235. Bremer Montagsdemo
am 22. 06. 2009  I◄◄  ►►I

 

Hier stehen keine Menschen,
die zu faul sind zu arbeiten

Udo RiedelEinfach nur erschreckend, die Ewiggestrigen! Es gibt immer noch Menschen, die scheinbar nicht begreifen wollen und mit ihren unqualifizierten Äußerungen meinen Blutdruck steigen lassen. Also ist es wieder mal Zeit, ein bisschen Aufklärung zu betreiben: Liebe Leute, hier stehen keine Menschen, die zu faul sind zu arbeiten – und auch keine, die in irgendeiner Weise politische Phantasten sind! Wir sind einfach nur eine Bewegung, die gegen Sozialabbau eintritt. Wir sind unabhängige Bürger, bei uns kann jede(r) mitmachen. Wir stehen hier seit fünf Jahren in der Öffentlichkeit – und, wenn Sie ehrlich sind, durch dumme, unqualifizierte Äußerungen am Pranger!

Wir haben natürlich nicht das Geringste gegen Kritik, wohl aber gegen Verunglimpfung. Glauben Sie wirklich im Ernst, wir würden hier stehen und keiner Arbeit nachgehen, und das seit fünf Jahren? Seit ich Rentner bin, muss ich leider feststellen, dass ich genauso viel arbeiten muss, nur mit einem Unterschied: Ich bekomme kein Geld mehr dafür. Und dann wird man als Mensch, der sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, auch noch verunglimpft und beleidigt! Pfui, sage ich, ihr habt es in meinen Augen gar nicht verdient, dass man sich für euch einsetzt. Ihr tut den Menschen hier sehr weh damit, wisst ihr das eigentlich?

Uns wird auch nachgesagt, wir entfernten uns von den eigentlichen Zielen der Montagsdemo immer weiter. Wir wollen mit unseren Beiträgen nur Zusammenhänge klären und nicht unsere Linie verlassen: Wir nehmen uns das demokratische Recht heraus, Missstände und Misswirtschaft anzuprangern. Wenn ihr der Meinung seid, dass wir falsch liegen, kommt her und sagt es uns hier am Offenen Mikrofon, aber seid bitte fair und denkt daran: Hier stehen keine Querulanten, sondern Menschen, die verhindern wollen, dass wir nur noch ein Spielball für bestimmte Leute sind.

Euch sollte die Krise doch wohl zeigen, dass jeder der nächste Kandidat werden kann, der in Armut getrieben wird und nie wieder rauskommt. Statt uns also hier anzuprangern, macht lieber mit, damit unsere Gesellschaft wieder sozialer wird! Bleibt hier stehen oder kommt jeden Montag zu uns und sagt unseren Politikern die Meinung! Aber bitte nicht persönlich beleidigen, denn Politik ist die Kunst des Machbaren, und wenn sich in der Politik etwas ändert wie demnächst die Erhöhung der Schonvermögen, dann ist das auch ein Verdienst der Montagsdemonstrant(inn)en.

Noch ein persönlicher Wunsch an die Medien: Ihr könnt über Missbrauch berichten, der bestimmt mal vorkommt, aber dann berichtet auch darüber, dass es die Montagsdemo in ganz Deutschland noch immer gibt! Wir wären auch gerne bereit, euch ein Interview zu geben. Das gilt besonders für eine Bremer Tageszeitung, die uns immer noch kleinhalten möchte!

Udo Riedel (parteilos)

 

Antwort: bisher noch keine!

Frank KleinschmidtAuf den Internetseiten von „Kandidatenwatch“ sind zwei an die Bremer SPD-Sozialsenatorin gerichtete Fragen von Hartz-IV-Betroffenen zu finden:

1. „Sehr geehrte Frau Rosenkötter, ich bin Mutter eines seit fast vier Jahren arbeitslosen Sohnes mit drei Kindern im Alter von 15 und 16 Jahren aus erster Ehe und einem Sechsjährigen, der jetzt zur Schule kommt. Der 16-Jährige ist zurzeit sehr schwierig und braucht besonders viel Beachtung, doch unsere 28-jäh­ri­ge Schwiegertochter musste wieder einen Eingliederungskursus mitmachen. Mein Sohn arbeitet jetzt, bekommt aber weiter Hartz IV. Unsere Schwiegertochter muss nun ab August eine dreijährige Halbtagsumschulung machen. Auf den Menschen wird überhaupt keine Rücksicht genommen! Das erbost mich sehr. Ist die Frau nicht genug ausgelastet? Wenn sie sich jetzt weigert, wird meinem Sohn das Geld gekürzt. Sagen Sie mal, wo leben wir eigentlich? Die Schwiegertochter ist jetzt schon völlig überlastet! Ich fürchte, dass die Ehe noch kaputt geht. Ist das so gewollt? Unsere Kinder wollen arbeiten, so sind sie auch von uns erzogen, aber dies geht zu weit! Dann redet die Frau von der Leyen von ‚Familienpolitik‘. Das ist doch alles verlogen! Wie kann man das nun bei uns ändern? Geben Sie mir bitte einen Rat. Mit freundlichen Grüßen, B. Schadwinkel.“

2. „Sehr geehrte Frau Rosenkötter, im Zusammenhang mit Hartz IV stehen immer wieder Strukturfragen im Raum. Der Bedarf des einzelnen Kindes fällt unter den Tisch. Ich beobachte den Gang der Diskussion mit großer Sorge. Es scheint so, als ob ‚sauber aufbewahrt‘ alles wäre! Im Regelsatz ist zum Beispiel das Essen für ein Kind mit 2,71 Euro pro Tag veranschlagt. Damit werden meine Kinder aber nicht satt! Angemessene Kleidung ist im Wachstumsalter ebenfalls nicht ‚drin‘. Durchschnittliche Schulausgaben liegen nach meiner Erfahrung bei rund 30 Euro im Monat, wenn einer Bücher für den Gymnasialunterricht braucht, wenn ein Schulausflug ansteht, für Stifte, Hefte, Ordner, Taschenrechner, Lexika, Klassenkasse oder Sportkleidung. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Selbst die Fahrt zur Schule ist nicht frei! Von Ausgaben für Noten, Instrumentalunterricht et cetera ganz zu schweigen: Eine gerissene Cellosaite wird zur Finanzkatastrophe. Das gesamte Kindergeld ist ja bei Hartz IV ersatzlos gestrichen. Der ‚Deutsche Kinderschutzbund‘ forderte die Wiedereinführung einmaliger Beihilfen für Bildungsausgaben. Was sagen Sie dazu? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort! Mit freundlichen Grüße, E. Lahusen.“

Antwort von Ingelore Rosenkötter: bisher noch keine!

Frank Kleinschmidt (parteilos, „so:leb – Sozialer Lebensbund“)

 

„Hohe Privatvermögen besteuern“,
was heißt das genau?

Wieland von Hodenberg„Die Linke“ hat verkündet, dass sie im Sinne einer sozial gerechten Gesellschaft alles besser machen will. Sie will bis 2013 einen gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro einführen und parallel dazu den Hartz-IV-Regelsatz auf 500 Euro anheben. Lafontaine forderte ganz in unserem Sinne, dass Hartz IV weg muss. In diesem Punkt gibt es wohl Uneinigkeit in der Partei, und dies scheint auch für die Forderung nach Auflösung der Nato zu gelten. Einig waren sich dann alle wieder beim sofortigen Truppenabzug aus Afghanistan.

Beschlossen wurde auch die Besteuerung von hohen Privatvermögen mit mindestens fünf Prozent, und eine Börsenumsatzsteuer soll 70 Milliarden Staatseinnahmen zusätzlich bringen. Was heißt das nun eigentlich genau? Für mich wirkt das alles sehr unkonkret. Mit einem Investitionsprogramm von 100 Milliarden Euro sollen zwei Millionen neue Stellen im öffentlichen Bereich finanziert werden. Außerdem sollen weitere 100 Milliarden in einen Fonds für „zukunftsfähige sozial-ökologische Entwicklung industrieller Arbeitsplätze“ fließen. Auch hier hätte ich mir mehr Genauigkeit an Hand von nachvollziehbaren Beispielen gewünscht.

Lafontaine sagte zur Notwendigkeit einer totalen Kontrolle der Finanzmärkte: „Nicht die Bundesregierung kontrolliert die Banken, sondern die Banken kontrollieren die Bundesregierung. Wenn Merkel, Steinbrück und zu Guttenberg mit Ackermann (Deutsche Bank), Blessing (Commerzbank) und Diekmann (Allianz-Versicherung) zusammensitzen, dann entscheiden nicht die demokratisch gewählten Mitglieder der Bundesregierung, sondern die demokratisch nicht legitimierten Vorstände des Finanzsektors. Die Gesetzentwürfe zur Finanzmarktstabilisierung sind nicht von Regierungsbeamten oder Bundestagsabgeordneten ausgearbeitet worden, sondern von Lobbyisten der Finanzwirtschaft, die in den Bundesministerien beschäftigt sind oder von Anwaltskanzleien, die im Sold der Banken stehen. Wir fordern die Beendigung der Beschäftigung von Lobbyisten in den Bundesministerien!“

Das klingt sehr erfreulich, und es ist zu hoffen, dass die guten Ansätze in dem Programm erhalten bleiben und nicht in den nächsten Wahlkampf-Monaten wieder zerredet werden.

Wieland von Hodenberg („Bremer Friedensforum“, „Solidarische Hilfe“)

 

„Faire Löhne“ – mit ergänzenden
staatlichen Leistungen?

Elisabeth Graf1. In Deutschland sind ungefähr drei bis vier Millionen Privathaushalte überschuldet. In 29 Prozent der Fälle ist Erwerbslosigkeit die Ursache dafür. Nach dem „Schuldenreport 2009“, den verschiedene Sozialverbände erstellen, besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Armut und Überschuldung. Als zweithäufigster Grund wird die Veränderung der Lebensumstände genannt, wozu unter anderem Trennung, Scheidung oder Tod des Partners gezählt werden. Von daher ist es kaum überraschend, dass neben Erwerbslosen vor allem alleinerziehende Mütter in der Schuldenfalle sitzen, die bei etwa 60 Prozent der insgesamt Betroffenen aus rückständigen Krediten resultiert.

In diesem Zusammenhang übten die Wohlfahrtsverbände scharfe Kritik an den Banken und warfen ihnen vor, trotz milliardenschwerer Unterstützung mit Steuerngeldern ihre Kunden in wirtschaftlicher Not rücksichtslos zur Kasse zu bitten. So hätten viele Geldhäuser die Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank von vier auf ein Prozent nicht nur nicht weitergegeben, sondern die Zinsen bei Kontenüberziehung dreisterweise sogar noch erhöht und damit über eine Milliarde Euro verdient. Zu allem Überdruss böten Bankberater oft überteuerte Umschuldungen an, die Verbraucher noch tiefer ins Schuldenkarussell trieben. Die Wohlfahrtsverbände erneuerten ihre Forderung nach einem gesetzlich geregelten Recht auf ein Girokonto. 2008 sahen beinahe 100.000 Menschen keine andere Möglichkeit mehr für sich als in die Privatinsolvenz zu gehen, um überhaupt je wieder Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Neuanfang hegen zu können. Weil die Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftskrise im „Schuldenreport 2009“ noch gar nicht berücksichtigt wurden, ist mit weit höheren Zahlen zu rechnen, die Anlass zur Sorge geben.

 

2. Vergangenen Montag glaubte ich meiner Sinneswahrnehmung misstrauen zu müssen, als ich den Chef der Spezialdemokraten in vorderster Front mit lovely Ursula von der Leyen bei der Großkundgebung in Köln für höhere Bezahlung und einem besseren Gesundheitsschutz für die bundesweit 220.000 Erzieher in kommunalen Kindertagesstätten sah: Seit’ an Seit’ schritt die Politprominenz mit den unterbezahlen Erzieher(inne)n und Sozialarbeiter(inne)n auf der Straße und heuchelte Verständnis für die berechtigten Forderungen! Mit dem Hinweis darauf, dass in den Beruf der Erzieher und Sozialarbeiter investiert werden müsse, wenn Qualität für die Kinder gewollt sei, forderte die Familienministerin eine schnelle Einigung im Tarifstreit. Warum werden dann die Kommunen ausgeblutet, sodass halt „kein Geld“ mehr da ist, um die Erzieher und Sozialpädagogen anständig zu bezahlen? Die sagenhafte Erkenntnis von Franz Müntefering, dass Erzieher so wichtig wie Professoren an den Hochschulen seien, führte bei den Tarifverhandlungen leider nicht zu der eigentlich logischen Konsequenz, das Gehalt der Erzieher und Sozialarbeiter dem der Professoren anzugleichen. Papier ist ja so geduldig! Deswegen dürfen augenscheinlich immer weiter vollkommen bedeutungslose Worthülsen ausgesabbert und Solidarität vorgespielt werden.

 

3. In der letzten Woche meldete der „Weser-Kurier“, das Sozialressort suche weitere 350 Tagesmütter, die sich um etwa 1.500 kleine Kinder kümmern. Bis 2013 soll die Betreuungsquote von Unterdreijährigen bis auf 35 Prozent steigen. Wer sich als Tagesmutter selbständig machen will, dem wird eine 160 Stunden umfassende „Schulung“ angeboten, in vermutlich vier Wochen. Es wundert mich gar nichts mehr, wenn ich lese, wo diese Idee ausgebrütet wurde: nämlich in Zusammenarbeit von Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter und Arbeitsagenturchef Hans-Uwe Stern. Da besitzt die Sozialsenatorin die Stirn zu behaupten, eine Stärkung der Tagespflege bedeute nicht, dass Bremen seine Verantwortung auf die Tagemütter abwälze! Gibt es denn tatsächlich noch eine Alternative dazu, es anders zu sehen? Im europäischen Ausland werden Erzieher(innen) wie Lehrer(innen) an der Hochschule ausgebildet! Nur in Deutschland und Österreich reicht offenbar eine Fachschule für Sozialpädagogik aus. Aber auch dies kann ja noch unterboten werden.

Obwohl der Lohn der deutschen Erzieher(innen) katastrophal niedrig ist, wir uns oft in Teilzeit verdingen müssen und von dem mageren Gehalt dann nicht leben können, scheinen wir noch immer zu teuer zu sein! Wozu zwei bis vier Jahre Ausbildung absolvieren, wenn das „umfassende“ Wissen übers Kind doch auch in nur vier Wochen „erarbeitet“ werden kann? Ich hörte schon von einem neuen Modell, wie demnächst die Arbeit von Erzieher(inne)n und Tagesmüttern unter einem Kita-Dach geleistet werden soll: Wenn von den Eltern mehr Ganztagsplätze beantragt werden als die Kita anbieten kann, darf nachmittags in den Räumen der Gruppen, wo die Kinder nur vormittags betreut werden, eine Tagesmutter sich um fünf bis sieben Kinder kümmern, die dann aus ihrer Halbtagsgruppe entlassen worden sind. Statt mehr Erzieher(innen) einzustellen, sollen wir nun wohl von den noch viel schlechter bezahlten Tagesmüttern Konkurrenz bekommen und Angst davor entwickeln, dass unsere Stelle als Erzieher(in) durch eine Tagesmutter eingespart werden könnte? Die hehren Ziele werden immer höher gesteckt, wenn berechtigterweise die Sprachfähigkeit oder die Selbstbildung von Kindern gefördert werden soll – bloß mehr als einen Apfel und ein Ei darf es bitte nicht kosten! Was uns heute zu kostspielig erscheint, wird uns morgen teuer zu stehen kommen.

 

4. In der „Dienstanweisung“ eines Hannoveraner Unternehmens steht, dass Angestellte nur mit Erlaubnis des Vorgesetzten zur Toilette dürfen. Alkohol sei auch in der Freizeit verboten, und Mitarbeiter dürften auf Dienstreisen auf ihren Zimmern keine Butterbrote essen. Die „Arbeitnehmerkammer Bremen“ kritisiert, dass so weitreichende Verbote in Persönlichkeitsrechte eingreifen und dies niemandem vorzuschreiben sei. Daraus folgert der Geschäftsführer und Leiter der Rechtsabteilung, Ingo Schierenbeck, dass demjenigen, der ein Jobangebot unter diesen Bedingungen ablehnt, das Arbeitslosengeld I oder II nicht gestrichen werden kann. Der 50-jährige Arnold D. war von der Arge zu einem Unternehmen geschickt worden, wo er ein Anfangsgehalt von nur 7,30 Euro hätte bekommen können. Kein Wunder, dass er über diese in das Persönlichkeitsrecht eingreifenden Stellen in der dreiseitigen Dienstanweisung stolperte.

 

5. Ach, wie nett: Die Union will Familien, Rentnern und Arbeitslosen helfen, wenn sie nach der Bundestagswahl ihre Wünsche durchsetzen kann. Neben verschiedenen steuerlichen Begünstigungen und einer nicht genau bezifferten Erhöhung des Kindergeldes verspricht die Union, das Schonvermögen von ALG-II-Beziehern „wesentlich zu erhöhen“. Außerdem sollen die Hinzuverdienstregeln für Bezieher von Arbeitslosengeld II ebenfalls verbessert werden. Doch als besonderes Bonbon soll es Geld künftig nur noch bei einer Gegenleistung geben. Selbstredend „muss“ natürlich auch der Missbrauch endlich konsequenter als bisher bekämpft werden! Im Entwurf für das „Regierungsprogramm 2009 bis 2013 von CDU und CSU“ wird am Ziel „Arbeit für alle“ festgehalten. Die Unionsparteien sprechen sich demnach für ein Mindesteinkommen mit einer „Kombination aus fairen Löhnen und ergänzenden staatlichen Leistungen“ aus. Gerne wüsste ich, wie Löhne als fair bezeichnet werden können, die noch einer zusätzlichen staatlichen Förderung bedürfen! Das heißt dann wohl auf gut Deutsch: Wer ALG II erhalten möchte, muss dafür 40 Stunden die Woche arbeiten!

Spätestens jetzt muss es doch allen klar sein, welche Schweinereien hier Mistgabel für Mistgabel aus den USA zu uns nach Deutschland stinken: Na klar, Hartz IV soll durch Workfare ersetzt werden, also durch Sozialleistungen gegen Arbeit: Nur wer arbeitet, soll auch Sozialleistungen erhalten. Es zielt auf die Abschaffung der sogenannten sozialen Marktwirtschaft und die Schaffung eines reinen profitorientierten Kapitalismus hin. Mit dem System Workfare kann auf das Fördern nun ganz verzichtet werden. Es sollen indes nur noch Kosten eingespart werden. Als Grundvoraussetzung hierfür dürfte die Abschaffung des Sozialstaatsgebotes aus dem Grundgesetz dienen. Die Grundsicherung für erwerbsfähige Erwerbslose soll nur noch gezahlt werden, wenn Bedürftige dafür unentgeltlich dort arbeiten, wo das Amt sie hinschickt. Als Vorbild dienen die ehemaligen Ein-Euro-Jobber, deren Mehraufwandentschädigung ersatzlos gestrichen werden soll. Sie können dann ohne Beschränkungen überallhin vergeben werden, auch und gerade in die Privatwirtschaft.

Somit können sozialversicherungspflichtige Angestellte, die entlohnt werden müssen, ganz legal durch arbeitsdienstverpflichtete Grundsicherungsempfänger ersetzt werden. Diese sollen offenbar zu Arbeitnehmern ohne Arbeitnehmerrechte werden, deren „Lohn“ als Grundsicherung vom Staat bezahlt wird: 100 Prozent Subventionen für Arbeitgeber als bestmögliche Profitmaximierung! Das Ziel ist ein eiskalter Kapitalismus nach dem Grundsatz „friss oder stirb“. Da wird uns das Wahlprogramm der Union wahrlich eine große Hilfe sein, um Zukunftsangst zu fördern! Eine allgemeine Arbeitspflicht kann nur dazu führen, dass in großem Stil regulär bezahlte Arbeit vernichtet wird. Die Arbeitgeber könnten dann in Zukunft jeden Arbeiter für die Höhe von Hartz IV oder – bezuschusst – noch weniger haben. Warum dann überhaupt noch Tariflöhne zahlen? Wenn jeder Arbeiter und Angestellte in Deutschland künftig nur noch 600 bis 800 Euro netto verdient, dafür aber zusätzlich noch auf Sozialleistungen angewiesen ist, dann wird sich vielleicht in Deutschland etwas regen. Der Sinn der Hartz-Gesetze liegt offensichtlich darin, Zwangsarbeit einzuführen und den ersten Arbeitsmarkt massiv anzugreifen und zur Profitmaximierung der Unternehmer freizugeben!

 

6. Wer am 27. September 2009 das Rennen macht, wird, auf die Staatsfinanzen bezogen, ein schweres Erbe antreten: Bis 2013 fehlen in der deutschen Staatskasse zwischen 300 und 500 Milliarden Euro. Der Bund steuert auf die höchste Neuverschuldung aller Zeiten zu. In der Wirtschaftskrise brechen die Steuer­einnahmen ein, gleichzeitig steigen die Arbeitslosigkeit und die Lasten für den Staat. Allein nächstes Jahr müssen neue Kredite in Höhe von 86 Milliarden Euro aufgenommen werden – so viel wie nie zuvor. Für 2011 sind 72 Milliarden eingeplant, für 2012 rund 59 Milliarden und für 2013 immer noch 45 Milliarden. Für den gesamten Zeitraum rechnet der Bund mit mindestens 300 Milliarden neuen Schulden, am Ende könnte es auch auf eine halbe Billion hinauslaufen. Wie unter diesen Voraussetzungen bis 2016 die strengen Vorgaben für die Schuldenbremse eingehalten werden sollen, bleibt ein streng gehütetes Geheimnis. Klar kann nur sein, dass der Rotstift angesetzt werden wird. Wo, das steht auch schon längst fest: überall dort, womit sich im Moment niemand profilieren kann, also bei den Ausgaben für Bildung, Soziales, Gesundheit – wie immer, wenn von unten nach oben geschaufelt wurde!

 

7. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied letzte Woche, dass Erwerbslose Anspruch auf kostenlose Rechtsbeihilfe haben (Aktenzeichen: 1 BvR 1517/08). Das gilt selbst dann, wenn sie gegen Kürzungen ihres Arbeitslosengelds vorgehen – und damit indirekt den Staat verklagen. Eine erwerbslose Frau aus Sachsen reichte dagegen Klage ein, dass ihr rund 120 Euro im Monat gekürzt wurden, weil sie im Krankenhaus war und sich deshalb Haushaltsausgaben erspart hat. Das wollte sie nicht hinnehmen und verlangte die Beratung eines Anwalts. Doch erweigerte ihr das Amtsgericht Zwickau das Geld für die Beratung. Es wurde von ihr verlangt, selbst bei der Widerspruchsstelle vorzusprechen und deren kostenlose „Beratung“ in Anspruch zu nehmen. Unglaublicherweise ist diese Stelle jedoch mit der Ausgangsbehörde identisch! Glücklicherweise legte die Erwerbslose Verfassungsbeschwerde ein und bekam Recht. Die Verfassungsrichter fügten sich nicht in den Mainstream ein, sondern verwiesen noch immer auf das Sozialstaatsprinzip, dessen Ziel es ist, Bemittelten und Mittellosen den gleichen Zugang zum Recht zu ermöglichen. Schön, dass auch die Richter erkannten, welch fauler Hund es gewesen wäre, sich ausgerechnet von der Stelle beraten lassen zu sollen, deren Entscheidung im Widerspruchsverfahren angegriffen wird! Diese Stelle muss zwangsläufig in einem Interessenkonflikt stehen. Daher dürfe der Klägerin eine unabhängige Beratung nicht vorenthalten werden. Es lohnt sich fast immer, Rückgrat zu zeigen und sich sein Recht zu erkämpfen!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
„Verwaltungsanweisung Wohnen“ geändert: Leser tun bitte ihre Meinung über die Änderungen und die Erfahrungen mit der Bagis kund („Soziales Bremen“)
 
CSU hält Quelle flüssig: Die Ratschläge von Pleite-Baron „Futz“ Guttenberg
gelten in Bayern nicht so viel („Süddeutsche Zeitung“)

 

Lehrstellen fehlen vor
allem in der Großindustrie

Wolfgang LangeEs gibt eine Klatsche für die Bagis: Das Bremer Landessozialgericht verurteilt die hiesige Arge dazu, bei drohender Sperrung von Gas, Strom oder Wasser auch bei kinderlosen Haushalten die Rechnung auf Darlehensbasis zu übernehmen. Ein schöner Erfolg!

Letzte Woche gingen in ganz Deutschland über 270.000 Schüler und Studenten auf die Straße. Sie forderten die Abschaffung der Studiengebühren von 400 bis 500 Euro pro Semester, ein kostenloses Schulsystem von Kita bis Hochschule, das Recht auf politische Meinungsäußerung und Betätigung, die Abschaffung von Kopfnoten, Zensur und Turbo-Abi.

Wichtig ist der Kampf gegen die Benachteiligung der Arbeiter- und Arbeits­losen-Kinder, deren Anteil an den Universitäten auf weniger als acht Prozent gesunken ist! Es werden auch mehr Lehrstellen vor allem in der Großindustrie benötigt, denn letztes Jahr gingen schon 352.000 Bewerber leer aus, mehr als jeder zweite. Nochmals um 5,7 Prozent sank jetzt die Zahl der Lehrstellen, circa 600.000 fehlen in Deutschland!

Über eine Million Jugendliche ist hierzulande auf Hartz IV angewiesen. Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise steht das ganze kapitalistische System am Pranger vieler Demos, die sich bewusst an Methoden der Arbeiterbewegung orientieren, etwa durch Einsatz des Offenen Mikrofons. Letzten Montag war „Tag der Gebäudereinigung“ in Dresden. Das könnte auch gut in Bremen stattfinden.

Wolfgang Lange ist Bremer Kandidat der MLPD (Offene Liste)
für die Bundestagswahl 2009
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz