408. Bremer Montagsdemo
am 21. 01. 2013  I◄◄  ►►I

 

Langzeitarbeitslose brauchen
keine „Betreuung“, sondern einen vernünftig bezahlten Arbeitsplatz!

Elisabeth Graf1. Letzte Woche berichtete ich von einem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig. Es hatte entschieden, dass Flop-Center die Durchwahlnummern der Sachbearbeiter(innen) herausgeben müssen. Das Jobcenter Leipzig wehrt sich gegen dieses Urteil als nicht praktikabel, weil es in „krassem Gegensatz“ zum dortigen Arbeitsalltag stehe. Die Berater hätten nämlich gar keine Zeit für Telefonate, weil sie oft Gespräche mit Erwerbslosen führten und es aus Datenschutzgründen unmöglich sei, mit einem Arbeitssuchenden zu telefonieren, während ein anderer Proband im Büro sei. Oh, dass der Datenschutz dort eingehalten wird, ist für mich ganz neu! Schließlich kann ein zuhörender Erwerbsloser dem Telefonat keineswegs entnehmen, mit wem der Angestellte der Agentur gerade spricht, und der Anrufer auch nicht über „Skype“ sehen, wer dort vorgeladen wurde!

 

2. Etwa 15.000 Bremer(innen) verdienen so wenig, dass sie ihren Dumpinglohn vom Jobcenter mit „ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt“ aufstocken müssen. Die heute 51-jährige Marita Schuster (Name geändert), alleinerziehende Mutter zweier Töchter, machte vor drei Jahren eine Umschulung zur Arzthelferin, da sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in ihrem Beruf als Altenpflegerin arbeiten kann. Ihre ehemalige Sachbearbeiterin ermöglichte ihr die Umschulung, nachdem sie jahrelang auf Sozialhilfe und Hartz IV angewiesen war. Obwohl Frau Schuster anschließend in der Praxis übernommen wurde, wo sie ihre Umschulung absolvierte, hängt sie weiterhin am ALG-II-Tropf, weil sie für ihre 33-Stunden-Stelle nur magere 900 Euro im Monat bekommt.

Dies wurde vom Jobcenter erst dann anerkannt, als Schuster drohte, an die Öffentlichkeit zu gehen. Zuvor sollte die ergänzende Leistung in Höhe von 145 Euro eingestellt werden. Es wurde von ihr verlangt, Wohngeld und Kindergeldzuschlag zu beantragen, obwohl ihr Letzteres wegen des Einkommens ihrer Tochter gar nicht zustand. Auch wenn Kristina Bumb, Sprecherin des Jobcenters und der Familienkasse, widerspricht und behauptet, es gebe keine „systematischen Probleme“ bei der Prüfung der in Frage kommenden Leistungen, sagt Inge Gräfe-Heigl von der Bremer Erwerbslosen- und Sozialberatung „Solidarische Hilfe“, dass immer wieder Menschen bei ihnen Rat suchen, die wegen eines vermeintlichen Anspruchs auf Kinderzuschlag Ärger mit dem Jobcenter hätten.

Obwohl diese Leistung bereits 2005 eingeführt wurde, hätten viele Jobcenter-Mitarbeiter(innen) bis heute keine Ahnung davon, weil sie zu schlecht qualifiziert seien. Darüber hinaus würden sie angehalten, ständig die Fallzahlen zu „korrigieren“ und bekämen entsprechenden Druck „von oben“. Dabei dürfe das Jobcenter die Leistungen gar nicht einstellen, sondern müsse sie überbrückungshalber weiterzahlen. Viele Betroffene können dies per Eilantrag vor Gericht durchsetzen – wenn sie um ihre Rechte wissen und sich diese zu „holen“ getrauen. Viele Leistungsberechtigte verzichteten aber lieber auf ihre Ansprüche.

 

3. Ein Jahr nach der Firmenpleite beschreibt Heide Oestreich in der „Tageszeitung“ anhand dreier Fallbeispiele die Lage der rund 23.000 „Schlecker-Frauen“, von denen bisher nur 9.800 wieder eine Arbeit fanden:

 

4. Auf einem Weihnachtsmarkt verloste ein privater Bildungsträger in Rheinland-Pfalz bei einer Tombola Dienstleistungen älterer Langzeitarbeitsloser an Firmen, was Gewerkschaften entsetzte. Dieser private Dienstleister arbeitet mit dem Jobcenter bei der „Integration“ älterer Langzeitarbeitsloser im Rahmen des Programms „Perspektive 50 plus“ zusammen. Dabei sei nach Ideen gesucht worden, wie die betreuten Langzeitarbeitslosen mit den regionalen Unternehmen in Kontakt kommen könnten. „Betreute“ Langzeitarbeitslose? Die sind doch erwachsen, brauchen keine Betreuung, sondern einen vernünftig bezahlten Arbeitsplatz! Als Resultat trat das besagte Tombola-Event auf dem Weihnachtsmarkt auf den Plan.

Die Unternehmen konnten neben einem Workshop oder Büroartikeln auch Dienste der Arbeitslosen gewinnen, etwa die Reinigung von Fenstern und Fußböden oder die Gestaltung einer Firmen-Website. Weil das offenbar noch nicht kreativ genug war, durften einige der Arbeitslosen die Ziehung der Lose zusätzlich mit einer weihnachtlichen Aufführung untermalen. Anders als bei einer normalen Tombola mussten die Firmen nicht für ihr Los zahlen, und gab es auch keine „Nieten“. Hier sollte „soziales Firmenengagement“ belohnt werden, womit die Bereitstellung unbezahlter Arbeitsplätze für eine kurze Zeit gemeint war. Selbstredend kann gar nicht oft genug betont werden, wie unglaublich freiwillig die Langzeitarbeitslosen ihre angebotenen Dienste „ausdrücklich selbst ausgesucht und angeboten“ haben und völlig frei entscheiden konnten, ob sie überhaupt teilnehmen!

Wir wissen doch alle, dass jeder Erwerbslose vor Beantragung des Arbeitslosengeldes unterschreiben muss, alles zu unternehmen, um aus der Hilfsbedürftigkeit herauszukommen. Es bleibt nur eine menschenverachtende und entwürdigende Aktion, bei der nur die Firmen Gewinne machen konnten. Langzeiterwerbslose wurden wie Sklaven feilgeboten und hatten selbst nichts davon, außer wahrscheinlich dem versteckten Zwang Genüge zu tun. Gerne wüsste ich, wie sich durch Putzen die beruflichen Qualitäten der Erwerbslosen zeigen sollen, außer als Ausbeutbare! Am Sonntag stand im „Weser-Kurier“ ein Zitat von Voltaire: „Die Arbeit hält drei große Übel fern: die Langeweile, das Laster und die Not.“ Ja, sofern sich von der Hände Arbeit leben, nicht nur vegetieren lässt!

 

5. Wenn Kanzlerin Merkel die Tarifautonomie in Deutschland und die Gewerk­schaf­ten als „starke Säulen“ lobt und den Missbrauch von Werkverträgen unter die Lupe nehmen lassen will; wenn DGB-Chef Michael Sommer seinerseits positiv anmerkt, die Kanzlerin verschließe sich beim Streitthema Arbeitnehmer-Datenschutz nicht der massiven Gewerkschaftskritik, dass es dank ihrer „keine gravierenden Angriffe auf Arbeitnehmerrechte“ gegeben habe, dann verspüre ich einen gewissen Brechreiz. Ein richtiges Kotzgefühl kommt mir jedoch, wenn ich lese, dass Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt „Moral“ fordert, genauer: „Defizite bei Moral und Anstand“ diagnostiziert und verlangt, die Tarifverträge konsequent flächendeckend anzuwenden und die Löhne von Zeitarbeitern wie vereinbart „anzugleichen“. Läuft hier nicht in der Rollenverteilung etwas falsch? Wie glaubhaft ist dieses Gekuschel unmittelbar vor der Niedersachsen-Wahl? Einheitssoßenbrei! Wer vertrat ursprünglich einmal wen?

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 

 

Der 23. Januar ist internationaler Aktionstag der GM-Belegschaften

Am Mittwoch, dem 16. Januar 2013, haben die Kollegen bei PSA Peugeot-Citroën in Aulnay bei Paris den unbefristeten Streik gegen die für 2014 geplante Schließung ihres Werks aufgenommen. Sie haben das Werk besetzt und blockieren die Tore. Die Produktion steht vollständig. PSA hat eine „strategische Allianz“ mit GM-Opel. Deshalb steht der Kampf von vornherein in enger Verbindung zum Kampf gegen die geplante Werksschließung bei Opel in Bochum. Mehrfach schon besuchten sich die Kollegen gegenseitig bei Demonstrationen und Aktionstagen.

Harald BraunDer zweite große französische Autokonzern Renault hat ebenfalls die Vernichtung jedes zehnten Arbeitsplatzes in seinen französischen Werken angekündigt. In diesem Zusammenhang sollen die Kollegen künftig gezwungen werden, jeweils in dem Werk zu arbeiten, in dem der Konzern die Produktion auslasten will. Wie sollen die Arbeiter und ihre Familien einen solchen Versetzungsterror durchstehen? Wer soll sich in dieser Zeit um die Kinder kümmern? In dieser Situation kann der Streik der Arbeiter von PSA in Aulnay auch für die Arbeiter in den Renault-Werken ein ermutigendes Signal sein.

Bei GM im brasilianischen Sao Jose dos Campos fand letzte Woche ebenfalls eine Streikversammlung vor den Toren gegen die seit Monaten geplante Entlassung von 1.800 Kollegen statt. Bei Ford im belgischen Genk blockieren Arbeiter trotz des brutalen Polizeieinsatzes weiterhin die Tore, die Arbeiter der Zulieferindustrie setzen ihren Streik fort. Jetzt verschärfen Ford und der Staat die Repressalien, drohen den Arbeitern mit Kriminalisierung und hohen Strafen. Die Solidarität in Belgien und darüber hinaus wächst: Bereits im letzten Jahr hatten Kollegen von Ford in Köln und Genk sich gegenseitig besucht und den Kontakt hergestellt.

Diesen Dienstag findet bei Opel in Bochum um 14 Uhr die nächste „Informationsveranstaltung“ des Betriebsrats statt, diesmal mit Delegationen aus den anderen deutschen Opel-Werken. Nach dem selbständigen Warnstreik vom 12. Dezember 2012 beraten die Bochumer intensiv, wie gegen die angekündigte Schließung des Werkes und um jeden Arbeitsplatz gekämpft werden muss.

Am Mittwoch, dem 23. Januar 2013, findet auf Initiative kämpferischer Gewerkschafter von GM aus Brasilien, Kolumbien, Spanien und Deutschland ein internationaler Aktionstag statt. Ein solcher Schritt zur internationalen Ko­or­di­nie­rung der Kämpfe gegen die Pläne von GM ist genau richtig! Im Zuge der sich verschärfenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise sind dies wichtige Impulse und Schritte in der Arbeiterbewegung.

Im Aufruf dazu heißt es: „Angesichts dieser Versuche, unsere Klasse zu spalten, rufen wir die Arbeiter und Gewerkschaften aller GM-Werke auf der Welt auf, sich zusammenzuschließen und sich gegenseitig zu unterstützen, um unsere Klasseninteressen zu verteidigen. Unsere Organisationen rufen euch auf, euch am 23. Januar an unserem Kampf gegen die Angriffe von GM zu beteiligen. Wir möchten an diesem Tag einen internationalen Kampf- und Aktionstag in unseren jeweiligen Ländern machen, um die Aufmerksamkeit der Welt darauf zu lenken, was mit den Arbeitern bei GM passiert. Wir fordern: Keine Werksschließungen bei GM, Opel oder PSA! Keine Entlassungen! Wiedereinstellung der verletzten Arbeiter bei GM Kolumbien und Unterstützung unserer Kollegen von Asotrecol.“

Der Streik und der Aktionstag bestärken uns darin, dass wir mit dem Au­to­mo­bil­ar­bei­ter­rat­schlag und der Vorbereitung der 1. Internationalen Automobilarbeiterkonferenz zur verbindlicheren Zusammenarbeit genau richtig liegen und diese Arbeit intensivieren wollen!

Harald Braun
 

 
Wasser soll privatisiert werden: Kennt die EU nicht
die negativen Erfahrungen mit Strom? („Stern“)
 

 
Landeswahlleiterin zeigt roten Bildschirm: Das Ungeheuer
von Loch Ness hat ganz verheulte Augen („Die Welt“)

 

Schade

Frank Kleinschmidt1. Die Wahl in Niedersachsen ist ja nun gelaufen. Hut ab vor den Taktikern der CDU: Die Leihstimmenidee war genial gedacht. Umso mehr freut es mich, dass diese Taktik nicht aufgegangen ist – was in mir die Hoffnung auf die Piraten geweckt hatte, da durch sie deutlich wird, dass wir eine Politik mit Taktierungsmanövern nicht mehr wollen. Ich finde es sehr schade, dass es „Die Linke“ und die Piraten nicht in das niedersächsische Landesparlament geschafft haben. Beiden wäre es vergönnt gewesen, denn wir alle haben kritische Stimmen abseits vom politisch-neoliberalen Mainstream in den Parlamenten bitter nötig.

Mein Eindruck ist, dass beide bisher noch keine Stammwählerschaft für sich gewinnen konnten, sondern bisher ausschließlich Protestwähler(innen) angezogen haben. Allein hier sieht es beim Ergebnis der Landtagswahl in Niedersachsen so aus, als ob die Piraten der „Linken“ die Protestwähler(innen) abgerungen haben könnten. Für beide dürfte es in Zukunft bitter nötig sein, gegen vorurteilsbehaftete Klischees anzukämpfen und durch solide und qualifizierte Basisarbeit eine Stammwählerschaft unter den kritisch denkenden Bürger(inne)n zu gewinnen. Die bisherige „Linksfolklore“ oder das interne Verfransen in digitalen Demokratiemodellen werden keine Stammwählerschaften auf breiter Basis hervorbringen.

Die Probleme von Wohnungsnot, Energieverteuerung, weiterer zunehmender Prekarisierung der Arbeit, Rohstoffplünderung, Privatisierung von Sozialleistungen und Bildung und weiter zunehmender immenser Geldvermehrung zugunsten weniger werden nicht auf Fahnenritualen angegangen, mit denen sich nur ein Häuflein von Linksexoten identifizieren kann, die als Wäh­ler(in­nen)po­ten­zial wohl kaum ausreichen. Ebenso wenig in Diskussionen um Amateur-Pro­gram­mier­bas­te­lei­en von eher durchschnittlichen Webdesigner(inne)n, die von professioneller Softwareentwicklung, Netzplanungstechniken, Datenbankstrukturen et cetera nicht den leisesten Schimmer haben. Projektplanungs- oder Entscheidungsfindungssoftware gibt es schon lange und wird in Unternehmen längst global vernetzt angewandt. Es bedarf hier eigentlich auf politischer Ebene nur der Fachleute, die damit umgehen können und in der Lage sind, professionelle Vernetzungsstrukturen damit aufzubauen, was an sich eine gute Idee ist. Nichts gegen Rechte für „digitale Bürger(innen)“, aber diese digitalen Rechte nützen niemandem, dem der Strom abgestellt wurde, dem die Mittel durch Sanktionen, Mieterhöhungen und geringe Löhne so knapp gehalten werden, dass er sich weder Computer noch Netzanschluss leisten kann. Reelle Ansätze an den Bedürfnissen der Menschen sind hier gefragt.

 

2. Bei der Gelegenheit habe ich mir die Ansprache von Heike Hey zur Gedenkfeier „90 Jahre Bremer Räterepublik“ noch mal angeschaut: „Es wird berichtet, dass auch Frauen Waffen forderten, um die Räterepublik zu verteidigen.“ Da wird sich Frau Hey sicherlich über die aktuelle Nachricht freuen, dass nach Plänen des amerikanischen Verteidigungsministeriums US-Soldatinnen bald an die vorderste Front dürfen. Zu kritisieren finde ich auch, dass unter den Teilnehmer(inne)n dieses Räterepublik-Gedenkens einige Aktivist(inn)en des sich als pazifistisch gebenden „Bremer Friedensforums“ zu erkennen sind. Viele, die dort auftraten, sind Universitätsabsolvent(inn)en. Unreflektierte Märtyrerverehrung mit Kranzniederlegungsritualen an Heldendenkmälern sollte meiner Ansicht nach der „anderen Feld­postnummer“ vorbehalten bleiben.

Linke beziehungsweise linksintellektuelle Kreise sollten sich andere Möglichkeiten ersinnen, historische Ereignisse mit der Fragestellung der Möglichkeiten des friedlichen Aufbaus und der Entwicklung einer neuen Gesellschaft und des Sinnes und der Notwendigkeit ihrer Verteidigung zu bewerten. Meine Bewertung ist, dass der Bremer Räterepublik vor dem Hintergrund des verlorenen Weltkrieges des Kaiserreichs und der Reparationsbedingungen des Versailler Vertrages von vornherein der Erfolg nicht einmal ansatzweise beschieden war. Daher denke ich aus rückwirkender Betrachtung, dass die Opfer sinnlos erbracht wurden.

Damit will ich den damaligen Zeitgenossen, die den Versuch einer neuen Gesellschaft gewagt haben, keinesfalls unterstellen, sehenden Auges auf einen Untergang zugesteuert zu haben. Mir läuft nur die Galle hoch, wenn in der Rückschau intellektuelle Theoretiker(innen), die noch nie ein Sturmgewehr abgefeuert und nicht die leiseste Ahnung von Waffenwirkungen haben, leichtfertig den Waffengebrauch postulieren. Diejenigen, die Waffenwirkungen kennen, sollten das erst recht nicht tun. Wenn ich als Nicht-Pazifist über dieses historische Ereignis im Nachhinein und in aller Kürze resümieren darf: Kämpfen um zu leben – aber nicht, um einen sinnlosen Märtyrertod zu sterben!

Frank Kleinschmidt (parteilos)
 

 
Massive Schäden an Nachbarhäusern befürchtet: Keine Bunkersprengung
in der Braunschweiger Straße! (Bremische Bürgerschaft)
 
Einmal nur mit Pobereit: Regierender Partymeister leitet rechtliche Schritte
gegen amtierende Dschungelkönigsmutter ein („Bild“-Zeitung)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz