14.7.2009

"Bagis ist besser als ihr Ruf"
Sozialressort stellt sich vor Hartz-IV-Behörde / Arbeit unter schwierigen Bedingungen

Von Bernd Schneider

Bremen. "Wir stehen vor einem Scherbenhaufen", sagt Staatsrat Hermann Schulte-Sasse angesichts der Personalprobleme in der Bremer Hartz-IV-Behörde Bagis. "Wir haben den Mitarbeitern nichts anzubieten." Seit die weitere Existenz der Hartz-IV-Behörde ab 2011 ernsthaft auf der Kippe steht, wandern viele Beschäftigte ab. Neues Personal sei für die "Restlaufzeit kaum zu gewinnen". Unter diesen widrigen Bedingungen arbeite die Bagis aber besser als die meisten anderen Hartz-IV-Behörden.

Die Bilanz des Staatsrates im Ressort von Arbeitssenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) klingt ernüchternd: "Die unklare Zukunft schadet der Motivation der Mitarbeiter." Unterm Strich werde die Arbeit mit dem schwierigen Sozialrecht "suboptimal" erledigt. "Aber das ist in dieser Situation mit so vielen neuen Kräften leider nicht zu vermeiden." Und weiter: "Wir bewegen uns damit im Geleitzug mit dem Rest der Republik", sagt Schulte-Sasse. "Das Problem, das wir hier haben, gibt es überall."

Dabei habe es bis März gar nicht schlecht ausgesehen. Unabhängige Arbeitslosenberater bestätigen: Die Jahre 2007 und 2008 waren eine "Phase der relativen Konsolidierung" - und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht Ende 2007 beschlossen hatte: Die Konstruktion der Hartz-IV-Verwaltung ist verfassungswidrig, eine gemeinsame Verwaltung von Bundesagentur für Arbeit (BA) und Sozialverwaltung der Kommune darf es nicht geben. Beide Seiten müssten die volle Hoheit über ihre Finanzen behalten. Spott unter Bagis-Mitarbeitern damals: "Ich hätte nie gedacht, dass ich in einer verfassungsfeindlichen Organisation arbeite."

Doch der Humor dürfte den meisten vergangen sein. Zwar vertrauten sie über ein Jahr auf eine "rechtzeitige Weichenstellung durch die Politik", heißt es im Sozialressort. Und anfangs sah es so aus, als sei dieses Vertrauen gerechtfertigt: Bund und Länder wollten die Verfassung ändern. Doch "zur Überraschung auch ihrer eigenen Ministerpräsidenten in den Ländern" scheiterte das an der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Das politische Desaster nimmt seinen Lauf", die Zerschlagung der Bagis zum 1. Januar 2011 scheint als "wahrscheinlichste Variante".

In dieser Situation genüge es nicht, Personal anzustellen - schon gar nicht, so lange man keine halbwegs zukunftssicheren Arbeitsplätze anbieten könne. Nüchterne Erkenntnis aus dem Sozialressort: "Für 18 Monate Beschäftigungsperspektive bis Ende 2010 gewinnt man kein qualifiziertes Personal." Einzige Hoffnung: Dass die Abgänge sich bis 2011 in Grenzen halten. Doch Zukunftsängste und beginnender Fatalismus zeigten sich schon jetzt. Dabei kommt der schwierigste Teil der Arbeit für die Bagis erst noch - wenn mitten in der erwarteten Abwicklung der Behörde in den Jahren 2010 und 2011 die Zahl der Bagis-Kunden massiv steigen werde, als Folge der Krise.

Aber ihre Probleme hat die Bagis (Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales) nicht erst seit März 2009. Wie alle vergleichbaren Einrichtungen in Städten und Kommunen ging sie 2005 mit viel zu wenig Personal an den Start. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Hartz IV schnellte die Zahl der Leistungsempfänger drastisch nach oben. Staatsrat Schulte-Sasse: "Bislang verdeckte Armutspotenziale wurden sichtbar." Niemand hatte das vorhergesehen.

Das Personal der Bagis stammte zu je einem Drittel von der BA und von der Sozialbehörde. Insgesamt ein Drittel, die meisten fachfremd, wurden befristet bei der BA und der Stadt angestellt - viele nur wenige Monate. Derzeit ist es nur noch ein Viertel. Ihr Vertrag endet oft, wenn sie halbwegs eingearbeitet sind. 2008 wandelte die BA unter dem Druck dieser Probleme einige befristete Stellen in feste um, doch Bremen profitiert davon weniger als andere.

Bei allen Problemen stellen sich die Spitze der Bagis und ihre Träger vor ihre Verwaltung: "Die Bagis ist besser als ihr Ruf", versichert Hans-Uwe Stern, Chef der BA in Bremen. "Das Gesamtergebnis kann sich sehen lassen", vor allem im Vergleich mit anderen Hartz-IV-Verwaltungen. Längst nicht allen gelinge es, Arbeitsmarktprogramme voll auszuschöpfen. Stern: "Jeder bekommt von uns ein Angebot." So setze die Verwaltung "den Auftrag der Integration" um. Bremen nehme in dieser Sache bundesweit "einen der vorderen Plätze ein". Die Zahl der Sozialgerichtsverfahren gegen Hartz-IV-Bescheide sei zudem unterdurchschnittlich, ergänzte Schulte-Sasse. Jeder dritten Klage werde stattgegeben. Damit liege Bremen etwas besser als der niedersächsisch-bremische Durchschnitt. Sein Fazit: "Die Arbeit, die unter diesen schwierigen Bedingungen geleistet wird, hat eine hohe Qualität".

An "objektiven Zahlen gemessen sind wir nicht so schlecht, wie wir oft hingestellt werden", sagte auch der stellvertretende Bagis-Chef Eckhard Lange. In einer bundesweiten Kunden-Befragung habe sich gezeigt: Zwei Drittel bewerten ihre Bagis-Sachbearbeiter mit der Note eins bis zwei. Insgesamt seien nur sieben Prozent mit der Arbeit der Behörde unzufrieden.

Hoffnung auf eine bessere Personallage gibt es aus Sicht des Sozialressorts erst nach der Bundestagswahl. Dann will Bremen im Konzert mit den anderen Ländern und dem Deutschen Städtetag Druck auf die Bundesregierung ausüben. Ziel: An der Betreuung der Hartz-IV-Kunden in einer einzigen Behörde festhalten - statt sie erst zum Sozial- und dann zum Arbeitsamt zu schicken.

© Bremer Tageszeitungen AG



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