233. Bremer Montagsdemo
am 08. 06. 2009  I◄◄  ►►I

 

Eine Chance wurde verpasst

Udo RiedelEigentlich habe ich nichts anderes erwartet. Es bleibt alles heim Alten, Desinteresse eingeschlossen: Europa hat gewählt, und nicht einmal die Hälfte der Bürger war bereit, die Wahlurne aufzusuchen. Traurig! Wer nicht zur Wahl geht, darf sich auch nicht beschweren. Ärgerlich ist das für die Menschen, die eine andere Politik wollten: Sie sind nun auch enttäuscht. Nun können uns die in Brüssel weiter drangsalieren mit unausgegorenen Gesetzen, meinen die Nichtwähler. Die großen Parteien haben einen Denkzettel bekommen, und die kleinen haben hinzugewonnen. Leider sind da zu viele linksgerichtete Parteien, die man unter einen Hut bringen muss.

Ich möchte kurz aus den sogenannten Lissa­bonner Verträgen zitieren: „Die Europäische Union wird auch in Zukunft nicht zu einem Superstaat, wie es in einigen Mitgliedsländern diskutiert und befürchtet wird. Mit dem Vertrag von Lissabon wird noch stärker als bisher gewährleistet, dass sich die Europäische Ebene auf jene Bereiche und Entscheidungen beschränkt, die auf nationaler oder regionaler Ebene nicht besser gelöst werden können.“ Mit anderen Worten: Europa will den Ländern keine Vorschriften machen, ihre Probleme zu lösen. Doch davon hat die eigene Regierung natürlich nie gesprochen, im Gegenteil: Stets behauptet sie steif und fest, Brüssel verlangt es. So ist es auch kein Wunder, dass unsere Bevölkerung der Meinung ist: „Brüssel schreibt uns alles vor, und wir müssen es tun. Nee, da gehe ich nicht zur Wahl! Solche Leute soll ich auch noch wählen?“

Die Wahlbeteiligung war auch deshalb so gering, weil wir Deutschen bis heute nicht gefragt worden sind, ob wir dieses Europa überhaupt wollen. Die Regierung hatte wohl Angst, dass wir Menschen nein gesagt hätten! Wer sich ein wirkliches Bild von den Lissabonner Verträgen macht, hat Interesse und geht auch wählen. Aber 416 Seiten zu lesen, ist schon schwer genug – sie zu verstehen erst recht. Hätten die Regierungen von Europa allerdings der Bevölkerung wirklich reinen Wein eingeschenkt, wäre ein ganz anderes Europa herausgekommen! So können sie nun getrost weitermachen, die sogenannten nationalen Regierungen. Doch wir Mitmenschen in einer Demokratie haben die Macht, uns die Regierung frei zu wählen, die uns und unsere Ansichten vertritt – durch freie Wahlen! Und wenn die uns nicht passen sollte, haben wir auch das Recht, sie wieder abzuwählen!

Liebe Leute, wählt die ab, durch die wir leiden müssen! Wenn jedoch die anderen gewinnen, gilt in einer Demokratie das Mehrheitsprinzip. Wer dies nicht anerkennt, befindet sich nicht auf dem Boden der Demokratie! Euch Jugendlichen möchte ich dringend raten, euch mit der Politik wirklich zu befassen, in eurem eigenen Interesse, und das gilt auch für Europawahlen. Im September habt ihr die Möglichkeit, auch als Erstwähler Einfluss zu nehmen. Ich jedenfalls werde keine Regierung wählen, die mich in irgend einer Weise schädigt, auch wenn man das, was man haben möchte nicht immer bekommt. Lasst euch von niemanden davon abhalten, der behauptet: „Die machen doch, was sie wollen!“ Das können sie nur, wenn wir es zulassen. Politik ist die Kunst des Möglichen. Machen wir es möglich, gehen wir zur Wahl im September, und Hartz IV war einmal!

Udo Riedel (parteilos)

 

Die Häkchen-wechsel-dich-Routine

Leserbrief zum „Weser-Kurier“-Artikel „Bagis: Kunden immer zufriedener

 

Gerolf D. BrettschneiderWer sich fragt, wie die beschriebene Kundenzufriedenheit bei der Bagis zustande kommt, sollte einen Hartz-IV-Be­troffenen dorthin begleiten. Bei mir wurde jetzt solch ein Amtsbesuch notwendig, als am Vierten – trotz Leistungsbewilligung auch für die Folgemonate und ohne dass eine Sanktion verhängt worden wäre – das Arbeitslosengeld II noch immer nicht auf meinem Konto eingegangen und demzufolge die Abbuchung von Miete und Nebenkosten­nachfor­derung geplatzt war.

Die Existenzängste, die solch ein Schock auslöst, brauche ich wohl nicht zu beschreiben. Nicht nur, dass kaum noch Geld für Lebensmittel da ist: Schon im letzten Jahr war im Monat nach meiner Antragstellung auf Erstattung nachgeforderter Nebenkosten in Höhe von knapp über hundert Euro die ALG-II-Zah­lung eingestellt worden, sodass mein Vermieter mich nun als unzuverlässig einstufen dürfte.

Während der mehrstündigen Wartezeit auf eine Barauszahlung konnten wir erregten Gesprächen der übrigen Besucher im Eingangsbereich bruchstückhafte Schilderungen weiterer besonderer Vorkommnisse und Unregelmäßigkeiten entnehmen, die dringend auf dem Amt zu klären waren. Mehrfach verließen insbesondere Kunden ohne Begleitung die Sprechzimmer mit deutlichen Zeichen der Frustration.

Die vom Mitarbeiter im Eingangsbereich wie auch von der Sachbearbeiterin in der Leistungsabteilung mit gesenktem Blick vorgetragene Erklärung, die mein Beistand Hans-Dieter Binder und ich für die Nichtzahlung erhielten, lautete, es komme leider immer wieder mal vor, dass in der Software beim Öffnen des Datensatzes die Häkchen verschwänden. Von selbst? Wer soll das glauben?

Eine Checkbox wechselt nicht von selbst ihren Wert von true auf false, wenn dies nicht durch eine Zeitfunktion oder in Abhängigkeit von anderen Kriterien so programmiert worden ist. Ob nun also der Rechtsbruch auf automatisierte und daher massenhafte Weise stattfindet oder durch bewusste Fehlentscheidung im Einzelfall, wobei die Häkchen-wechsel-dich-Routine als bequeme Ausrede dient: Auf jeden Fall steckt Absicht dahinter.

Immer wieder, so endigte Ihr Artikel, gingen Verfahren bis zum Sozialgericht. Dorthin werde auch ich mich wenden müssen, denn mein letztjähriger Antrag auf Erstattung der Nebenkostennachforderung wurde noch immer nicht bearbeitet. In Bremen sollte darüber hinaus nicht in Vergessenheit geraten, dass die Bagis bereits den gewalttätigen Ziehvater des kleinen Kevin mit ungerechtfertigten Zahlungseinstellungen traktiert hat.

Gerolf D. Brettschneider (parteilos) – siehe auch
Die Linke“ und „Erwerbslosenforum

 
Hartz IV quält uns noch immer: Nicht die SPD leidet unter der Wahlbeteiligung, sondern die Wahlbeteiligung unter der SPD („Stern“)
 
Karin Jöns geschockt: Bremer SPD-Tante fliegt aus dem
Europa-Parlament („Tageszeitung“)
 
Schleimeimer blubbert bei Anne Will: Der Hartz-IV-Sklavenarbeitsverweigerer lässt ihn jetzt nicht mehr los („Spiegel-Online“)
 
Karstadt-Quelle-Pleite: Nur erbärmliche Manager
betteln um Staatshilfe („Spiegel-Online“)

 

ALG-II-Bezieher haben keinerlei
Bürgerrechte mehr

Elisabeth Graf1. Letzte Woche erschien im Weser Kurier ein wahrlich herzig-allerliebster Artikel, in dem von „guter Zufriedenheit der Bagis-Kunden“ – nach einer bundesweiten Telefonbefragung – zu lesen war. Es ist fürwahr erfreulich, wenn die Bundesagentur ihre finanziell hilfsbedürftige Klientel mit dem Begriff „Kunden“ umschmeichelt, denn der Kunde ist bekanntlich immer der König. Wie sehr sich um den alles drehen soll, kam ja beim Versuch der Bundesagentur für Arbeit zum Ausdruck, im Kampf gegen pöse Sozialschmarotzer alle Register zu ziehen – und sie zu observieren! Lässt sich Wertschätzung besser zum Ausdruck bringen, als den Kunden in den Mittelpunkt von zielgerichteter Beobachtung zu stellen, ihn liebevoll zu spiegeln und ihm auch hinter die Spiegeltüren zu gucken? Wenn den Kunden Vorladungen geschickt werden, ist die Bagis auch immer so einfühlsam und nennt sie netterweise „Einladungen“, schließlich sollen die „Kunden“ ja nicht erschreckt werden! Wie wir alle wissen, darf eine Einladung abgelehnt werden, aber das wäre bei der Agentur für Arbeit nicht zu empfehlen.

Doch auf solche undankbaren Ideen kommt offenbar ohnehin kaum jemand, da die Kunden ihre Bagis ja nur zu gerne aufsuchen. Schließlich sind sie derart zufrieden, dass sie im Durchschnitt die Schulnote 2,3 für die überaus gelungene Beratung und Vermittlung, für Geldleistungen, Rahmenbedingungen, Online-Angebote und Telefonkontakte vergaben. Ja, auch mich strahlte bei Besuchen in der Bagis Pfalzburger Straße immer eine enorme Gesamtzufriedenheit aller Kunden an – speziell, wenn ich jungen Müttern dabei zusehen durfte, wie sie stets gut gelaunt ihre Armmuskulatur beim Kinderwagenhalten auf der steilen Treppe in der langen Warteschlange trainierten, sich sportlich ertüchtigten und darüber freuten, wenn sie wieder eine Stufe höher kamen. Auf diese Weise können Ausgaben für ein Fitness-Studio vermieden werden, und die Kunden werden es ihrer Bagis für so viel umsichtige Vorausplanung danken!

Ich glaube sofort, dass in jedem Quartal nur zufällig ausgewählte Kunden befragt werden. Natürlich würde auch niemand je auf die Idee kommen, die Antworten mitzuhören oder von der Benotung die weitere Auszahlung des Arbeitslosengeldes abhängig zu machen. Weil die Kundenzufriedenheit so überaus herausragend ist, sollen unabhängige Beratungsstellen geschlossen werden. Denn wer könnte schon besser für die Zufriedenheit ihrer Kunden sorgen als die Bundesagentur für Arbeit selbst? Wenn dann ein paar lästige Querulanten dennoch bis zum Sozialgericht gehen, lag das bestimmt nie an unserer herzig-allerliebsten Bagis!

 

2. Nun durften wir schon wieder lesen, dass 40 Prozent der 650.000 Alleinerziehenden auf das menschenverachtende Hartz IV angewiesen sind und dies zu 95 Prozent Frauen betrifft. Zum drillionsten Male muss die enorme Kinderfeindlichkeit in Deutschland angeprangert werden, wenn die Bereicherung durch ein Leben mit Kindern, die ja die Zukunft unseres Landes darstellen, offenbar gleichzeitig ein erhöhtes Armutsrisiko einzugehen bedeutet. Dank der unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten schaffte es nur die Hälfte der Alleinerziehenden, innerhalb von zweieinhalb Jahren der Verfolgungsbetreuung zu entkommen. Weil die Mütter arbeiten gehen wollen, ist jede zweite ALG-II-Bezieherin mit einem Kind unter drei Jahren arbeitssuchend gemeldet. Besonders schwer gestaltet sich die Situation auch für die ganz jungen Mütter, weil diese vor ihrer Schwangerschaft noch keine Berufsausbildung absolvieren konnten.

 

3. Schön überfällig: Die Bremer Sozialbehörde erlitt vor dem Sozialgericht eine deutliche Niederlage. Nun ist die Bagis dazu verpflichtet, auch für ALG-II-Bezieher(innen) die Mietkaution zu übernehmen, wenn sie denn bei einer Wohnungsbaugesellschaft einziehen. Im konkreten Fall hatte die „Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales“ einer Alleinerziehenden aus Bremen-Nord zwar den Umzug in eine größere Wohnung genehmigt, nicht aber die bei Vertragsabschluss fällige Mietkaution von 650 Euro an die Brebau. Eine bislang gültige Verwaltungsanweisung bestimmt nämlich ausdrücklich, dass bei Wohnungsbaugesellschaften generell keine Mietkautionen für ALG-II-Bezieher(innen) übernommen werden. Das war jedoch rechtswidrig, so das Sozialgericht Bremen in einem Urteil (Aktenzeichen S23 AS 779/09 ER).

Es ist nur gut und folgerichtig, dass das Gericht befindet, Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter sei „rechtlich nicht befugt“, die bundesgesetzlichen Regelungen nach dem Sozialgesetzbuch II „zu beschränken“. Ich habe große Hoffnung, dass das Sozialressort diese Antwort noch einmal zu hören bekommen wird: wenn nämlich ein Betroffener dagegen klagen wird, dass Bremen sich erdreisten will, nicht die tatsächlich verbrauchten Heizkosten zu bezahlen, sondern nur die „angemessenen“ in Höhe von 1,10 Euro je Quadratmeter. Warum sollte Bremen einen Sonderweg gehen dürfen, der immer zu Lasten der ALG-II-BezieherInnen geht? Leider lässt sich damit keine Gettobildung verhindern, wohl aber weitere Obdachlosigkeit, da sich in einigen Stadtteilen die Segregation bereits vollzogen hat.

 

4. Gut eine Woche nach der großen DGB-Demonstration in Berlin am 16. Mai 2009 haben Initiativen von Erwerbslosen und der sozialen Bewegung massive Kritik an der DGB-Führung geübt. Tatsächlich setzte der DGB noch einen drauf und räumte sowohl dem SPD-Vorsitzenden, Franz Müntefering, als auch der Fraktionsvorsitzenden von „Bündnis 90/Die Grünen“, Renate Künast, einen Platz am Leittransparent der Großdemonstration ein. Für mich ist es unerträglich, ja: beinahe pervers zu nennen, wenn sich ausgerechnet diejenigen, die für den exorbitanten Sozialabbau im Rahmen von Agenda 2010 verantwortlich zeichnen, an die Spitze des sozialen Protestes setzen! Wie Martin Behrsing vom „Erwerbslosenforum“ es auf den Punkt brachte, ist es ein Schlag ins Gesicht für die anderen Demoteilnehmer, wenn der DGB-Vorstand es diesen Parteivertretern ermöglicht, ihre unsoziale Politik derart zu verschleiern. Wir dürfen es nicht vergessen, dass die SPD und „Bündnis 90/Grüne“ als Regierungsparteien durch die verbrecherischen Hartz-Reformen einen explodierenden Ausbau des Niedriglohnsektors möglich machten! Sie sorgten für Rentenkürzungen und eine Rente erst mit 67 ebenso wie für eine Deregulierung der Finanzmärkte sowie für Steuererleichterungen für Reiche und Unternehmen! Sind das die neuen Wendehälse?

 

5. Im in der Nähe von Bonn gelegenen Städtchen Alfter-Ödekoven müssen 25 Ein-Euro-Jobber wieder zurück zur argen Arge, nachdem ihre sie betreuende Sozialarbeiterin zu einer neuen Stelle überwechselte. Die Bürgermeisterin sagte, dass die Arbeitsagentur diese Maßnahme nicht mehr bewillige, wenn keine qualifizierte Betreuung sichergestellt sei. Sie ließ es sich nicht nehmen, von den Ein-Euro-Jobbern so zu sprechen, dass es sich bei ihnen um Menschen handele, die mit intensiver Betreuung wieder in den Arbeitsprozess und ein geregeltes Leben integriert werden sollen. Dabei müssten manche Teilnehmer lernen, konsequent pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, und andere bräuchten Hilfe bei der Organisation ihres Alltags. Das könne ohne einen Sozialarbeiter nicht gewährleistet werden. Neben der Beratung habe die Gemeinde den Ein-Euro-Jobbern, die etwa in Kindergärten, der Bücherei Alfter oder zur Pflege der Grünanlagen eingesetzt wurden, auch Bewerbungstrainings und PC-Kurse angeboten. Das hört sich ungemein nach „zusätzlicher“ Arbeit an!

Die Bürgermeisterin erklärte, dass diese Maßnahme fruchte, sei auch daran zu erkennen, dass zwei Menschen in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werden konnten. Hallo, der ganze Aufwand für sage und schreibe zwei feste Stellen! Ob in dem beschaulichen Städtchen wohl schon mal etwas vom Subsidiaritätsprinzip gehört wurde? Ich persönlich finde die Aussagen der Bürgermeisterin überheblich und anmaßend. Hier wird ein Bild von ungebildeten Arbeitslosen gezeichnet, die unpünktlich sind und ungeregelt in den Tag hinein leben. Als ob Erwerbslose an ihrer Situation selbst schuld seien! Schließlich soll – hetz, hetz – ein gesellschaftliches Problem den Betroffenen individuell zur Last auf die Schultern gelegt werden. Die armen Alten, die nur von Angelernten versorgt werden! Wofür gibt es eigentlich immer noch Ausbildungsberufe?

 

6. Fast jeder zweite Ein-Euro-Jobber verdrängt nach eigener Aussage mit seiner Tätigkeit entgegen der gesetzlichen Vorschrift reguläre Arbeitsplätze. Bei einer Befragung im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit gaben 45 Prozent an, die gleiche Arbeit zu verrichten wie festangestellte Kollegen. Jeder Vierte sagte, für den Ein-Euro-Job sei eine abgeschlossene Ausbildung erforderlich. Demnach bringen mehr als zwei Drittel eine Berufsausbildung oder sogar einen Hochschulabschluss mit. Trotz der hohen Qualifikation und der geringen Bezahlung bewerten die Betroffenen ihre Tätigkeit erstaunlich positiv: Vier von fünf empfinden ihren Ein-Euro-Job als Gelegenheit, etwas Sinnvolles zu tun und unter Menschen zu kommen. Die Leute wollen also arbeiten, auch unter schlechten Bedingungen. Weil das ALG II so vollkommen unzureichend ist, bedeutet für die ALG-II-Bezieher selbst die minimale Entlohnung eine finanzielle Entlastung.

Laut der Bundesregierung seien die Ein-Euro-Jobs gar keine Ein-Euro-Jobs, sondern „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Arbeitsgelegenheiten Erwerbslose wieder an das Arbeitsleben, an den Tagesablauf und die Erwartungen der Arbeitgeber gewöhnen. Die Tätigkeiten müssen zusätzlich sein, dürfen also keine reguläre Arbeit verdrängen. Gemeint sind Hilfstätigkeiten in Altenheimen, in Kindergärten, im Garten- und Landschaftsbau oder der Stadtreinigung. Nicht erfüllt hat sich die Hoffnung, Ein-Euro-Jobs könnten Türen zum regulären Arbeitsmarkt öffnen. Ihre beruflichen Perspektiven bewerten die Befragten ausgesprochen negativ. Zwei Drittel erklären, dass sich ihre Beschäftigungschancen durch die mit Steuergeldern finanzierten Beschäftigungsprogramme nicht verbessert haben.

Dieser Befund deckt sich mit Aussagen des Bundesrechnungshofs, wonach die Arbeitsgelegenheiten für drei von vier Hilfebedürftigen weitgehend wirkungslos blieben und keine messbaren Integrationsfortschritte erkennbar sind. Der Rechnungshof moniert besonders, dass die Tätigkeiten nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, zusätzlich geschaffen würden, sondern reguläre Arbeitsplätze verdrängten. Zwei Drittel der geprüften Maßnahmen erfüllen nicht die gesetzlichen Fördervoraussetzungen! Beispielsweise ersetzen Ein-Euro-Jobber in der Pflege ausgebildete Kräfte, statt den Patienten zusätzlich als Betreuer zur Verfügung zu stehen. In gemeinnützigen Unternehmen machen sie privaten Handwerksbetrieben Konkurrenz. Massenweise treten sie, wie der „Zentralverband des Deutschen Handwerks“ beklagt, an die Stelle von voll bezahlten Hausmeistern oder Bauarbeitern.

 

7. Der Präsident des Landessozialgerichtes Düsseldorf sagte, wer in Nordrhein-Westfalen gegen Hartz-IV-Entscheidungen klage, habe gute Chancen, vor Gericht Recht zu bekommen. Im vergangenen Jahr wurde jede zweite der insgesamt 25.000 Klagen gegen Hartz IV zugunsten des Klägers entschieden. Auch bei Streitigkeiten mit den Krankenkassen lohne der Klageweg. 2008 bekamen rund 30 Prozent der Patienten, die wegen Unzufriedenheit über die Leistungen der Kassen geklagt hatten, vor dem Landessozialgericht Recht. Diese frohe Botschaft muss verbreitet werden!

 

8. Der Schreck und die Empörung waren groß, als in der letzten Woche die Meldung verbreitet wurde, dass die Bundesagentur die Erwerbslosen wie vollkommen rechtlose Parias observieren lassen würde. Die heimliche Observation sollte bei bloßem Verdacht auf einen besonders schwerwiegenden Leistungsmissbrauch ausdrücklich zugelassen sein. Das hieße, eine anonyme Anzeige reichte aus, um solche geheimdienstlichen Maßnahmen zu rechtfertigen. Damit hätte der Außendienst der Arge deutlich mehr Rechte als die Strafermittlungsbehörden.

In welcher Form das so Erschnüffelte dann beweiskräftig sein sollte, wäre höchst fraglich gewesen. Immerhin zog die Bundesagentur für Arbeit ihre Geschäftsanweisung zu heimlichen Observationen von ALG-II-Beziehern zurück. Dieser Anweisung fehlte jegliche Rechtsgrundlage, weil eine Observation von ALG-II-Beziehern durch den Leistungsträger des SGB II rechtlich gesehen eine Datenerhebung ist, für die deutlich festgelegt wird, dass Betroffene vorher über den Grund dafür und die Identität der erhebenden Stelle zu informieren seien. Dadurch wird eine heimliche Observation ausgeschlossen beziehungsweise rechtswidrig gemacht. Auch das Befragen Dritter, also Vermietern, Nachbarn und dergleichen, ist in der Form der Weisung der Bundesagentur absolut rechtswidrig. Die unklaren Daten sind zuerst und nach Möglichkeit nur beim ALG-II-Bezieher zu erheben.

Auch nach Meinung von Oskar Lafontaine geht es eigentlich darum, ob überbezahlte Bankvorstände Milliardenbeträge veruntreut haben, doch werden sie nicht zur Rechenschatz gezogen. Vor diesem Hintergrund verstärkt sich der Eindruck, dass die verschärften Regeln für Hartz-IV-Empfänger von den Riesen-Skandalen ablenken sollen, die die oberen Zehntausend zu verantworten haben. Die Kapitalverbrechen der letzten Jahre beweisen, dass Hausbesuche bei Bankvorständen auf jeden Fall notwendiger und ergiebiger wären als die Hausbesuche bei Hartz-IV-Empfängern! Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, wenn bei maroden Banken und Unternehmen Milliarden schon mal zu „Peanuts“ verkommen, während es bei den finanziell Schwachen offenbar um jeden Cent geht. Wo leben wir? Jedenfalls kaum in einer sozialen Marktwirtschaft! Im Ergebnis kann man nur feststellen: ALG-II-Bezieher haben keinerlei Bürgerrechte mehr, soweit es die Bundesagentur betrifft. Wie sonst ist die massenhafte Ansammlung von Rechtswidrigkeiten und Straftaten – beziehungsweise Aufforderungen zu selbigen – gegen ALG-II-Bezieher zu erklären?

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend)
 
Am Mittwoch, dem 10. Juni 2009, referiert Professor Rudolph Bauer um 10:30 Uhr über das Thema „Der Abbau sozialer Sicherungssysteme unter­gräbt die Demokratie – Sozialabbau als Rekrutierungshilfe für die Bundeswehr?“ Die Veranstaltung findet statt im Hans-Böckler-Saal des DGB-Hauses am Bahnhofsplatz 22. Der Eintritt ist frei.

 

„Weser-Kurier“ hetzt wie „Blöd“
gegen Hartz-IV-Betroffene

1. Im Land Bremen sind 27.256 Kinder von Kinderarmut betroffen, meldete der „Weser-Kurier“ vergangene Woche in der Rubrik „Zisch – Zeitung in der Schule“. Das ist jedes dritte Kind. Folgen sind Entwicklungsdefizite, mangelnde Integration, soziale Benachteiligung und Unterversorgung: Es gibt kaum Geld für ausgewogene und gesunde Ernährung, von Vergnügungen wie Urlaub ganz zu schweigen. Kulturelle und bildende Unternehmungen sind kaum möglich. Die betroffenen Kinder werden häufig gemobbt.

Ich finde es gut, dass der „Weser-Kurier“ über Kinderarmut berichtet und gerade auch, dass Schüler selber recherchieren und schreiben. Allerdings bin ich anderer Meinung als die beiden Schülerinnen, die einen Kommentar verfassten, in dem es heißt: „Es kommt auf die Einstellung an, wie die Kinder sich bemühen, einen guten Schulabschluss, einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle zu bekommen. Oft liegt es an den Eltern: Wenn die eine ‚bequeme‘ Einstellung haben, wird es auf die Kinder übertragen.“

Meiner Meinung nach vermittelt dies das gleiche Bild eines Hartz-IV-Emp­fängers, das auch die „Bild“-Zeitung mit ihrer täglichen Hetze transportiert: Arbeitslose seien faul und an ihrer Lage selbst schuld. Dann steht da noch: „Hartz IV ist sicherlich keine Endstation, doch benötigt es mitunter viel Energie, sich daraus zu befreien.“ Dafür ist nicht nur ein bisschen Eigeninitiative gefragt!

Die Kinder in Armut und die vielen Arbeitslosen existieren nicht, weil sich letztere zu wenig anstrengen, sondern weil durch Hartz IV die Menschen in Leiharbeit, Minijobs, Arbeitslosigkeit und Mangel gestürzt werden. Dagegen lohnt es sich, seine Energie einzusetzen! Dafür gehören ganz viele Kinder und Jugendliche, Arbeiter und Arbeitslose auf die Montagsdemo. Kämpfen wir gemeinsam: Weg mit Hartz IV!

 

2. Ich möchte noch von einem tollen Erlebnis berichten! Am 29. Mai 2009 sind wir mit einer ganzen Gruppe – Freunden, Genossen und sogar einer Jugendband – zum Internationalen Pfingstjugendtreffen gefahren, einem Festival der Jugend und Kinder, bei dem die Zukunftsfragen der Jugend im Mittelpunkt standen und das uns alle begeistert hat.

Es gab 150 Veranstaltungen und „Ereignispunkte“ zum Basteln, Malen oder Ponyreiten, dazu Tanz- und Kampfsport-Kurse, Konzerte und einen Kinder-Parcours. Zur „Zukunftsdemo“ kamen 3.500 Teilnehmer – sie waren, optimistisch, lebendig und kämpferisch. Es gab einen Erfahrungsaustausch der Schüler und Studenten sowie der Automobilarbeiter zu Protesterfahrungen und zum antifaschistischen Kampf.

Gäste aus 18 Ländern nahmen unter dem Motto „Hoch die internationale Solidarität“ an Abendveranstaltungen, Fußballturnieren, dem „Spiel ohne Grenzen“ oder dem Volkslauf teil. Selbst der WDR nannte das Festival „in seiner Art etwas Besonderes“. Ich lade jetzt schon für das nächste Pfingstjugendtreffen in zwei Jahren ein: Jung und Alt, kommt mit, bringt euch ein!

Wanja Lange („Rebell“)
 
Schickedanz-Zusammenbruch: Wegen Middelhoff
auf der Intensivstation? („Bild“-Zeitung)
 
Nicht nur im Insolvenzfall: Die Arbeitgeber müssen die gesamten Kosten der Arbeitslosigkeit durch Umlage tragen („Tagesschau“)
 
Am Freitag, dem 12. Juni 2009, trifft sich um 19 Uhr die „Wählerinitiative Wolfgang Lange“ im „Jugendfreizeitheim Buntentor“, Geschwornenweg 11a, zur Diskussion über die Frage „Was ist der echte Sozialismus –
warum brauchen wir ihn unbedingt?“

 

„Weser-Kurier“ zensiert Leserbriefe

Harald BraunWir haben jetzt schon verschiedene Redebeiträge auf dieser Montagsdemonstration gehört, die sich alle mit Artikeln aus dem „Weser-Kurier“ auseinandergesetzt haben. Dabei wurde deutlich, wie die Wahrheit verdreht und die öffentliche Meinung manipuliert wird. Der „Weser-Kurier“ hat aber noch eine andere Methode: die Zensur!

Ich hatte einen Leserbrief geschrieben, der am letzten Freitag, dem 5. Juni 2009 veröffentlicht wurde. Dabei wurde der entscheidende Teil aber einfach weggekürzt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Ich will Sie darüber informieren:

„Eine andere Haushaltspolitik ist notwendig. Nach den neuesten Schätzungen fehlen dem Land Bremen aufgrund der Wirtschaftskrise bis 2011 Steuereinnahmen in Höhe von einer Milliarde Euro. Die Finanzsenatorin, Frau Linnert von den „Grünen“, hat am 24. Mai 2009 angekündigt, wie sie darauf reagieren will: Einerseits sollen neue Schulden aufgenommen werden, deren Finanzierung aber spätestens die heutige Jugend bitter bezahlen muss. Bremen steht bereits heute mit 15 Milliarden Schulden kurz vor dem Bankrott! Und der zweite Ansatzpunkt sind für Frau Linnert Kürzungen bei den Werkstätten für behinderte Menschen, bei der Sozialarbeit in den Stadtteilen und bei den Jugendfreizeiteinrichtungen. Genau dort, wo dringend mehr Geld gebraucht wird! Dabei gibt es ganz andere Möglichkeiten – sie verlangen aber eine Wende in der Haushaltspolitik und viel Rückgrat.“

Folgender Teil wurde gestrichen: „Jedes Jahr werden an die Banken Zinsen in Höhe von 700 Millionen Euro überwiesen. Wieso wird dies nicht sofort gestoppt und ein Zinsmoratorium in die Wege geleitet? Die Lasten der tiefsten Wirtschaftskrise sollen die Verantwortlichen in den Chefetagen der Banken und Konzerne bezahlen und nicht die breite Mehrheit der Bevölkerung!“

Worin die Wende besteht, darüber sollen die Leser besser nicht nachdenken, sonst fangen sie vielleicht auch noch an, dafür zu kämpfen. Gesellschaftskritische Ansichten werden aus den Medien verbannt. Diese geben sich immer als neutral und objektiv aus, doch in Wirklichkeit sind sie ein Hauptmittel zur Beeinflussung der Bevölkerung. Die Montagsdemonstration war dafür heute ein richtige Lehrstunde.

Harald Braun

 

Nach den Wahlen
kommt das Zahlen

Jobst Roselius60 Prozent der Befragten lehnen dieses undemokratische Europa ab. Der EU-Vertrag soll die Nichtdemokratie, die Diktatur der Monopole verfestigen. Wer ein anderes Europa will, wird gleich zum reaktionären Rechtsaußen stilisiert. Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Die SPD erleidet ihre tiefste Niederlage, sie hat nichts aus dem Jahr 2004 gelernt. Grüne und Linkspartei haben leichte Gewinne. Mit ihrer Sowohl-als-auch-Politik können sie die Massen nicht entscheidend an sich ziehen.

Was folgt daraus? Die Regierenden zögern vor der Bundestagswahl noch, die „Hunde“ loszulassen. Da werden Rettungspakete gefeiert, wie bei Opel/Magna, die die reinste Mogelpackung sind. Die Tatsachen und späteren Konsequenzen werden nicht bekannt gemacht, um noch etwas Zeit zu gewinnen. Denn nach den Wahlen kommt das Zahlen, und der Würgegriff kann fester werden, meint das Kapital. Doch de Werktätigen werden das nicht zulassen, da bin ich sicher! Die Menschen zögern nicht. Sie lassen sich nicht kaufen. Noch sehen sie zwar nicht den Weg, dass sie im Massenumfang selber aktiv werden müssen, aber sie entscheiden anders, als die Politik es möchte.

An diesem Sonntag gab es in der ganzen Bundesrepublik weitere Wahlen und Abstimmungen, die fast durch die Bank anders ausgefallen sind, als es die Herrschenden wollten. Oft wurden etwa die geplanten Privatisierungen von Stadtwerken abgelehnt. In Stuttgart wurden die Grünen mit 27 Prozent stärkste Partei vor der CDU mit 26,5 Prozent, weil sie das wahnwitzige Projekt „Stuttgart 21“ mit dem Bau eines neuen unterirdischen Hauptbahnhofs für mehr als fünf Milliarden Euro zugunsten einer neuen toten City-Erweiterung mit anderen Kräften bekämpft haben. Man wird weiter kämpfen müssen, um diesen gigantischen Schwachsinn zu beenden! Die Wachheit der Menschen bei all diesen Themen muss besonders gewürdigt werden. Es sind eben so viele Fragen, die gleichzeitig angepackt werden müssen, dass manchem nicht die Kräfte reichen. Wir müssen uns eben vernetzen!

Bei Karstadt schien die mögliche Insolvenz einer Bremer Institution eigentlich unvorstellbar. Aber jetzt in der Krise ist das vielleicht die Entscheidung eines Tages, und morgen kommt schon das nächste. Bei Karstadt gilt unsere Solidarität den Beschäftigten und Käufern. Die Schaufensterklebeaktion ist aber auch von der Geschäftsführung gewollt – und die Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Kaufhäuservon der Politik: Mit immer neuen Märkten will Bremen sich retten, obwohl bekannt ist, dass die Stadt und ihr Umland immer weniger Geld haben und jeder Groschen nur einmal ausgegeben werden kann. Andererseits wollen die Eigentümer, Madeleine Schickedanz und das Bankhaus Salomon Oppenheim, nichts mehr bezahlen – genauso wie die Frau Scheffler beim Conti/Scheffler-Konzern.

In Wismar und Rostock sollen die Werften, die einmal zum Vulkan gehörten, auch wieder pleitegehen. Die russischen Besitzer wollen nichts reinstecken. Diese Herrschaften meinen, sich noch einen Gewinn abzuholen, wenn sie ihre Objekte in Insolvenz gehen lassen. Das können die Menschen, ob Mitarbeiter oder Käufer, aber nicht zulassen. Also, Frau Schickedanz: Raus mit den Penunzen! Ansonsten kann ich nur immer wieder sagen: Dieser verfaulte Kapitalismus taugt nicht mehr! Überlegen wir, wie ein sozialistisches System, das überall durch unser tägliches Tun letztlich schon materiell vorbereitet ist, aussehen soll und kann, wo jeder seinen Beitrag einbringen und seine Meinung sagen kann, wo eine lebendige Auseinandersetzung stattfinden wird! Die Montagsdemo ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.

Jobst Roselius
 
Krisentheorie: Bürgerliche politische Ökonomie
vor dem Scherbenhaufen (MLPD)

 

Produzieren, was vom
Volk gebraucht wird!

Wolfgang LangeBei der Europawahl ist am Sonntag die Wahlbeteiligung nochmals gesunken, auf 43 Prozent – in Bremen sind es sogar nur 38,9 und in Bremerhaven 33,3 Prozent. Es wird so getan, als ob die Leute zu faul oder zu unpolitisch seien. Das ist nicht der Fall! Vielmehr wissen die meisten, dass sie nichts Gutes zu erwarten haben von der Europapolitik, daher wurde die Europaverfassung da abgelehnt, wo eine freie Abstimmung möglich war wie in Frankreich und Irland. Man denke nur an den Vertrag von Lissabon, den Hintergrund für die Hartz-Gesetze, die größten Angriffe auf die sozialen Lebensbedingungen!

Trotz dieser niedrigen Wahlbeteiligung ist der Stimmanteil der Regierungsparteien nochmals weiter geschrumpft: CDU von 44,5 auf 38,7, SPD von 21,5 auf 20,8 Prozent. Das heißt, nur jeder vierte Wahlberechtigte hat eine der Regierungsparteien gewählt! Wenn das keine klare Aussage ist? Aber die CDU entblödet sich nicht, sich als „großer Wahlsieger“ zu feiern. Generalsekretär Pofalla behauptet: „Es gibt eine klare bürgerliche Mehrheit.“ Dass sich da die Herrschaften mal nicht täuschen!

Sie sollen mal nach England blicken: Da wackelt die Regierung Brown ganz gewaltig! Sechs Minister sind in kürzester Zeit zurückgetreten, weil ihre persönliche Bereicherung auf Kosten der Steuerzahler ein Stück weit ans Licht kam: Da wurden Pornofilme vom Ehemann als Spesen abgerechnet, Luxusfernseher für 8.000 Pfund fürs Wohnzimmer eingekauft und Gartenteiche angelegt. Ob in England, Frankreich, Holland oder Deutschland: Die ganze „politische Klasse“ ist korrupt bis auf die Knochen! Was sie nicht den Monopolen zuschanzen, stecken sie in die eigene Tasche – und das Volk soll dabei zusehen! Da wundern die sich über niedrige Wahlbeteiligungen?

Es zeigt aber auch, wie sinnlos es jetzt ist, wie viele Gewerkschaftsführer, aber zum Beispiel auch die Linkspartei, nach „Verstaatlichung“ zu rufen. Die Hypo Real Estate ist ja nun fast verstaatlicht: 102 Milliarden sind schon reingepumpt worden, weitere drei Milliarden werden benötigt, damit der Staat vollends 90 Prozent in seinen Besitz bekommt. Für die Zeit danach wurden bereits weitere vier bis sieben Milliarden in Aussicht gestellt. Die „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ ist sowieso staatlich, die Commerzbank zum großen Teil: Da ist nichts mehr mit „Neoliberalismus“ – der hat auf der ganzen Linie versagt!

Ohne Staat läuft gar nicht mehr, und dieser Staat zieht den Bürgern das Geld aus der Tasche, um es den Konzernen und Spekulanten zuzuspielen. Was meint ihr denn, wer dieses Geld aufbringen wird? Auf den Bäumen wächst es nicht! Für jeden Cent dieser Milliarden hat ein Mensch gearbeitet. Aus uns werden sie es herauspressen, aus den Arbeitern, durch niedrigere Löhnen, schlechtere Arbeitsbedingungen, hemmungslose Zerstörung der Umwelt – und das geht dann nach unten so weiter, durch Kürzung der Hartz-IV-Leistung, verschärfte Bespitzelung und „Beschattung“. Das ist alles schon geplant!

Jetzt sind schon 1,17 Millionen Familien in Deutschland auf ergänzendes Hartz IV angewiesen. Die Arbeitslosigkeit steigt, auch wenn mal wieder die Statistik mit einem weiteren faulen Trick geschönt wurde, indem alle, die bei privaten Vermittlern sind, nicht mehr als arbeitslos rechnen. Weltweit sind derzeit etwa 240 Millionen Menschen arbeitslos, und auch hier geht es demnächst rund: Metro will 30 Karstadt-Häuser schließen und 10 Kaufhof-Filialen. Ich rufe allen Karstadt-Kollegen zu: Nehmt den Kampf auf! Vertraut nicht auf die „Retter“ aus Regierung und Chefetagen! Die „Rettung“ von Opel wird Tausende von Jobs kosten, und wer bleibt, darf dann für viel weniger Lohn und zu viel schlechteren Bedingungen ranklotzen – eine Spirale ohne Ende!

Dass es auch anders geht, zeigt Bolivien: Da haben letzte Woche die Bergarbeiter ein Signal gesetzt. Die haben schon einmal die Regierung mit ihren Dynamitstangen davongejagt! Jetzt sind sie wieder von Potosi und anderen Minen in 5.000 Metern Höhe nach La Paz gelaufen, über 200 Kilometer zu Fuß. Sie haben den Achtstundentag wieder zurückerobert und zwölf Prozent Lohnerhöhung erhalten – und das in einer Situation, wo die Minenbetreiber wegen der Krise und des Verfalls der Rohstoffpreise die Arbeitszeit heraufgesetzt und die Löhne gedrückt hatten!

Noch muss wegen der bevorstehenden Bundestagswahl „Rücksicht“ genommen werden, aber die Pläne für die Zeit danach liegen schon längst in der Schublade – einschließlich Währungsreform und gesteuerter Inflation, um die Leute um ihr Erspartes zu bringen! Und da fordern manche Leute, der Staat solle es machen? Ja, welcher Staat denn? Verstaatlichung im Kapitalismus nützt uns, der breiten Bevölkerung, überhaupt nichts, den sobald die Betriebe und Banken wieder florieren, werden sie reprivatisiert. Staat und Monopole sind aufs Engste verflochten, die Monopole haben sich den Staat vollständig untergeordnet – daran ändert es auch nichts, wenn ab und zu mal einer von den Managern „fallengelassen“ wird. Das ist nicht mehr als ein Bauernopfer im Schach!

Der ganze Kapitalismus zeigt seine Untauglichkeit. Warum sollten wir uns also an ihn klammern, ihn versuchen zu heilen? Es gibt nur eine Lösung, wenn wir nicht ganz untergehen oder in der Barbarei versinken wollen: Das ist ein echter Sozialismus, wo das produziert wird, was vom Volk gebraucht wird – und nicht, was den meisten Profit für ein paar wenige bringt!

Wolfgang Lange ist Bremer Kandidat der MLPD (Offene Liste)
für die Bundestagswahl 2009

 
Kürzen wirkt: Kunde gleich viel zufriedener („Weser-Kurier“ vom 14. Juni 2009)
'Weser-Kurier' vom 14. Juni 2009
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz