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