SPIEGEL ONLINE - 28. Juli 2005, 17:57
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Wirtschaftspolitik
Die Parallelwelt des
Wolfgang Clement
Von Carsten Volkery
Kurz vor den Neuwahlen hat Wirtschaftsminister Wolfgang Clement eine
Zwischenbilanz vorgelegt. Wenig überraschend: Der Mutmacher der Nation ist mit
seiner Arbeit sehr zufrieden - besonders wenn er sie aus der Perspektive eines
Marsmenschen betrachtet.
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AP Wolfgang Clement: "Tut mir leid, ich bin so
positiv" |
Berlin - "So ein alter
Witz", knurrt Wolfgang Clement, während er seine Stichwortzettel auf den Tisch
legt. Sein Staatssekretär Georg Adamowitsch war gerade dabei, die Journalisten
mit einem Witz über soziale Kompetenz zu unterhalten. Die Pointe geht im
Gemurmel unter.
Clement ist nicht zum Scherzen aufgelegt. Es ist
Mittwochabend, er hat in den Konferenzraum K1 im Wirtschaftsministerium geladen,
um eine "Zwischenbilanz" seiner drei Jahre als Minister für Wirtschaft und
Arbeit zu ziehen. Er ist in Kampfeslaune. Er weiß, was ihn erwartet.
Wie
er sich seine Erfolglosigkeit als Minister erkläre, lautet die erste Frage. "Ich
sehe keine Erfolglosigkeit", blafft Clement. Deutschland sei auf dem Weg zurück
an die Spitze. "Wir stehen heute besser da als je in den neunziger Jahren", sagt
er. Wenn man sich die Gewinne der Banken anschaue, "kann ich nicht sehen, wo ich
Fehler gemacht habe". Jetzt müsse man nur noch das "Feuer des Exports" nach
Deutschland bringen, dann werde es bis zum Ende des Jahres hoffentlich einen
"selbst tragenden Aufschwung" geben.
Der Blick des
Marsmenschen
So kennt man Wolfgang Clement. Optimistisch bis hin zum
Schönfärben, das Glas immer halb voll, Deutschland auf dem Sprung aus der Krise,
die Vollbeschäftigung in greifbarer Nähe. Immer die Dinge ein wenig anders
sehen, als der Rest des Landes. Es ist die Rolle, die Clement seit seinem
Amtsantritt 2002 perfektioniert hat.
Dass in Deutschland eine andere
Wahrnehmung vorherrscht, weiß Clement nur zu genau. Wann immer er sich in der
Öffentlichkeit blicken lässt, spürt er es. Hier ist er der Minister, unter
dessen Ägide die Arbeitslosenzahl auf über fünf Millionen angestiegen
ist.
Doch das hält ihn nicht davon ab, in seiner Parallelwelt zu leben.
In der geben Ökonomen, internationale Wirtschaftsmagazine und, ja, Marsmenschen
den Ton an. Bei ihnen sucht er Trost, wenn ihn die düstere Stimmung daheim mal
wieder zu erdrücken droht. Seit Monaten zitiert Clement mit Vorliebe einen
Bericht des Wirtschaftsmagazins "Economist". Darin steht, dass ein Marsmensch
eher in Deutschland als in den USA investieren würde. Auch in dem Papier zur
"Zwischenbilanz" taucht der Marsmensch wieder als Kronzeuge auf.
Es ist
der Ritterschlag für Clement, dessen erklärtes Ziel es ist, Deutschland zur
"weltoffenen sozialen Marktwirtschaft" umzubauen. Von diesem Weg bringt ihn
keiner ab. Auch nicht die Wähler. Bloß weil die SPD in Umfragen bei 27 Prozent
liege, werde er nicht glauben, "dass die anderen 73 Prozent recht haben", sagt
er. Ganz bestimmt nicht werde er deshalb in "das allgemeine Klagelied"
einstimmen. "Soll ich etwa sagen: Die deutsche Volkswirtschaft ist so schwach
wie nie?", fragt er.
Seine Erklärung für die schlechten Umfragewerte ist
ganz einfach. Im Land gebe es eine "tiefe Unsicherheit", die bei den Regierenden
abgeladen werde. Die Unsicherheit sei besonders tief, weil Deutschland von allen
Ländern Europas am längsten und am besten mit der traditionellen sozialen
Marktwirtschaft gefahren sei.
"Viele Baustellen, wenige
Bauten"
Mit der Kritik hat er zu leben gelernt. Spätestens seit
Schröder ihm in einem Interview im vergangenen Jahr die alleinige Verantwortung
für das Gelingen oder Scheitern von Hartz IV übertragen hat, ist der
Wirtschaftsminister der Prügelknabe der Nation. In den Medien, auf
Parteiversammlungen und an den Stammtischen ist "Clement-Bashing" zum guten
Brauch geworden. Das Ganze habe etwas von einem Ritual, bemerkte der
"Tagesspiegel": "Clement hoch oben auf dem Scheiterhaufen".
Clement trägt
die Angriffe mit ostentativer Gelassenheit. Manchmal hat man den Eindruck, auch
mit einem gewissen Stolz. "Ich raufe mich gern", sagt er. Seine Zwischenbilanz,
sagt er, könne sich sehen lassen. "Tut mir leid, ich bin heute so positiv", sagt
er grinsend.
Fünf Seiten in dem vorgelegten Bericht füllt die Auflistung
der Reformen, die Clement seit 2002 angeschoben und umgesetzt hat. Eine
ansehnliche Menge. "Jede Woche eine neue Reform", hatte er zu Beginn seiner
Amtszeit mal verkündet. Vieles blieb auf der Strecke, seither hat Clement den
Ruf des Ankündigungsministers weg. "Viele Baustellen, wenige Bauten", resümierte
die "FAZ" vor kurzem.
Den Ladenschluss hat er ebenso wenig kippen können
wie die tausend anderen bürokratischen Hürden, die er sich vorgenommen hatte.
Feiertage wollte er streichen und die Arbeitszeit verlängern, Kündigungsschutz
lockern und Mehrwertsteuer fürs Handwerk halbieren. Alles versandete am Ende
oder scheiterte am Widerstand seiner Partei.
Clement: In Berlin nichts
mehr zu tun
Dann ist da noch Hartz IV, die Mutter aller Reformen. Das
abschließende Urteil steht zwar noch aus, aber die Zwischenbilanz nach sieben
Monaten ist ernüchternd. Zusätzliche Bürokratie, Mehrkosten in Milliardenhöhe,
mangelnde Vermittlungserfolge, die Liste der Beschwerden ist lang. Nicht zu
vergessen die fünf Millionen Arbeitslosen aus dem Februar. Die Zahl hat Rot-Grün
zwei Wahlen gekostet und könnte sie eine dritte kosten. "Ich habe mir die
Schwierigkeiten nicht so tief ausgemalt", räumt Clement am Mittwochabend
ein.
Die vielen Niederlagen haben die durchaus vorhandenen Erfolge in den
Hintergrund gedrängt. So gibt es wieder mehr Unternehmensgründungen und mehr
Ausbildungsplätze, letzteres vor allem dank des persönlichen Einsatzes von
Clement.
Mit unermüdlichem Einsatz will er nun auch die
Arbeitsmarktreform in einen Sieg verwandeln. "Ich will das mit allen Mitteln zum
Erfolg bringen", sagt er. Ganz untypisch hängt er sich deshalb in die Details.
Beinahe täglich ist er unterwegs auf den vielen Baustellen der Reform, besucht
Arbeitsämter, Jugendinitiativen, Job-Bündnisse. Er geht hin, um Ideen zu sammeln
und Mut zu machen. In Berlin könne man jetzt nichts mehr tun, sagt er, es komme
auf "die vor Ort" an.
Doch die Zeit reicht nicht. Es geht nur sehr
langsam voran. Heute muss er vor der Bundespressekonferenz erneut einen Anstieg
der Arbeitslosigkeit um 47.000 für den Monat Juli kommentieren. Ein saisonaler
Effekt, typisch für die Ferienzeit. Insgesamt ist die Entwicklung positiv,
saisonbereinigt sinken die Arbeitslosenzahlen seit Monaten. Ein
Hoffnungsschimmer für Clement. Doch der ist mit großen Ankündigungen etwas
vorsichtiger geworden. "Ich weiß nicht, ob der Aufschwung schon stabil ist",
sagt er.
Selbst wenn der Aufschwung käme, dürfte es für Rot-Grün wohl zu
spät sein. Die Union nimmt die Anzeichen der Erholung bereits vorsichtshalber
für sich in Anspruch und spricht vom "Merkel-Aufschwung" - genau wie einst
Schröder, der im Wahlkampf 1998 die anziehende Konjunktur für sich reklamiert
hatte.
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