25. Bremer Montagsdemo
am 07. 02. 2005  I◄◄  ►►I

 

Keine „gläsernen“
Abgeordneten

Ursula GatzkeSpitzenpolitiker sprechen sich gegen einen tiefen Einblick in die Bezüge der Volksvertreter aus. Das Wahlvolk soll keinen scharfen Blick auf die „Nebeneinkünfte“ der Volksvertreter werfen können!

Bei den „Spitzenpolitikern“ regt sich wahrscheinlich das „Gewissen“, so sie noch eines haben. Denn sie wissen ganz genau, dass sie sich in Grund und Boden schämen müssten, wenn das Wahlvolk sehen würde, was da so alles in die Taschen geschaufelt wird! Von den vielen Extras ganz zu schweigen.

Sie wissen ganz genau, dass das „Wahlvolk“ sehr wütend, zornig und aggressiv reagieren würde! Denn sie sehen selber, wie ungerecht ihre Gesetze für das Wahlvolk sind: Es würde blass vor Neid werden! Und ein „blasses Wahlvolk“ macht nicht gerne seine Kreuzchen für „Spitzenpolitiker“, die schon zu lange an den „vollen Trögen“ gelagert haben!

Es ist besser, wenn das Volk nicht weiß, wie voll die Tröge sind. Denn das Volk läuft zusehends mehr zu den „Tafel“-Geschäften, Essensküchen und Kleiderkammern und kämpft um das Überleben! Es verhungert schier mit den Mini-Renten, der zweiten „Minus-Renten-Runde“ und den Ein-Euro-Jobs!

Unten „gläsern“, ja, das muss so sein! Oben „gläsern“, nein, das darf nicht sein! Leben denn unsere Volksvertreter als Gesetzlose? „Gesetzlose“, die Gesetze für das „gläserne Wahlvolk“ machen?

Ich hoffe nur, dass das „gläserne“ Wahlvolk aufsteht und sich nicht noch mehr von denen mit den „eigenen Gesetzen“ ausbeuten lässt!

Ursula Gatzke (parteilos)

 

Die Narren sind los

Die Narren sind jetzt überall! Von Berlin aus starten sie den Überfall. Nicht auf die Rathäuser, sondern auf die kleinen Leute werfen sie sich wie ‘ne wilde Meute! Der Obernarr heißt Ackermann – ach, wie der ackert, dieser Mann! Gewinnexplosion von fünfzig Prozent! Uns zieht man aus das letzte Hemd! Sechstausend schmeißt er raus aus seinem noblen Bankenhaus! Und guckt dabei brav aus der Wäsche raus!

Und überall Empörung! Hört, wie sie heucheln und gleichzeitig Arbeitsplätze meucheln! Ja, früher, sagen sie, da herrschte noch Moral, da gab sich sozial das Kapital! Doch die Wahrheit ist, liebe Närrinnen und Narrelesen: Es ist noch niemals so gewesen! Was hier herrscht, ist Profitgesetz, deshalb wirst du auf Hartz IV gesetzt! Wer hier herrscht, sind die Monopole: Die haben den Staat im Griff und verwalten die Kohle!

Und der Clement lacht: „Es sieht doch alles super aus, die Ein-Euro-Jobber fallen aus der Statistik raus!“ Doch sein Hartzer Käse ist gerade mal fünf Wochen alt, da zeigt sich die Bilanz eiskalt: fünf Millionen ohne Job! Nee, Hartz IV, das ist ein Flop! Clement, Schröder, ihr seid Lümmel, euer Hartzer Käse stinkt zum Himmel! „Doch“, sagt nun Clement, „wartet ab, die Zeit ist einfach noch zu knapp! In ein paar Monaten“, heißt es jetzt, „hat sicher die Wirkung eingesetzt!“

Schon kommen die Rechenkünstler her: „Arbeitslose, hört mal her! Ihr sollt still sein, das Maul halten und euch in Ost und West zerspalten! Ihr sollt resigniert zu Hause stehn und nicht zur Montagsdemo gehn! Ihr sollt auch enttäuscht euch gegenseitig beharken – derweil kann Ackermann auf dem Weltmarkt erstarken!“

Die denken wohl, zur Narrenzeit sind alle bekloppt, die Leut!? Bloß bei uns hier hat das keinen Zweck: So schnell kriegen die uns nicht von der Straße weg! Was wir hier machen, ist eine Zukunftsinvestition. Wir machen das nicht nur für Arbeit und Lohn: Die Zukunft der Kinder liegt uns am Herzen, damit kann man mit uns nicht scherzen!

Darum, liebe Pappnasen und -näsinnen in Reichstag und Chefetagen, ihr mit den Daimlers in den Garagen, ihr Ackermänner und Esser, Arbeitsplätze-Fresser, ihr Raffgowskis und Schröder: Nein, trotz Pisa, wir werden nicht blöder! Wir nehmen euch eure Scherze nicht ab! Runter mit der Narrenkapp, damit man euch unterscheiden kann von dem kleinen, normalen Mann! Hinter eurer grinsenden Fassade seid ihr eine vollgefressene Made! Made in Germany, sozial war die nie!

Überall, da ruft das Volk: „Hejoh!“ und demonstriert weiter, munter und froh! Und bis nach Berlin, da rufen wir: „Alaaf! Helau! Weg mit Hartz IV!“

Wolfgang Lange: Büttenrede zum Rosenmontag 2005,
nach Karl Nümmes, Berlin und Pit Bäuml, Heilbronn

 

Eigene Homepage
und allerlei Aktivitäten

Weil Rosenmontag war, der in Bremen aber nicht wie in anderen Gebieten gefeiert wird, zogen einige Teilnehmer lustige Gesichtsmasken über, und es erschallte neben flotter Samba-Musik die erste Büttenrede zur widerlichen, verlogenen und bankrotten Politik von Schröder, Clement, Merkel, Stoiber über den Marktplatz. Der Sonnenschein ließ es erstmals etwas später dunkel werden, aber es war ganz schön kalt. Trotzdem hatten sich 53 Teilnehmer zu unserer 25. Montagsdemo versammelt. Es gab wegen der Kälte und der geringeren Zahl von Passanten und Teilnehmern nach der Kundgebung mit offenem Mikrofon ausnahmsweise keine Demo.

Leider sind sich die Studenten noch nicht so klar, wie sie ihren Prostest gegen die Studiengebühren und die Verschlechterung ihrer Lebenslage nach den Demos in Hamburg und anderen Orten weiterführen wollen. So gab es heute noch keine weitere gemeinsame Aktion. Aber neue Kontakte konnten geknüpft werden, so sprach die Vertreterin einer Selbsthilfegruppe der Mousearmsyndrom-Erkrankten und berichtete über den mühsamen Kampf um die Anerkennung als Berufskrankheit. Weiter gab es aktuelle Infos für die Betroffenen von Hartz IV, die jetzt aufgefordert werden, zu begründen, warum sie Widerspruch eingelegt haben. Das ist nichts anderes als ein übles bürokratisches Einschüchterungsmanöver. Widerspruch einzulegen ist nach wie vor richtig und wichtig, weil zum Beispiel viele Bescheide oft erst Wochen nach dem Erstellungsdatum zum Versand gekommen sind.

Die Montagsdemo-Aktiven haben in der letzten Woche allerlei geschafft: seit dem Wochenende eine eigene Homepage, www.Bremer-Montagsdemo.de, und ein Wochenendseminar, auf dem wir, so unterschiedlich wir in Alter, Herkommen und Aktivität waren, größere Schwerpunkte zur Wohnungssituation der Hartz-IV-Betroffenen und zum Internationalen Frauentag entwickelt haben, die nun konkret umgesetzt werden können.

Zum nächsten aktivem Protest bietet sich der kommende Freitagmittag an, wenn „erlauchte Herren“ aus Wirtschaft und Politik mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Milbradt an der Spitze zur „Schaffermahlzeit“ erscheinen und um etwa 13:30 Uhr von der Handelskammer (Haus „Schütting“) quer über den Marktplatz zum Rathaus marschieren: „Wir wollen Sie für einen Euro begleiten“!

Rote Fahne News

 

Montags wird weiter
demonstriert – doch von wem?

Andreas HollingMontagabend, Januar 2005, kurz nach halb sechs. Zwei Polizisten sitzen gemütlich im warmen Streifenwagen, trinken Kaffee und betrachten ein gewohntes Bild: Laute Rufe hallen über den Marktplatz, fremde Gesänge künden von Revolution und Widerstand, Reden klingen von „denen da oben und uns hier unten“, von Volk und Heimat, von Hartz IV und dem Feind, der im „Naturfreundejugend“-Haus in der Buchtstraße tagt. Die Montagsdemo findet mal wieder statt.

Rund 30 Menschen stehen im Dunkeln vor der Bürgerschaft und machen ihrem Frust über die falsche Sozialpolitik der SPD-Agenda 2010 Luft. Einer der Polizisten steigt aus dem Wagen und holt bei fast 0 Grad Kaffeenachschub. Plötzlich füllt sich der Marktplatz, die Demonstration scheint auf das Zwei- oder Dreifache anzuwachsen. Nervosität bei den Herrschenden in der Bürgerschaft und der Polizei – sollte es letztendlich doch zu dem von den Demonstrant(inn)en beschworenen Massenaufstand kommen?

Als der Kaffeenachschub der Polizei eintrifft, hat sich die Situation geklärt, denn die beiden Busladungen einkaufsinteressierter Pensionäre aus Oldenburg haben den Marktplatz bereits wieder Richtung Karstadt verlassen. Nach einer Dreiviertelstunde stimmt die Montagsdemonstration ab und beschließt, wie jede Woche zum Hanseatenhof zu laufen, um dort die Menschen zum Protest abzuholen. Leise verklingen die Gesänge „Keiner schiebt uns weg“ aus der Obernstraße, als die rund 20 übriggebliebenen Teilnehmer(innen) in die Stadt gehen. Für die beiden Polizisten in ihrem Streifenwagen endet eine weitere Montagsdemo.

Als sich am 10. Januar die Trennung zwischen Montagsdemo-Organisation und dem Bremer „Bündnis gegen Sozialkahlschlag und Bildungsabbau“ vollzog, kam dies für viele Außenstehende überraschend. Wer sich jedoch zu den Treffen des Bündnisses verirrte, merkte recht bald, dass die Stimmung der Menschen dort bereits seit Wochen sehr gespalten und nicht mehr sonderlich solidarisch war.

Gründe hierfür gab es viele, hatte doch das Bündnis die Kontrolle über die Montagsdemos vor allem an jene verloren, für die Bündnisarbeit eine sinnentleerte Aneinanderreihung von Silben ist: verbale Vulgärrevolutionäre und Beliebig­keitspopulisten ohne Unterscheidung zwischen rechts und links. Diese formierten sich zur Gruppe der „Unabhängigen Bürger“, welche nun zusammen mit der MLPD als revolutionärer Speerspitze der Arbeiterklasse jene montägliche Veranstaltung planen und durchführen, zu der sich regelmäßig noch etwa 30 Menschen auf dem Marktplatz treffen.

Es war dem Bündnis nicht gelungen, diese Gruppen wieder zu integrieren. Man ist versucht zu sagen: Und das ist auch gut so.

Artikel von Andreas Holling in der Bremer PDS-Zeitung
„Stimmt“, Ausgabe 1 (Februar 2005)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz