26.5.2009

"Kleine Summen zusammenkratzen"
Finanzsenatorin Linnert will beim Stadtamt sparen, bei Werkstattplätzen und den Freizeitheimen

 
 
Finanzsenatorin Karoline Linnert. Foto: Stoss
   
Bremen. Rund eine Milliarde Euro weniger bis 2011 - nach den Steuerschätzungen, die die Experten vor wenigen Tagen präsentiert haben, sind die bisherigen Planungen für den Doppelhaushalt 2010/2011 und der Fahrplan zur Entschuldung hinfällig. Der Senat hat bereits eine Haushaltssperre verhängt. Die Opposition hat erste Forderungen präsentiert, wo weiter gespart werden kann. Mit Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) sprach unser Redakteur Michael Brandt über Sparprogramme, Panikmache und die Großprojekte der rotgrünen Koalition, über Klinikneubau und Straßenbahnausbau.

Frage: Mit welchen Gefühlen kommen Sie nach den katastrophalen Steuerschätzungen zur täglichen Arbeit ins Haus des Reichs?

Karoline Linnert: Ich finde es schade, dass sich die gute Entwicklung von 2008 nicht fortgesetzt hat. Man muss aber auch in dieser Lage die Nerven bewahren. Diese Situation hat Bremen nicht selbst verschuldet, alle Bundesländer, Gemeinden und der Bund haben vergleichbare Probleme.

Müssen der Fahrplan bis zur Entschuldung und die Haushaltseckwerte für 2010 und 2011 jetzt komplett neu durchgerechnet werden?

Auf Probleme in 2009 reagieren wir mit der aktuellen Haushaltssperre und dem Nachtragshaushalt im Sommer. Danach müssen wir die Ergebnisse der Steuerschätzung in die Haushaltsplanungen für 2010 und 2011 einarbeiten. Der Senat wird sich angucken, ob im Doppelhaushalt weitere Einsparmöglichkeiten bestehen. Im Großen und Ganzen werden wir aber gezwungen sein, zusätzliche Kredite aufzunehmen. Und schließlich werden wir das Ziel weiterverfolgen, bis 2020 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.

Manche sprechen angesichts der neuen Kredite und der wachsenden Zinslast von Bremens Ruin. Das Thema steht auf der Tagesordnung der Bürgerschaftssitzung in dieser Woche.

Ich werde mich an Spekulationen nicht beteiligen, dass Bremen es gar nicht mehr schaffen kann, bis 2020 einen Haushalt ohne Kreditaufnahme vorzulegen. Ich werde auf gar keinen Fall die Flinte ins Korn werfen oder mit wirren Vorschlägen die Menschen verrückt machen. Täglich gibt es von allen Seiten neue, sehr unterschiedliche Prognosen darüber, wie lange die Krise dauern wird und mit welchen Auswirkungen mittelfristig zu rechnen ist. Keiner weiß, wie die Lage 2020 konkret aussehen wird.

Der Senat hat in dieser Woche eine Haushaltssperre beschlossen, also einen Stopp aller Ausgaben, die nicht gesetzlich notwendig sind. Wie viel kann man dadurch sparen?

Das wissen wir noch nicht. Das hängt davon ab, wie brutal wir dieses Instrument nutzen. Am Ende wird aber kein Betrag stehen, der die fehlenden 250 Millionen Euro in diesem Jahr deckt. Mit Hilfe der Haushaltssperre werden wir mühselig kleine Summen zusammenkratzen.

Wie lange bleibt die Haushaltssperre bestehen oder wird sie von jetzt an zur Dauereinrichtung?

Sie ist zunächst unbefristet. Aber ich bin der Überzeugung, dass die Haushaltssperre nicht ein halbes Jahr oder länger bestehen bleiben kann. Je mehr wir finden an konkreten Sparmaßnahmen, desto leichter wird es uns fallen, die Haushaltssperre wieder aufzuheben.

Gibt es bereits eine detaillierte Sparliste des Senats?

Nein. Ich habe schon hundert Sparlisten gesehen in meinem politischen Leben. Sie verursachen in der Regel deutlich mehr Flurschaden, als sie einsparen. Der langwierige Umbau der Verwaltung muss vorangetrieben werden. Diese Einsparpotenziale wollen wir nutzen.

Es gibt also anscheinend immer noch genügend Spielräume, um weiter zu sparen. In welchen Punkten liegt Bremen bei den Ausgaben im Vergleich über anderen Ländern?

Es gibt Bereiche, in denen Bremen mehr Geld ausgibt. Das sind zum Beispiel Universität und Hochschulen. Das wollen wir aber nicht ändern. Es gibt andere Dinge, die wir besser organisieren können. Ich glaube, dass ein Stadtamt mit einem mobilen Bürgerservice nicht nur bürgerfreundlicher ist, sondern auch sparsamer. Ich bin überzeugt, dass wir am Ende der Umstrukturierung für das Beschaffungswesen, also den Einkauf der Stadt, weniger Geld brauchen. Wir sollten uns auch die Frage stellen, ob es richtig ist, bei den Werkstattplätzen für behinderte Menschen einen Spitzenplatz einzunehmen, statt stärker auf die Integration in den Arbeitsmarkt zu setzen. Ich bin überzeugt davon, dass eine bessere Vernetzung der sozialen Hilfen in den Stadtteilen mittelfristig Geld sparen kann. Wenn wir das Ganztagsangebot an den Schulen ausgeweitet haben, muss man auch Jugendfreizeitheime und Angebote von Vereinen dort stärker integrieren. Das sind Potenziale für Umbauprozesse, für die man aber mehrere Jahre Zeit benötigt. Kurzfristig noch etwas aus dem laufenden Haushalt herauszuquetschen ist dagegen kaum möglich.

Die rotgrüne Koalition steht in dem Ruf, sich eher zu scheuen, unangenehme Dinge anzupacken. So sei es zum Beispiel bei der Neukonstruktion der Bremer Investitionsgesellschaft BIG versäumt worden, Personal aus der GmbH zurückzuholen in die Verwaltung. Stattdessen durften alle ihre Posten behalten.

Ich bewerte das anders. Meine Aufgabe beinhaltet es auch, Menschen auf die Füße zu treten. Das Ausufern des Gesellschaftswesens - wer hat das denn angepackt? Und die verschärfte Kontrolle? Das ist diese Regierung gewesen. Das hat eine Menge Ärger verursacht, weil man die Betroffenen zwingt, ihre ausgetretenen Pfade zu verlassen. Wer hat es denn durchgesetzt, dass die Geschäftsführer-Gehälter veröffentlicht werden? Die letzte Beamtenbesoldung wurde trotz großer Proteste verschoben, und bei den Investitionen haben wir auch gekürzt. Das sind alles keine Spaziergänge. Wenn mit unangenehmen Dingen aber gemeint ist, die Schwächsten zu drangsalieren, da machen wir nicht mit.

Kann sich Bremen einen Klinik-Neubau für mehr als 200 Millionen Euro angesichts der dramatischen Haushaltslage überhaupt noch leisten?

Der Neubau wird von der Gesundheit Nord finanziert und durch eine Bürgschaft der Stadt abgesichert. Diese Bürgschaft können wir allein schon rechtlich nur übernehmen, wenn die Investition sich rechnet. Das tut sie.

Das Bremer Theater verursacht schon wieder Millionenverluste. Ist ein Zusammenschluss denkbar, zum Beispiel mit Spielstätten in Bremerhaven oder Oldenburg?

Die mit dem Oldenburger Theater begonnene Kooperation ist eine gute Sache. Das aktuelle Defizit ergibt sich aus jahrelang mitgeschleppten Altlasten, Tariferhöhungen und dem Minus bei Marie Antoinette. Wenn das gelöst ist, kann das Theater künftig auch mit den vom Haushaltsgesetzgeber festgesetzten Zuschüssen auskommen. Ein ständiges Nachschießen kann es nicht geben.

Investitionen ins Streckennetz der Bremer Straßenbahn AG stehen an. Kommt der Ausbau für mehr als 200 Millionen Euro auf den Prüfstand?

Es wäre nicht sinnvoll, den Plan zu kippen. Das Vorhaben ist überwiegend über Drittmittel finanziert, Bremen trägt nur einen kleinen Teil. Ich bin eine große Anhängerin eines funktionierenden Öffentlichen Personennahverkehrs. Letztlich spart ein guter ÖPNV Geld und ist ökologisch richtig.

Die Koalition hält also auch unter dramatisch geänderten Rahmenbedingungen an ihren Zielen fest?

Dass wir uns um die Betreuung der Kinder kümmern und den CO2-Ausstoß verringern müssen - diese Analyse galt vor zehn Jahren, vor fünf Jahren und sie gilt auch heute. An den übergeordneten Zielen ändert die aktuelle Situation nichts. Sie werden ja nicht dadurch unsinnig, dass 200 Millionen Euro fehlen.

© Bremer Tageszeitungen AG



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