Einblicke in bedrückenden Bagis-Alltag Gerichtsprozess: Hartz-IV-Empfänger bedrohte Sachbearbeiterin wegen Kürzung seiner Zuwendungen / Geldstrafe Von Elke Gundel Bremen. Laut Anklage ging es gestern vor dem Amtsgericht um massive Drohungen eines Hartz-IV-Empfängers, dem die Zuwendungen um 30 Prozent gekürzt worden waren, gegenüber seiner Sachbearbeiterin bei der Bagis. Je länger die Verhandlung dauerte, desto stärker rückten aber die für alle Seiten belastenden Bedingungen in der Hartz-IV-Behörde ins Zentrum. Lauter Streit, Türenschlagen, Beschimpfungen, Verzweiflung, Angst und das Gefühl, schikaniert zu werden, sind danach Alltag. Ein Sicherheitsmann der Bagis, der die Auseinandersetzungen zwischen Angeklagtem und Sachbearbeiterin zum Teil miterlebt hatte, sagte über das Verhalten von Hartz-IV- Empfängern: "Auf den Tisch hauen, das macht jeder. Wenn sie kein Geld bekommen, werden sie wütend." Und über die Gesprächsatmosphäre zwischen den beiden sagte er: "Beide waren auf 300. Er wollte einen Deutschkurs. Sie wollte ihn zur Arbeit schicken." Was dem Sicherheitsmann außerdem auffiel: "Er hat sie überhaupt nicht verstanden. Er kann kein Deutsch." Das, sagte der 44-jährige Zeuge, habe er gemerkt, als er sich nach dem Streit mit dem 35-jährigen Türken unterhalten habe. Der Sicherheitsmann, an die zwei Meter groß und kräftig, fügte hinzu: "Ich glaube nicht, dass er ein gefährlicher Mensch ist. Der hat das nur nicht verstanden und hat sich aufgeregt." Der Angeklagte schilderte die Auseinandersetzungen mit seiner Sachbearbeiterin am 23. Juli, 11. Oktober und 15. November 2007 so: Die Frau habe ihn ständig unter Druck gesetzt, er solle sich eine Vollzeit-Stelle suchen. Dabei habe er damals bei einem Paketdienst gearbeitet, rund 20 Stunden die Woche, auf 400-Euro-Basis. Sein Chef habe ihm gesagt, daraus könnte in einigen Monaten eine volle Stelle werden. Deshalb habe er nicht verstanden, warum er den Job aufgeben und sich einen anderen suchen sollte. Dann habe er seine Sachbearbeiterin darum gebeten, einen Deutschkurs machen zu können. Stattdessen habe sie ihm einen Ein-Euro-Job vermittelt. Da sei er nicht hingegangen. Sein Eindruck: Die Frau habe ihm immer nur Schwierigkeiten gemacht, vermutlich weil sie ihn nicht mochte. Weil ihn die Besuche bei der Bagis so belasteten, habe er Beruhigungsmittel geschluckt, einmal auch eine Tablette gegen Depressionen. An einem Tag habe er einen Freund mitgenommen, zum Übersetzen. Ein anderes Mal habe er den Sicherheitsmann, der gestern vor Gericht aussagte, gebeten, ihn zu dem Gespräch zu begleiten. Er habe 40 Firmen besucht, sagte der Angeklagte weiter, und nach Jobs gefragt. Bei vielen sei er nicht aufs Gelände gelassen worden. Etwa 20 bis 25 hätten ihm schriftlich bestätigt, dass sie keine Arbeit haben. Das habe er seiner Sachbearbeiterin vorgelegt, die habe das aber nicht interessiert. Die Bagis-Mitarbeiterin sagte dazu, sie könne sich nicht erinnern, dass der Angeklagte ihr jemals einen solchen Nachweis mitgebracht habe. Als ihm die Zuwendungen gekürzt wurden - drei Monate lang um jeweils gut 100 Euro -, habe er von seiner Frau und den drei Kindern getrennt gelebt. Das habe ihm sehr zu schaffen gemacht. Er sei depressiv geworden, habe deshalb Medikamente bekommen und seiner Sachbearbeiterin für Oktober auch zwei Krankschreibungen vorgelegt. Trotzdem sei ihm das Geld Anfang November gekürzt worden. Er sei sehr aufgebracht gewesen. Es könne sein, dass er seine Sachbearbeiterin beschimpft habe. Aber er habe nicht gedroht, sie zu erschießen oder sie mit einer Giftspritze zu attackieren, sagte er. Die Bagis-Mitarbeiterin erinnert sich anders. Als sie ihm im Juli erklärt habe, er müsse sich bei mehreren Zeitarbeitsfirmen bewerben, sonst drohe eine Kürzung der Leistungen, habe er mit einer Geste gedroht, sie zu erschießen und gesagt: Seine Akte bei der Polizei sei schon so dick, da falle eine weitere Tat nicht mehr ins Gewicht. Bei seinem Besuch am 11. Oktober sei er aufgebracht zweimal aus ihrem Büro gelaufen, wieder reingekommen, habe mit den Fäusten auf den Tisch getrommelt und sie bedroht. Am 15. November sei die Situation erneut eskaliert, wieder habe er Drohungen ausgestoßen wie: "Ich mach dich fertig. Ich mach dich weg. Ich mach dir ’ne Spritze." Sie habe das Gespräch abgebrochen. Der Sicherheitsmann habe ihr hinterher erzählt, der 35-Jährige habe ein Messer dabeigehabt - laut Anklage ein Butterfly-Messer. Gestern stellte sich heraus: Der Angeklagte trägt seit vier Jahren ein Taschenmesser an seinem Schlüsselbund mit sich herum - möglicherweise hatte der Sicherheitsmann dieses Messer gesehen. Sie habe monatelang vor Angst ihr Büro abgesperrt, immer ein mobiles Alarmgerät bei sich getragen und sorgfältig darauf geachtet, dass niemand ihre Adresse erfahren kann, schilderte die Bagis-Mitarbeiterin, wie sehr ihr die Bedrohungen unter die Haut gegangen sind. Erst als der 35-Jährige in U-Haft saß, habe sie sich wieder entspannt. Verurteilt wurde der 35-Jährige schließlich zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je acht Euro - wegen versuchter Nötigung in drei Fällen. Er kann die Summe in monatlichen Raten von 24 Euro abbezahlen oder abarbeiten. Der Angeklagte verzichtete wie die Staatsanwältin auf Rechtsmittel, so wurde das Urteil sofort rechtskräftig. „Weser-Kurier“ vom 9. Juli 2009