SPIEGEL ONLINE - 07. Juli 2005, 07:28
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Wählerpotenzial
 
Lafontaine verliert an Neonazis

Nach seinem Höhenflug bei den Umfragewerten hat das Linksbündnis von PDS und WASG seinen ersten Einbruch erlebt. Innerhalb einer Woche gab die Lafontaine-Truppe rund 500.000 potenzielle Wähler an NPD und Republikaner ab. Wie Kanzler Schröder schloss jetzt auch Außenminister Fischer eine Zusammenarbeit mit dem Bündnis aus.

Linkspolitiker Lafontaine: "In der Tradition von Fortuyn, Möllemann und Haider"
REUTERS
Linkspolitiker Lafontaine: "In der Tradition von Fortuyn, Möllemann und Haider"
Hamburg/Halle - Laut einer Hochrechnung des Meinungsforschungsinstituts Forsa für die "Financial Times Deutschland" gab das neue Linksbündnis vergangene Woche knapp 500.000 Wähler ab und kann demnach nun noch auf 4,5 Millionen Stimmen zählen. Zugleich legten die "Sonstigen Parteien", darunter die rechtsextremen, um 400.000 auf 1,8 Millionen Stimmen zu.

Wie in der Vorwoche seien sich zwar 27 Prozent der 2.500 Befragten nicht sicher gewesen, wen oder ob sie überhaupt wählen werden. Die Union kann sich der Untersuchung zufolge aber dennoch auf rund 2,5 Millionen Stimmen mehr stützen als bei der letzten Wahl im Jahr 2002. Die SPD stagniert hingegen auf niedrigem Niveau: Mit 11,7 Millionen Stimmen liegt sie derzeit rund 7 Millionen Stimmen unter ihrem Stimmenfang vor drei Jahren, wie die Zeitung berichtete.

Außenminister Joschka Fischer (Grüne) erteilte indes einer Zusammenarbeit mit dem neuen Linksbündnis nach der Bundestagswahl eine klare Absage. "Das ist ausgeschlossen", sagte Fischer dem Berliner "Tagesspiegel". Lafontaine gehe es "in politischer Strategie und Sprache darum, ausländerfeindliche Stimmungen zu mobilisieren". Lafontaine stehe damit in der Tradition "von Pim Fortuyn, Jürgen Möllemann und Jörg Haider", sagte der Grünen-Politiker.

Die Forderung des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) nach einer Beobachtung Lafontaines durch den Verfassungsschutz lehnte Fischer jedoch ab. "Mit seiner Narretei geht es Schönbohm doch nur darum, Schlagzeilen zu produzieren." Das helfe kein bisschen weiter. Mit Lafontaine müsse man sich inhaltlich auseinander setzen. Der frühere SPD-Chef wolle "zurück in die Ära Kohl" und mache den heutigen Rentnern Versprechungen, die gegenüber der jungen Generation "schlicht unverantwortlich" seien.

Bündnis ohne Kommissar

Auch auf das Zugpferd Peter Sodann muss das Linksbündnis jetzt verzichten. Der als "Tatort"-Kommissar Bruno Ehrlicher bekannte Schauspieler zog seine angekündigte Spitzenkandidatur für die sächsische PDS überraschend zurück. Zur Begründung sagte der Schauspieler, dass er im Falle einer erfolgreichen Kandidatur für das neue Linksbündnis aus PDS und WASG bei der geplanten Bundestagswahl im September seine Fernsehkarriere hätte unterbrechen müssen. Sein Beruf gehe vor, sagte Sodann am Abend im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).

Der MDR hatte dem 69-Jährigen angekündigt, ihn als "Tatort"-Kommissar Bruno Ehrlicher vom Sender zu nehmen, sollte er einen Sitz im Bundestag gewinnen. Das ursprüngliche Vorhaben Sodanns, das erst am Montag offiziell verkündet worden war, hatte für erhebliche Diskussionen gesorgt. Sodann sagte, er möchte "lieber ein politisch denkender Schauspieler bleiben als ein schauspielernder Politiker" zu werden.

Er erklärte zugleich, er würde nicht gerne "unter einer Parteidirektive" arbeiten. Der "Tatort"-Kommissar gestand zugleich ein, dass ihm der Rückzug etwas peinlich sei. Er habe sehr viele E-Mails mit Glückwünschen erhalten.

Die PDS äußerte Bedauern über Sodanns Rückzug sowie herbe Kritik an der MDR-Politik. Die sächsische PDS-Landesvorsitzende Cornelia Ernst sagte, Sodann sei unter Druck gesetzt und mit einem Auftrittsverbot bedroht worden. Sie sprach von einer Kampagne gegen die PDS, ihre Partei werde wie eine Sekte behandelt, obwohl sie fast ein Drittel der sächsischen Wähler hinter sich habe. Auch PDS-Wahlkampfleiter Bodo Ramelow erhob in der "Thüringer Allgemeinen" schwere Vorwürfe und sprach mit Verweis auf die verbreitete Kritik an Sodanns Kandidatur von einer "Hexenjagd".

Der sächsische PDS-Fraktionschef Peter Porsch warf dem MDR sogar Gesetzesbruch vor. "Ich kenne Gesetzestexte von Verfassungsrang, die jedermann, der für den Bundestag kandidiert, davor schützt, berufliche Nachteile zu erleiden. Diesen Grundsatz sehe ich jedoch durch den Arbeitgeber von Peter Sodann durchbrochen", sagte Porsch der "Sächsischen Zeitung". PDS-Chef Lothar Bisky warf dem MDR in der Chemnitzer "Freien Presse" eine Rückkehr zur SED-Kulturpolitik vor.

Der MDR wies die Vorwürfe allesamt zurück. Intendant Udo Reiter erklärte, es gehe nicht um die PDS, sondern um alle Parteien: "Das ist eine Unvereinbarkeit zweier verschiedener Berufe. In der ganzen ARD gilt die Regel, dass sechs Wochen vor dem Wahltermin kein Auftritt mehr in Hörfunk und Fernsehen erfolgt, und dass bei Annahme eines Mandats die Arbeit für den Sender ruht."
 

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