226. Bremer Montagsdemo
am 06. 04. 2009  I◄◄  ►►I

 

Für Bremen gibt es keinen Ausweg aus der Mittellosigkeit

Hans-Dieter Binder1. Der US-Präsident war in Europa. Er war zur Geburtstagsfeier der Nato gekommen. Er ist abgereist. Hat er wahrgenommen, wer der Oberbefehlshaber der Nato ist? Hat der Hoffnungsträger mit dem Zukunftsvernichter General Bantz Craddock gemeinsam an einem Tisch gesessen?

Die Position des Oberbefehlshabers der Nato wird vertragsgemäß von den USA besetzt – ohne Mitspracherecht der anderen. Was sagt der Däne dazu? Was sagst du? Würdest du diesem Oberbefehlshaber deinen Sohn, deine Tochter anvertrauen? Wie bekommt ein Soldat, der die Demokratie verteidigen soll, solche Bilder wieder aus dem Kopf? Darum müssen diese Eltern ihre Kinder unter Strafandrohung verstecken! Und wie geht diese Militärführung ansonsten mit den untergebenen Menschen um? Ein weiterer Grund, zum Ostermarsch zu gehen. Gehn Sie mit...

 

2. Die Bundesagentur für Arbeit hat über 600.000 Anzeigen von beziehungsweise Anträge auf Kurzarbeit vorliegen. Über die Anzahl der Kurzarbeiter werden erst Ende Mai entsprechende Zahlen vorliegen. Dies war nur eine kurze Meldung im Radio. Bei der nächsten Nachrichtensendung fehlte sie. Bei der Bundesagentur für Arbeit stehen die Zahlen wie immer als vorläufig, unter Vorbehalt. Die Erklärung ist sinnvoll, nur fehlt mir der Glaube an die Richtigkeit.

Diese Meldungen oder Anträge erfolgen nicht personenbezogen, sondern je Betrieb oder Betriebsteil. Für ein Werk wie Mercedes Bremen reicht eine Anzeige oder ein Antrag auf Kurzarbeit. Warum wird diese Veröffentlichung verschleppt? Anträge auf Kurzarbeit sind wesentlich besser als Anträge auf Massenentlassung! Mit Kurzarbeit lässt sich der Grund zur Insolvenzanmeldung beseitigen, und Kurzarbeit beseitigt auch den Kündigungsgrund!

Wer Kurzarbeit und die Hürden dazu kennt, sollte sein Wissen überprüfen. Jetzt können auch Leiharbeitnehmer und Leiharbeitsunternehmen kurzarbeiten. Verträge für befristet Beschäftigte dürfen verlängert werden. Die Betroffenen dürfen auch übernommen werden und kurzarbeiten. Zehn Prozent Arbeitsausfall sind bereits ein Grund für Kurzarbeit, auch wenn weniger als ein Drittel der Arbeitnehmer des Betriebes oder Betriebsteiles betroffen sind.

Fazit: Durch Weiterbildung lassen sich die Kosten des Arbeitgebers für Kurzarbeit gegen null Euro drücken! Kurzarbeit ist für 18 Monate möglich. Die Verlängerung auf 24 Monate ist angekündigt. Damit ist der Kündigungsgrund Arbeitsmangel „erschlagen“, und wer deswegen eine Kündigung erhält, kann sich dagegen wehren, auch als Leiharbeitnehmer oder befristet Beschäftigter! Der Betriebsrat kann die Kurzarbeit beantragen, er muss einem Kündigungswunsch des Arbeitgebers nicht zustimmen. Wer trotzdem eine Kündigung mit Zustimmung des Betriebsrates erhält, kann sich dagegen wehren. Wichtig ist es, bei einem abgeschlossenen Sozialplan auch diesen anzufechten. Wie dies geht? Wir gehen mit!

Damit ist klar: Eine Kündigung ist anfechtbar. Kurzarbeit ist für die Arbeitnehmer mit weniger Geld verbunden. Kurzarbeitergeld entspricht dem Arbeitslosengeld I. Jegliche Aufstockung bekräftigt die eventuelle Kündigung des Arbeitgebers. Aber wir zahlen eure Krise nicht! Um dieser Forderung Rechenschaft zu tragen, muss das Kurzarbeitergeld in Höhe des ausgefallenen Arbeitslohns gezahlt werden. Die heutigen Ausschlüsse wie Jahresleistung oder Urlaubsgeld sind zu beseitigen. Dies gilt auch für die Erstattungsleistungen an den Arbeitgeber. Die Gewinne der Unternehmen sind entsprechend steuerlich abzuschöpfen!

 

3. Bremen ist eine Stadt mit zu wenig Geld. Auch die befristeten Sonderzahlungen bringen nur vordergründig eine Entlastung. Die damit verbundenen Rahmenbedingung sind für die Menschen in Bremen sehr belastend! Die Grundlagen des Länderfinanzausgleich wurden nicht berichtigt. Daher gibt es für Bremen keinen Ausweg aus der Mittellosigkeit. Es ist egal, wie viel Steuergelder Bremen einnimmt – das Geld wird überwiegend vom Bund abgeschöpft! Der „Stabilitätsrat“ wird sicher das Unwort des Jahres 2020, jedenfalls in allen dann überschuldeten Bundesländern.

Unter diesem Gesichtspunkt sind verschwendete Steuergelder besonders schmerzlich. Die „Gläserne Werft“ zur Nachnutzung des Vulkan-Geländes war ein Projekt der jetzigen Landesregierung. Die Insolvenz war abwendbar, aber dann wären die Schiffe nicht zu haben gewesen. Diese historischen Nachbauten standen bei der „Gläsernen Werft“ mit einem Euro zu Buche. Allein die Neubewertung dieser Schiffe hätte den Insolvenzgrund beseitigt. Aber wer wollte dies schon?

Der „Neuanfang“ ist die Fortsetzung des Selbstbetrugs. Auch diese Erwar­tungen waren nicht zu erfüllen. Im Stadt-Prüfbericht 2009 des Bremer Rechnungshofs stehen ab der laufenden Nummer 202 der aktuelle Ablauf und die Vorgeschichte, leider in bereinigter Form, ohne die Umtriebe zur Insolvenz und die damit legitimierte Schiffsübereignung.

Besonders der Aussichtsturm mit Blick über die Weser ist gelungen: Der Turm ist fertig, nur der Blick über die Weser ist nicht möglich. Versperrt wird die Aussicht zur Weser durch das ebenfalls vom Senator geförderte Lokal. Jeder Firmenchef würde seine Angestellten für solche Fehlplanungen in Regress nehmen! Wie geht die jetzige Landesregierung damit um? Wird der Senator für Häfen, Herr Nagel, seinen Hut an denselben hängen? Wird Frau Linnert dies von ihrem Parteifreund fordern?

Auch der nächste Punkt ist sehr lesenswert. Es geht unter anderem um die viel gelobte Messe GmbH. Aber auch hier wäre ein Hinweis auf die jährlichen 200.000 Euro Steuergeld allein für die Messe GmbH als Ergänzung angebracht. Die HVG hat erst durch entsprechende Weichenstellung rund ums Musical-Theater Handlungsspielraum erhalten. Nichts dazu steht ab laufender Nummer 256. Aber diese Feststellungen sind mit bei Würdigung der anderen Umstände umso prekärer! Wer mehr von der angemessenen Haushaltsführung steht im Land-Prüfbericht 2009 des Bremer Rechnungshofs.

 

4. Die SWB ist im Gespräch. Von einer „norddeutschen Erfolgsgeschichte“ war die Rede! Dies ist richtig: Wir zahlen alle dafür. Die SWB kommt die Menschen teuer zu stehen! Wenn Bremen die Mehrheit an der SWB erworben hat, dann erfolgen die Energie- und Wasserabsperrungen im Namen der Freien Hansestadt und von Finanzsenatorin Linnert. Oder nimmt die SWB Vernunft an und ändert die Unternehmenspolitik? Jetzt muss die Bagis für die Raffgier der SWB in Vorleistung treten, obwohl es auch anders geht.

Im „Weser-Kurier“ stand am 27. September 2007, die SWB habe weniger Strom, Gas und Wasser abgestellt. Sie suche vor der Abstellung das Gespräch mit dem Kunden und biete Teilzahlungen an. Das erklärte SWB-Sprecherin Odenbach. Diese Einstellung war nicht nur mir neu: Wie wäre es sonst zu 4.200 Strom-, 882 Gas- und 1.100 Wasser-Versorgungssperren gekommen? Die SWB betreibt auch den Ausbau der Zähler. Haben die Gerichte die üppigen Pauschalen für das Ab- und Anstellen beanstandet, oder sind die Wettbewerber schuld? Egal, wir nehmen die SWB beim Wort! Bei der Vergangenheitsbewältigung sind allerdings auch die anderen Faktoren zu klären.

Frau Odenbach kannte dieses umsichtige Vorgehen von anderen Energieunternehmen und noch nicht die Handhabung der SWB Bremen. Sie konnte sich nicht durchsetzen und ist inzwischen für ein anderes Unternehmen tätig. Mit der Aktien-Mehrheit erhält Bremen auch die Personalverantwortung für die SWB zurück. Doktor Willem Schoeber hat das Verhalten seines Unternehmens ausdrücklich für richtig befunden. Er ist angeschrieben worden, wegen einer Unterbrechung der Wasserversorgung. Er hatte am Vorgehen seiner SWB nichts auszusetzen. Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich will die Zukunft positiv gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 
Hartz-IV-Klagen erfolgreich: Sozialgerichte erlassen einstweilige Anordnungen zur Übernahme von Stromschulden („Kanzlei Beier“)

 

Nicht nur meckern

Pete OrdingPete: Ich war letzte Woche bei der Montagsdemo und bin ein wenig enttäuscht – aber auch ermutigt zu helfen, mehr daraus zu machen, da ich den Eindruck erhielt, dass gutes Potential darin steckt. Soweit ich das erkannt habe, wird es aber nicht richtig praktiziert. Wie wäre es beispielsweise, wenn man dort auch noch Essen ausgeben würde – als Symbol, dass wir helfen, nicht nur mit klugen Sprüchen? „Wir sind aktiv und gehen euch, die ihr auch nichts habt, zur Hand und helfen mit dem Notwendigsten!“ Eine Dame fing ja schon damit an und verteilte ein paar Brötchen, wovon ich sehr begeistert und angetan war.

Dabei könnten organisatorische Infos verteilt und Adressen zur Kontaktaufnahme notiert werden, etwa für spätere Stimmabgaben bei Volksentscheiden, damit man als Bürger und Wähler zu anstehenden Entscheidungen auch mal gefragt wird. Machbar wäre einiges, es muss nur überlegt, vorgeschlagen, diskutiert, abgestimmt und in die Tat umgesetzt werden. Leider war ich auch so erledigt, dass ich froh war, wieder nach Hause zu können, da mir schon die Knie vom vielen Stehen weh taten. Aber das nächste Mal bleibe ich dabei!

Gerolf D. BrettschneiderGerolf: Erfahrungsgemäß wird erst dann etwas aus einem Vorschlag, wenn wir bei der Nachbesprechung im See­mannsheim darüber diskutieren. Deine Idee, die „Essensverteilung“ etwas spektakulärer zu gestalten und auch zur Kontaktaufnahme zu nutzen, ist sicher gut. Auf jeden Fall sind uns solche Rückmeldungen willkommen, denn wir rätseln ja seit Jahren, warum wir so wenige sind, obwohl Millionen unter Hartz IV leiden.

„Symbolische“ Aktionen haben wir gelegentlich schon unternommen, etwa die „Briefübergabe“ durch „Gräfin Emma“ an „König Jens“ und „Hofschranze Karoline“ oder die „Oblatenverteilung“ durch „Vater Staat“ an „Friedensengel Ackermann“. Unser Protest soll aber nicht nur symbolisch sein, sondern ernst gemeint, dauerhaft und lautstark – mit dem Anspruch, durch kontinuierliche Arbeit etwas zu bewirken, denn „steter Tropfen höhlt den Stein“. Hauptaufgabe der Montagsdemo-Aktivist­(inn)en ist also die Bereitstellung einer Infrastruktur für die freie Meinungsäußerung der Bevölkerung, unter anderem durch Anmelden der Demonstration, Bereitstellen des Lautsprechers und Betreiben einer Homepage. Für die konkreten Inhalte sollen die Teilnehmer selbst sorgen.

Die Bremer Montagsdemo ist sehr „textlastig“. Wir wollen eine Stunde lang im öffentlichen Raum präsent sein und – während man an einer Mahnwache achtlos vorbeigehen kann – jedem, der nur kurz über den Marktplatz huscht, über Lautsprecher klarmachen, dass es hier Menschen gibt, die mit der Sozialpolitik in diesem Land nicht einverstanden sind. Unser Ziel heißt nach wie vor: „Weg mit Hartz IV“. Damit sieht es momentan vielleicht gar nicht so schlecht aus: Die Jobcenter werden nächstes Jahr abgewickelt, und die Willkürlichkeit der Hartz-IV-Regelsatzfestlegung wird vom Verfassungsgericht begutachtet. Auch im „Anti­krisenprogramm“ der „Linken“ heißt es jetzt: „Der weitere Verlauf der Krise entscheidet sich auf der Straße“. Die Wahlen ändern da nichts – neoliberal sind die etablierten Parteien alle.

Pete: Nur wenige haben Interesse an Politik. Ihnen ist nicht klar, dass es mit an der Politik hängt, wie viel ich in meiner Tasche habe. Dies wird schon in der Schule anders unterrichtet und ist nur ein kompliziertes theoretisches Etwas, mit dem ich real nichts anfangen kann, an dem ich auch nicht im Geringsten Interesse habe. Man muss das anders angehen und Wege finden, wie man an Leute herankommt, und dann nicht mit „Politik“ anfangen, sondern mit konkreten Sachen, die jeden betreffen und über die sich jeder ärgern dürfte, etwa die hohen Steuern, die trotz Anrecht leeren Kassen für soziale Hilfen, oder dass wir sparen und den Gürtel enger schnallen sollen, obwohl die Reichen immer noch Millionen und Milliarden haben.

Selbst bei Hartz IV geht es eigentlich nicht darum, ob ich nun 351 oder vielleicht bald 354 Euro erhalte. Die drei Euro machen den Hasen nun auch nicht mehr fett, und 50 bis 100 oder 200 mehr erhielte ich sicherlich nicht. Warum sollen diejenigen, die hohe Steuern für ihre Arbeit zahlen, auch die Arbeitslosen mitfinanzieren? Die verärgert man gar noch damit! Hartz IV würde ich zunächst nur dahingehend ändern wollen, dass die „Eingliederungsverträge“ im Zusammenhang mit der grundgesetzlich verankerten freien Berufswahl praktiziert würden, sodass bei jedem Arbeitslosen zunächst geschaut wird, warum er nicht in Lohn steht, und ihn nicht zwingend, sondern unterstützend dazu bringt, für sein Auskommen zu sorgen, sollte er einfach nicht mehr arbeiten können, und sei dies psychisch bedingt. Den meisten könnte sicherlich geholfen werden.

Außerdem sollten der Freibetrag fürs Jahreseinkommen auf 15 bis 25 Tausend Euro erhöht und die Sozialabgaben auf Steuern umgeschichtet werden, sodass ein Arbeitnehmer nicht von seinem sauer verdienten Geld noch über die Hälfte dem Staat abgeben muss. Man kann nicht nur an einem Thema rumdoktorn, weil dann wieder andere benachteiligt werden, sondern muss das gesamte System im Auge haben und den Bürger wählen lassen. Wie seit eh und je werden wir in Wahlzeiten leider nur gefragt, wer uns als nächstes diktieren soll. Demonst­rationen bringen nichts, außer dass gewisse Leute, die aber eh nichts zu sagen haben, etwas zum Denken angeregt werden und sich ärgern. Doch ändern würde es erst dann etwas, wenn diese alle auch mitbestimmen könnten.

Viele sind mit Hartz IV finanziell so schwach ausgestattet, dass sie gar nicht die Möglichkeit haben, sich umfassend zu informieren – aufgrund der Finanzierung teils aber auch gar kein besonderes Interesse daran besitzen, denn sie werden ja bei Laune gehalten, indem sie ihr Auskommen erhalten. Wer stark verdrossen ist, es gar nicht anders kennt und auch nicht anders gebildet wurde, wird sich keine Gedanken darüber machen, dass es auch anders möglich wäre, schön sein könnte, und dass wir nun nicht mehr in der Nachkriegszeit leben, wo man hätte froh sein können, so viel zu bekommen wie heute als Arbeitsloser.

Ich denke schon, dass diese Demos etwas bei den Bürgern bewegen, was zwar bei Weitem nicht reicht, aber auch nicht sinnlos ist. Deshalb sollten noch weitere Instrumente hinzukommen. Dass es momentan nicht schlecht gegen Hartz IV aussieht, heißt noch lange nicht, dass dieses Gesetz gekippt, sondern vielleicht nur etwas abgeändert wird. Aber wenn Hartz IV weg soll, was dann? Die soziale Absicherung wird wohl kaum abgeschafft. Man kann nicht nur sagen: „das nicht“, sondern muss auch erklären, was stattdessen kommen soll.

Ist es da nicht sinnvoll, einzelne Bürger zu fragen, was sie von diesem und jenem halten, und ihnen die Möglichkeit zu offerieren, selbst Vorschläge zu unterbreiten? Dass Wahlen derzeit nichts bringen, ist schon klar – jedenfalls nicht bei den etablierten Parteien. Wenn man jedoch eine neue gründete, welche all die Dinge täte, die sinnvoll wären, würden Wahlen sogar sehr viel bringen. Ohne Wahlen geht gar nichts, da die etablierten Parteien doch ständig machen, was die Industrielobby will. Daran werden Demos auch nichts ändern.

Gerolf: Deine letzte Mail klingt nach der Klage eines Arbeitnehmers, der sich zu Recht darüber beschwert, dass er außer den Steuerlasten auch noch die Kosten der Arbeitslosigkeit tragen muss. In der Tat werden die Kosten des Sozialstaats weitgehend der werktätigen Mittelschicht aufgebürdet. Dagegen bleibt die Oberschicht weiterhin, obwohl „Eigentum verpflichtet“, von der Zahlung einer Vermögensteuer wie in den USA verschont, und die Unternehmen erhalten Subventionen, statt dass sie Steuern auf ihre Umsätze zahlen, aus denen der Sozialstaat finanziert wird. Ich kann es daher nachvollziehen und unterstützen, wenn du einen Steuerfreibetrag von jährlich 25.000 Euro auf Erwerbseinkünfte forderst. Etwas in dieser Art gehört auch in den Forderungskatalog der sozialen Bewegung.

Du scheinst mir aber ein Opfer der alltäglichen medialen Hetze gegen Erwerbslose geworden zu sein, wenn du schreibst, die Arbeitslosen würden doch mit Hartz IV „versorgt“ und „bei Laune gehalten“, weil sie ihr „Auskommen“ hätten. Um mit 351 Euro Regelsatz auszukommen, musst du schon ein Hungerkünstler sein. Spätestens bei der behördlichen „Eingliederungs“-Gängelei, die das Ziel hat, auch diesen Betrag noch zu streichen, ist es mit der guten Laune vorbei, und psychische Krankheiten stellen sich ein. Die Hartz-IV-Betroffenen müssen deshalb tatsächlich um eine sehr deutliche Regelsatzerhöhung kämpfen. Die Montagsdemo hat auch die Aufgabe, die Spaltung zwischen Arbeitnehmern und Erwerbslosen zu überwinden, indem sie klarmacht, dass diese der Lohndrückerei zugunsten der Unternehmen dient.

Pete: Ich muss dich etwas enttäuschen, ich bin selbst Hartz-IV-Empfänger, doch habe ich auch schon hart gearbeitet, weshalb ich Arbeitnehmer, die sich darüber beschweren, verdammt gut verstehen kann. Mit dem Regelsatz von 351 Euro kann ich in der Tat behaupten, ich sei ein Hungerkünstler, doch komme ich, wenn es sein muss, auch mit knapp 50 Euro im Monat aus. Von daher sind mir die 351 ein recht angenehmer Betrag. Derzeit erhalte ich gut 70 Euro Abzug wegen zu teurer Wohnung und spare von den 280 sogar noch über 100 Euro monatlich.

Allerdings hungere ich nur äußerst ungern. Das musste ich zwangsweise im alten Beruf, aber heute nur, um meiner Mutter gegenüber Wort zu halten, die mir aus einer echten Krise geholfen hat. Da bin ich schon eher „Sparkünstler“. Geld hat ja nicht nur mit Essen zu tun. Aber es muss gerecht für alle sein, Arbeitnehmer und Arbeitslose. Auch bei der Vermögensteuer muss es einen entsprechenden Freibetrag geben, sodass nicht jeder schon für den ersten Euro Steuern zu zahlen hat. Ab einer Million oder gar zehn wäre in Ordnung. Dies sollte das Volk selbst entscheiden. Übrigens wird man sowohl durch ungeliebte Arbeit als auch durch absolutes Nichtstun psychisch krank.

Gerolf: Vielleicht solltest du zusammen mit Herrn Sarrazin ein neues Hartz-IV-Kochbuch herausgeben? Vermutlich gehst du zur „Tafel“, wenn du mit so extrem wenig Geld über die Runden kommst. Aber schadest du nicht der Wirtschaft, wenn du in diesem Ausmaß Konsumverweigerung übst und sogar noch 100 Euro im Monat sparst, statt sie zum Aldi zu tragen? Nein, ich will meine Lebensmittel dort kaufen dürfen, wo es alle anderen ehrlichen kleinen Leute auch tun. Dafür reicht der Hartz-IV-Regelsatz einfach nicht aus, man muss unter anderem an der Bekleidung sparen. Aber die „abgelaufenenAutos werden schließlich auch auf Staatskosten verschrottet und nicht etwa noch an Bedürftige verteilt.

Pete: Es lohnt sich kaum, zur „Tafel“ zu gehen, denn gerade die Sachen, die recht teuer sind, kriegt man da nicht. Dadurch spare ich bestenfalls 20 bis 30 Euro monatlich ein. Wohin ich mein Geld trage, und wann ich es wofür ausgebe, ist wohl egal. Ich habe meiner Mutter noch geliehenes Geld zurückzugeben, damit sie im Juni ihre Kur antreten kann, für die sie es eigentlich gespart hatte. Sie hat es mir gegeben, damit ich nicht auf der Straße stehe, und will es nun logischerweise zurück. Meine Mutter wird 80, also werde ich mir lieber ein Bein ausreißen, als ihr das Geld nicht für die Kur wiederzugeben. Außerdem braucht man ab und zu mehr Geld, wenn man etwas erreichen will. Somit muss man gegebenenfalls auch mal dafür sparen. Was man will und was man kriegt, sind leider oft verschiedene Sachen. Was nutzt es, wenn wir uns nun darum „austoben“? Sollte man nicht real etwas dagegen tun? Das hier klingt mir zu sehr nach bloßer Meckerei, die keinen interessiert, schon gar nicht die Verantwortlichen. Man sollte etwas gegen die bestehende Situation unternehmen, und sei es nur Ursachenforschung.

Gerolf: Die Montagsdemo wehrt sich gegen eine Spaltung des Volkes in Kartoffelfresser und Kartoffelschalenfresser. Die Montagsdemo hat sich immer gegen das Rechtfertigen und Schönreden des Verzichts gewehrt, wie es leider auch bei dir anklingt, etwa bei deinen „Sparmenüs“. In einem sozialen Staat hätte dir die Sozialbehörde das benötigte Darlehn gewähren müssen. Gegen die Bildung von Netzwerken zur Selbsthilfe, um die es im weitesten Sinne wohl auch auf deiner Homepage gehen soll, ist zwar nichts zu sagen. So haben zum Beispiel Unterstützer aus dem Umfeld der Montagsdemo einen Verein gegründet, um Hartz-IV-Betroffenen Begleitschutz beim Ämterbesuch zu leisten. Dort wird oft auch die Frage aufgeworfen, was man gegen Kürzungen des Regelsatzes oder der Unterkunftskosten tun kann. Es wäre aber trostlos, wenn solche Netzwerke nur das Überleben auf den Müllkippen der Überflussgesellschaft organisieren wollten, wobei Ruhe und politisches Desinteresse zur ersten Bürgerpflicht erklärt werden. Nein, das Ziel sozialer Netzwerke muss sein, Würde und Gleichheit der Menschen zu erkämpfen!

Pete: Es geht mir nicht darum, die Hartz-IV-ler zu lehren, mit wenig Geld auszukommen. Sie könnten von mir aus auch mehr erhalten, sofern sie gewillt sind, zum Allgemeinwohl beizutragen. Doch wenn man wenig erhält, ist es besser, damit so gut wie möglich auszukommen, als mehr zu brauchen, aber nicht zu haben. Ich will nicht, dass Erwerbslose von der Müllkippe leben. Erwerbswillige sollen gut unterstützt werden, ich würde derzeit 500 Euro monatlich plus Unterkunft befürworten. Es stellt sich die Frage, ob es Nichtarbeitswillige überhaupt gibt. Solche, die sich tatsächlich auf dem Rest der Gesellschaft ausruhen wollen, sollten nur ein Minimum an lebenswürdiger Unterkunft und Verpflegung erhalten. Warum sollte die arbeitende Gesellschaft, vor allem Geringverdienende mit rund 800 Euro monatlich netto, mit für die Nichtarbeitenden tätig sein? Doch warum sollten andererseits diejenigen, die gern arbeiten wollen, dadurch bestraft werden, dass sie nichts zu tun kriegen?

Entscheiden sollte das der Wähler selbst über ein gefragtes Netzwerk in Abstimmung. Wir leben schließlich in einer Demokratie, die nur leider nicht richtig verwirklicht wird. Es geht mir auch nicht nur darum, mit den Behörden fertig zu werden, als vielmehr dafür zu sorgen, dass sich deren Aufgabe dahingehend ändert, dass sie sich ebenso tatkräftig für den Erwerbslosen einsetzen, wie dieser sich zur Bemühung verpflichtet, einst nicht mehr von ihnen abzuhängen. Du fragst, ob der Bürger oder Arbeitslose etwa verpflichtet sein soll, nichts zu tun, sich also nicht politisch zu aktivieren und alles hinzunehmen, wie es ist. Die Würde des Menschen ist glücklicherweise sogar grundgesetzlich verankert. Das wird nur nicht immer praktiziert.

Gerolf: Den Standpunkt „Ruhe und politisches Desinteresse sind erste Bürgerpflicht“ vertrittst du, wenn du der Montagsdemo eine Mail schickst mit dem Betreff „Nicht meckern, sondern überlegen und handeln“. Dieser Vorwurf ist für die Montagsdemo nicht neu. Erhoben wurde er zum Beispiel von einem Redner, der Hartz IV unter Verweis auf die „wirklich armen Inder“ rechtfertigte.

Pete: Das geht auch an den eigentlichen Problemen vorbei. Wichtig ist nicht, dass man etwas tut, um etwas zu tun, sondern dass sowohl Arbeit als auch Vermögen der Leistung entsprechend verteilt sind und die Bereitschaft zum Allgemeinheitsbeitrag gegeben ist. Wenn es angesichts der fortschreitenden Rationalisierung einfach keine Arbeit mehr für jeden gibt, kann man diejenigen, die halt nicht zu arbeiten haben, schlecht dafür bestrafen. Für einen Euro täglich die Straße zu fegen, hätte ich in der Tat auch abgelehnt beziehungsweise diesen Herren gefragt, ob er mich verarschen will.

Ich arbeite doch nicht, um zu arbeiten, mache Idiotenarbeit oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, sondern um eine Entlohnung, in welcher Form auch immer, dafür zu erhalten, und um etwas, das getan werden muss, auch zu erledigen, weil es sonst ein anderer tun müsste – aber nicht bloß, um meinen Geist oder Körper in Bewegung zu halten. Es sollte bei den Erwerbslosen nur eine Bereitschaft da sein, auch etwas beizutragen, sofern erforderlich. Dann sollte Erwerbsarbeit jedoch auch erheblich besser entlohnt werden als Erwerbslosigkeit. Für jeden Erwerbslosen müssen auch reale Perspektiven geschaffen werden. Möglich ist so vieles, das sinnvoll sein könnte. Es muss nur, angesichts der Masse an Menschen, richtig organisiert werden.

Gerolf: Die Mahnung, nicht Unterstützung zu fordern, sondern darauf zu achten, was wir selbst tun könnten, bekamen wir auch von einer Vertreterin des Vereins „Roland Regional“ zu hören. Arbeitslose sollten an einer Tauschwirtschaft für Waren und Dienstleistungen teilnehmen, die freilich alle verhungern lässt, die nichts anzubieten haben.

Pete: Die Tauschidee ist an sich nicht schlecht, jedoch stimme ich ihr auch nicht ganz zu. Wenn ich etwas in Geld wechsle, eine Sache oder Leistung, möchte ich nicht, dass der Wert nachlässt. Dies kann man bei den Reichen durch Steuern regulieren. Das Tauschen ist schon gut und in Ordnung, aber es sollte so sein, dass diejenigen, die etwas zu bieten haben, untereinander tauschen können, und solche, die leider gar nichts haben und zu nichts fähig sind, ein gewisses Minimum zum Auskommen erhalten, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Dies ist Definitionssache. Das Volk möge es entscheiden und nicht einer von uns.

Diejenigen, die etwas können, doch nichts tun, mögen mal beraten und besprochen werden. Sie wollen sicherlich nicht nur vor sich hinvegetieren. Wir brauchen Perspektiven, auch wenn diese nur zu Möglichkeiten führen, nicht zu praktikablen Aktionen am aktuellen Tag. Es gibt so viele Dinge, die gemacht werden können und an denen viele Leute auch Spaß hätten. Wir leiden nicht Not an Ressourcen, haben sogar starke Überflüsse. Doch nicht nur die Vermögen sollten der Leistung entsprechend verteilt werden, auch die Arbeit an sich, entsprechend den Interessen und Wünschen der einzelnen Bürger.

Gerolf: Zu der ewigen Unterstellung und Hetze, Arbeitslose wollten in Wirklichkeit gar nicht arbeiten, habe ich mich mehrfach geäußert, zum Beispiel, als Bruno Boskop im „Spiegel-Online“-Forum forderte: „Wer nicht arbeiten will, dem sollte gehörig in den Hintern getreten werden!“ Wenn es stimmt, dass Arbeit zu leisten, sinnvolle Arbeit, ein Lebensbedürfnis des Menschen ist, dann braucht man auch nicht den „Arbeitswillen“ zu überprüfen. Das kann dann nur den Zweck haben, dessen Abwesenheit festzustellen statt die einer sinnvollen Arbeit. Doch Zwangsarbeit ist verboten, und es ist unmenschlich, einem Menschen das Essen zu verweigern – oder das Obdach. Ein sozialer Staat muss den Schwächeren schützen.

Pete: Ich sehe das mit der unrechtmäßigen Zwangsarbeit auch so, obschon man sie umgehen kann, indem die Behörde auffordert, die Fähigkeit zu einer selbstgewählten Erwerbstätigkeit zur erlangen. Wenn man Hartz IV weghaben will, wie soll es dann werden? Gilt es das nicht zu beraten? Ich persönlich fahre mit Hartz IV besser als mit Sozialhilfe, aber der Arbeitszwang und andere Rahmenbedingungen gefallen mir absolut nicht, vor allem die Lahmheit der Behörden. Diese sollten für den Bürger da sein, nicht für die Regierung, stellvertretend für die Industrielobby! Es geht mir um gute Regeln und Perspektiven für alle. Sind keine solchen da, kann man schlecht den Einzelnen dafür zur Verantwortung ziehen. Das sollte man in einem menschlichen Staat auch nicht.

Gerolf: Auf der Montagsdemo gibt es eine gewisse Bandbreite an Meinungen, doch natürlich wird auf Dauer bei uns nur mitmachen, wer den in zahllosen Wortmeldungen immer wieder bekräftigten Konsens teilt, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem Land – die durch immer neue Studien bestätigte zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich – nicht Ruhe, sondern einen öffentlichen Protest erforderlich machen. In unseren Grundsätzen ist vor allem skizziert, wie diese alternative Struktur zur öffentlichen Meinungsäußerung namens Montagsdemo funktionieren soll. Inhaltlich wird nur der Ausschluss faschistischer Standpunkte festgeschrieben, doch daraus folgt bereits vieles Wesentliche. So schauen wir stets genau darauf, wo Schwächere ausgesondert und schlechtergestellt werden sollen. Daher kreisen unsere Beiträge auch um die Forderung „Weg mit Hartz IV“. Immer wieder bekräftigen wir, dass stattdessen eine weitaus großzügigere, bedarfsdeckende und repressionsfreie Sozialleistung benötigt wird.

Pete: Dann kommt es also auf die Definition von Faschismus an. Man könnte darüber streiten. Also besser: Wer nicht arbeiten will, muss halt mit wenig auskommen, doch wer will, soll eben mehr haben. Aber wer will schon nicht? Ich möchte nicht rechtfertigen, dass Arbeitslose wenig erhalten, bestenfalls real Unwillige. Ich weiß nicht, wie man das umsetzen mag, aber am besten fände ich, Erwerbswillige sollten gut unterstützt werden und Erwerbsunwillige nur das zum Leben Nötigste erhalten. Die Summe, mit der ich aktuell lebe, kann ich nicht als würdig bezeichnen, ich sage dazu lediglich: Es geht, wenn es muss! Aber es sollte gar nicht müssen. Es kam zu dem, wie es noch ist, durch schlichte Willkür von Behördenmitarbeitern, gepaart mit persönlichen Schwierigkeiten sowie der Art, wie ein Vermieter mit Problemen umgegangen ist. Ich bin da aber schon wieder so gut wie raus. Dann kann ich von zumindest 210 Euro leben, bei 70 Euro Wohnungsüberpreisabzug und 70 für Strom, weil die SWB Probleme macht und ich es so dem Vermieter geben muss. Der will schließlich auch Sicherheit.

E-Mail-Wechsel zwischen Pete Ording und Gerolf D. Brettschneider
Vermieter wollen keine Hartz-IV-Empfänger: Es ist fast aussichtslos, auf dem privaten Markt eine Wohnung zu bekommen („Tageszeitung“)
 
Wahnsystem Landesbank: Politik verhindert Konsolidierung bis zum
Untergang, um die Dividende zu bekommen („Spiegel-Online“)
 
1.000 Beschäftigte auf „Kurzarbeit Null“: Daimler Bremen verkündet weitere Sparmaßnahmen für die 13.000 Beschäftigten („Tageszeitung“)

 

Kämpfen in der Krise!

Inga Nitz ('Die Linke')„Jeder hat das Recht auf Arbeit“, heißt es nicht nur in Artikel 23 der UN-Menschen­rechtscharta, sondern auch in Artikel 8 der Bremer Landesverfassung. Unter den heutigen Bedingungen muss dieses Recht den Anspruch auf gute Arbeit umfassen, also auf gesicherten Zugang zu angemessen bezahlter, mit verschiedenen Lebenslagen vereinbarer Erwerbstätigkeit, auf Mitbestimmung und Organisation, aber auch auf Schutz vor Arbeitslosigkeit und Zwang zur Arbeit.

Die gegenwärtige Krise ist bislang vor allem ein Angriff auf Beschäftigte und Erwerbslose. Sie bietet jedoch auch die Chance, Fehler, Untätigkeit und Zynismus der bisherigen Arbeitsmarktpolitik klar zu machen und die Weichen neu zu stellen. Öffentliche Beschäftigungspolitik, betriebliche Kämpfe, Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse, Arbeitszeitverkürzung und soziale Sicherung ohne Repression sind Handlungsfelder, um die Allgemeininteressen wieder zur Geltung zu bringen, die in den Jahren der Profitgier vollständig verloren gingen.

Unter dem Motto „Kämpfen in der Krise“ wird „Die Linke“ am Samstag, dem 18. April 2009, eine Konferenz (Beginn um 10 Uhr im DGB-Haus am Bahnhofsplatz) sowie vorab zwei Regionalveranstaltungen zur Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik durchführen mit dem Ziel, Lösungsansätze zu finden, mit denen wir aus der Kritik der derzeitigen Arbeitsmarktpolitik heraus einen notwendigen Politikwechsel einleiten können.

Diese Konferenz konfrontiert linke programmatische Ziele, landespolitische Realität und aktuelle Umbrüche und soll dazu beitragen, diese Widersprüche in kurz-, mittel- und langfristige politische Projekte zu überführen. Sie befasst sich insbesondere mit den Feldern Beschäftigungspolitik, Strukturpolitik und öko-sozialer Umbau, Mitbestimmung und öffentliche Beteiligung sowie landespolitische Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Arbeitsverfassung (Mindestlohn, Vergabe, Arbeitszeit, Mitbestimmung). Dazu werden Expert(inn)en, Gewerkschafter(innen) und Vertreter(innen) arbeitsmarktpolitischer Institutionen und Organisationen in sechs Workshops zusammen diskutieren. Übergeordnet ist die Frage nach der Aktualität des Rechts auf Arbeit heute.

Inga Nitz („Die Linke“)

 

Wir brauchen dringend eine Bremse für Steuergeschenke an Reiche und Unternehmer!

Elisabeth Graf1. Bei der geplanten Schuldenbremse handelt es sich um eine ganz fatale Entscheidung! Am Ende müssen die Bürger die Zeche dafür zahlen, dass den Banken die Milliardensummen nur so hinterhergeworfen werden. Mit der Schuldenbremse müssten Bund und Länder zukünftig grundsätzlich ohne neue Schulden auskommen. Das könnte vorausschauend und weitblickend sein, wenn nicht die Augen davor verschlossen würden, dass der Staat sich durch immer weitere Steuersenkungen in der Vergangenheit selbst arm gemacht hat. Weil nicht mal mehr für die notwendigsten Ausgaben genug Geld blieb, drehte sich die Schuldenspirale immer weiter abwärts.

Wenn jetzt dringend Geld zur Bekämpfung der Krise gebraucht wird, werden weitere Steuergeschenke für Reiche und Unternehmer versprochen, statt bei den Wohlhabenden endlich mal die Steuern zu erhöhen beziehungsweise sie überhaupt zu erheben! Wenn es also irgendwann nicht mehr möglich sein sollte, neue Schulden zu machen, dann ist mir vollkommen klar, was drohen wird. Vermutlich wird es eine wahre Streichorgie bei staatlichen Aufgaben und Leistungen geben! Die völlige Demontage des Sozialstaates wird nun möglich, so wie es im Lissabonner Vertrag vorgesehen ist. Wenn also eine Schuldenbremse mit einer Sozialbremse gleichzusetzen ist, dann muss dieser Regierung endlich die rote Karte gezeigt werden! Wir brauchen dringend eine Bremse für Steuergeschenke an Reiche und Unternehmer!

 

2. Offenbar stehen den Mietern des drittgrößten deutschen Wohnungskonzerns Gagfah schwere Zeiten bevor. Der Konzern beabsichtigt, seine ohnehin schon äußerst knapp bemessenen Ausgaben für die Instandhaltung seiner 175.000 Wohnungen noch weiter absenken. Zudem will er dann auch noch die Miete bis an die Grenze des in Deutschland gesetzlich Zulässigen ausreizen! Schon jetzt berichtet ein Konzern-Insider von skandalösen Zuständen einzelner Gagfah-Immobilien. Schuld sind nach Meinung von Fachleuten die hohen Dividenden, die das Unternehmen seinem Hauptaktionär, dem US-Investor Fortress, auszahlen muss. Wenn eine Heuschrecke Kapital im großen Stil abzieht, bleiben nach dem Filetieren am Ende schlechtere Wohnungen übrig, und die Leidtragenden sind die Mieter. Dafür finden sich schon jetzt skandalöse Beispiele.

So müssen in Wuppertal Mieter ohne Tageslicht auskommen, weil das Gebäude wegen auf die Straße fallender Schieferplatten nur eingerüstet wurde, statt es zu sanieren. In Freiburg sollen mehrere Gebäude wegen Asbestbelastung ebenfalls eingerüstet sein, aber letztlich wird nichts weiter unternommen. In Osnabrück wurde mehreren Hundert Mietern das Wasser abgestellt, obwohl sie ihren Abschlag pünktlich an die Gagfah gezahlt hatten. Schade nur, dass die Wohnungsgesellschaft das Geld viel zu spät weiterleitete. Selbstredend weist die Gagfah alle Anschuldigungen zurück und verwehrt sich dagegen, sich etwa „an Spekulationen“ über künftige Mietentwicklungen zu beteiligen„. Es liefen erst noch Ausschreibungsverfahren für die notwendigen Arbeiten, und überdies sei damit auch schon begonnen worden. Dass Gagfah-Mietern in Osnabrück das Wasser wegen einer zu späten Weiterleitung der Gebühren abgeschaltet worden sei, wies der Sprecher zurück.

 

3. Als der Bauer in diesem Jahr im Märzen seine Rösslein einspannte beziehungsweise den Traktor startete, um seine Felder und Wiesen instand zu setzen, ist in Deutschland zum ersten Mal seit 80 Jahren die Zahl der Erwerbslosen in einem März gestiegen. Die sonst übliche Frühjahrsbelebung ist leider der Krise zum Opfer gefallen, die nun auch den Arbeitsmarkt erreichte. Die Bundesregierung ist not amused und erwägt, angesichts der schlechten Zahlen notfalls das Kurzarbeitergeld auf 24 Monate zu verlängern. BA-Chef Frank-Jürgen Weise schließt einen Anstieg der offiziellen Arbeitslosenzahl auf vier Millionen im Herbst nicht aus. Dass die Zahlen und Fakten nicht noch schlimmer ausfallen, liegt seiner Meinung nach an der Kurzarbeit. Seit Januar gingen etwa 1,7 Millionen Anzeigen für konjunkturelles Kurzarbeitergeld von 50.000 Unternehmen ein. Vor allem die Automobilindustrie und ihre Zulieferer, aber zunehmend auch Zeitarbeitsfirmen stellten entsprechende Anträge.

Vor diesem Hintergrund plädierte nun auch Generalsekretär der CDU/CSU Ronald Pofalla für die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes. Sozialminister Olaf Scholz (SPD) wich von seiner vor Kurzem noch anvisierten Utopie der Vollbeschäftigung ab und appellierte an die Unternehmen, die Möglichkeit von Kurzarbeit anstelle von Entlassungen zu nutzen. Völlig zu Recht forderte die Linkspartei einen „Schutzschirm für Millionen statt Milliarden für Millionäre“. Dazu zählt die Partei auch eine Verlängerung des Arbeitslosengelds I. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Kornelia Möller, sagte: „Wenn das Kurzarbeitgeld nicht die Arbeitsmarktstatistik vernebeln würde, gäbe es in diesem Frühjahr einen Rekordanstieg der Arbeitslosigkeit. Wir hätten dann wahrscheinlich fast vier Millionen Erwerbslose.“

 

4. Als am 27. März 2009 der „Caritas“-Verband unter dem Motto „Armut hat viele Gesichter“ Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Kirche zum Frühjahrsempfang einlud, wurden die vielen Gesichter der von Armut betroffenen Erwerbslosen natürlich nicht eingeladen. Dennoch lockte der Geruch des feinen Buffets mit Sekt und appetitlichen Häppchen knapp 30 Engagierte aus dem Spektrum der „Zahltag“-Kampagne zum Fest. Die protestierenden „Kölner Erwerbslosen in Aktion“ legten vor dem Domforum auf dem Pflaster ein Transparent aus: „Verarmungspolitik hat viele Gesichter“. Einige Demonstranten zogen an den Security-Männern vorbei, andere verkleideten draußen den verglasten Saal mit Transparenten und verteilten Flyer an viele neugierige Passanten, um die Heuchelei des „Caritas“-Verbandes zu verurteilten und öffentlich zu machen.

Statt vor so viel „Mildtätigkeit“ geziemend zu Kreuze zu kriechen, geigte ein Ungeladener der erlauchten Festversammlung allerdings die Meinung und stellte klar, dass es Armut gebe, weil es Reichtum gibt. Außerdem geißelte er die „perverse Sozialordnung“, die Mieten hochtreibe und Wohnraum vernichte, die „Geld für Krieg übrig hat und für die Armen Almosen“. Wir wollen jedoch auch nicht vergessen, dass die geladenen Gäste aus Verbänden wie der „Caritas“, der Diakonie und dem „Paritätischen“, zusammen mit der Gewerkschaft, mit SPD und den Grünen vor ein paar Jahren Hartz IV mal eben so abgenickt haben! Und nun maßen sie sich an, im edlen Ambiente über Armut zu jammern? Ausgerechnet der „Caritas“-Verband, der im Beschäftigungssektor sogenannter Ein-Euro-Jobber(innen) als Gigant bezeichnet werden darf, will nun darüber klagen, dass er „leider“ zu viele „Tafeln“ betreiben muss und seinen Mitarbeiter(inne)n „bedauerlicherweise“ immer weniger Lohn zahlen kann!

Einerseits werfen sie sich in die Robe des berufenen Anwalts der Armen, andererseits aber fördern gerade „Caritas“ und Diakonie die sogenannte Prekarisierung von Arbeitsbedingungen, indem sie zum Beispiel in ihren Kliniken und Pflegeheimen tarifliche Vollzeitarbeitsplätze durch Ein-Euro-Kräfte ersetzen. Diese kirchlich getragenen Großeinrichtungen lassen sich ihre Krankenhäuser und Senioreneinrichtungen übrigens zu fast 100 Prozent aus öffentlichen Steuergeldern und nicht nur aus der Kirchensteuer finanzieren. Es ist offenbar gar nicht so einfach, die Gratwanderung in innerer Zerrissenheit zwischen der Doppelstrategie christlicher Nächstenliebe und knallharter Ausbeutung zu meistern! Zunächst duldeten die Veranstalter die Aktion der Demonstranten und „integrierten sie“, bis sie nach einer knappen Stunde doch die Polizei herbeiriefen. Auf diese Weise wurde der Aktion auf dem Kölner Domplatz zu ungeahntem Interesse verholfen.

 

5. Wie das Magazin „Fakt“ letzte Woche zeigte, nutzen immer mehr Arbeitgeber die prekäre Lage auf dem Arbeitsmarkt aus und zahlen ihren Angestellten noch nicht einmal den vertraglich vereinbarten Dumpinglohn. Rund zwei Monate räumte Jörg Taube aus Dresden viermal pro Woche für lumpige 4,50 Euro die Stunde bei Rewe Regale ein. Taubes Arbeitgeber ist jedoch die Firma „Teamwork Büttgen“ mit Sitz in Köln-Lohmar. Im naiven Vertrauen darauf, alles werde schon seine Richtigkeit haben, zeichnete er seine Stundenzettel brav ab. Als der arbeitslose Familienvater die erste Lohnabrechnung erhielt, glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu dürfen, denn ihm fehlten ganze 25 Stunden! Als er bei seinem Vorgesetzten nachfragt, teilte dieser ihm lapidar mit, dass statt des vertraglich vereinbarten Stundenlohns tatsächlich „nach Leistung“ bezahlt werde.

Offensichtlich strich der Teamchef die Arbeitsstunden einfach zusammen. Die Arbeitsrechtlerin Marlene Schmidt prüfte den Arbeitsvertrag von Jörg Taube und stellte fest, dass eine Bezahlung nach Leistung natürlich schlicht rechtswidrig ist. Eine „Teamwork“-Mitarbeiterin, die aus Angst vor Repressalien als leitende Angestellte nicht erkannt werden will, erklärt gegenüber „Fakt“, dass es eine Anweisung zur Manipulation gibt und sie sogar selbst Stundenzettel ihrer Mitarbeiter nach unten korrigiert hat. Die Arbeitsrechtlerin Marlene Schmidt nennt dieses Vorgehen schlicht illegal. Wahrscheinlich brauche ich nicht zu erwähnen, dass der Firmenchef mit Namen Hase heißt und von gar nichts weiß und deswegen selbstredend alle Vorwürfe bezüglich einer Anweisung zur Manipulation zurückweisen muss. Seit der Recherche von „Fakt“ existiert angeblich eine Anweisung, die Zahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden nicht mehr zu kürzen, bis auf Weiteres zumindest.

 

6. Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit wächst in SPD und Union die Bereitschaft zum Ausbau von Sozialleistungen: Wie der „Spiegel“ am Samstag berichtete, werden in der SPD Forderungen laut, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I zu verlängern. Der Vizevorsitzende der Spezialdemokraten, Ludwig Stiegler, sagte, die Maßnahme solle verhindern, dass die Binnennachfrage schwinde, wenn Erwerbslose kein Arbeitslosengeld mehr bekämen und auf die niedrigen Sätze von Hartz IV angewiesen seien. Beschämenderweise dreht es sich immer nur um kalte Ökonomie. Es zählen keine von der Gesellschaft komplett ausgegrenzten Menschen! SPD-Vorstandsmitglied Ottmar Schreiner plädierte dem Bericht zufolge dafür, die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I „so schnell wie möglich“ auf 24 Monate zu verlängern. Er meint, dass den Menschen dadurch „ein Stück weit“ die Angst vor der Arbeitslosigkeit genommen werde. Weiß dieser Politiker eigentlich, was er da absödert?

Wahrscheinlich handelt es bei diesen laut ausgesprochenen Überlegungen um reine Augenwischerei. Real wären sowieso höchstens ein paar Tausend ALG-I-Bezieher davon betroffen. Es soll selbstverständlich nicht den Ärmsten der Armen, den ALG-II-Beziehern, die kümmerliche Regelleistung auf ein soziokulturelles Existenzminimum erhöht werden, weil das zu viele beträfe und ja der Abstand, die Abschreckung, auch gewahrt bleiben muss. Bloßes Plädieren ist ohnehin völlig bedeutungslos, kostet noch nicht mal Nerven oder wäre einem Beschluss gleichzusetzen. Reden lässt sich viel – besonders sechs Monate vor der nächsten Bundestagswahl. Die Politiker wissen ja genau, dass sie ihr Palaver nicht umsetzen müssen: Selbst wenn sie an die Regierung kommen sollten, ist selbstverständlich nur leider ausgerechnet der Koalitionspartner gegen eine Umsetzung von Wahlversprechen. So ein Pech aber auch!

 

7. Nach einer Richtlinie der EU-Kommission haben in Deutschland möglicherweise alle Asylbewerber Anspruch auf Hartz IV. Bislang bekommen sie etwa ein Drittel weniger Geld als ALG-II-Bezieher. Während die Linkspartei im Europaparlament diese Gesetzesänderung unterstützt, schlagen CDU und CSU Alarm: Die vermeintlichen Christen halten es für unakzeptabel, dass ein Asylbewerber die gleichen Leistungen bekommt wie jemand, der jahrelang Steuern und Sozialabgaben gezahlt habe. Als ebenso falsch wird der schnellere Zugang zum Arbeitsmarkt bewertet, wenn Asylbewerber schon nach sechs Monaten eine Arbeitserlaubnis bekommen sollten: Millionen Menschen in Deutschland hätten dann Angst um ihren Arbeitsplatz.

Die haben sie jetzt ja noch gar nicht, weil die Politik sich nicht darum kümmert, dass Unternehmer Arbeitsplätze ins Ausland verlagern! Bisher wurde noch nicht öffentlich befürchtet, dass die Asylbewerber auch in der Arbeitslosenstatistik auftauchen könnten. Doch das kann ich mir nun wieder gar nicht vorstellen, das werden unsere virtuos fakenden Arbeitslosenstatistiker wohl rigoros zu verhindern wissen! Das fehlte ja noch, wenn eine durch EU-Richtlinie erzwungene Wohltat sich in einem Wahljahr ungünstig auf die Arbeitslosenzahlen auswirken würde. Schließlich tauchen alle Kranken, alle Sozialgeldbezieher, sich in Ausbildung/Umschulung/Weiterbildung Befindenden, alle durch Ein-Euro-Jobs Ausgebeuteten und alle Aufstocker dort auch nicht auf, obwohl sie ALG II beziehen!

 

8. Für die großen deutschen Technologie-Konzerne gehört es längst zum Alltag, Tausende von Jobs aus Deutschland ins Ausland zu verlagern. Nach einer Studie des „Kieler Instituts für Weltwirtschaft“ könnten bis zu elf Millionen Jobs davon betroffen sein. In Bangalore fährt jeden Morgen eine ganze Armada von SAP-Shuttles, die im Auftrag des badischen Softwarekonzerns durch die südindische Millionenmetropole kurvt. Auf der Straße nach Whitefield, einer gigantischen Retortenstadt aus Technologieunternehmen, Dienstleistern und abgeschotteten Wohnkomplexen, vereinen sich die Busse mit denen anderer westlicher Konzerne zu einer gut 25 Kilometer langen, lautstark hupenden Blechkarawane. Tausende von Programmierern, Ingenieuren und anderen Experten sind auf dem Weg zur Arbeit, für Konzerne, deren Zentralen zumeist unzählige Kilometer entfernt liegen.

Sumeet Shetty ist 27 Jahre alt, Single und hat einen Bachelor in Software-Engineering. Er ist Spezialist für Abrechnungssoftware von Banken, hat Erfahrung in Mitarbeiterführung und Projektkoordination. Er arbeitet in einem Land, dessen Lohnniveau deutlich unter westeuropäischem Niveau liegt. Doch er näht keine Hemden oder fertigt Turnschuhe, sondern entwickelt hochkomplexe Software für den Finanzsektor. Allerdings sind in Indien die Lebenshaltungskosten auch nicht im Ansatz so hoch wie in Deutschland. So gesehen könnte Sumeet Shetty als Albtraum jedes deutschen Arbeitnehmers betrachtet werden. Denn wenn man einer neuen Studie des „Kieler Instituts für Weltwirtschaft“ glauben darf, dann könnten bald Massen von Shettys die Jobs deutscher Angestellter übernehmen. Nicht nur, dass unsere Fernseher und Fußbälle in Fernost gefertigt werden. Jetzt konkurrieren junge und gut ausgebildete Arbeitskräfte in Indien und anderswo auch um die hoch qualifizierten Premiumjobs!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Grauenvoller Slapstick: Bremens Föderalismus-Gutachter Professor Seitz klettert auf dem Balkon im neunten Stock auf die Leiter („Weser-Kurier“)

 

 

Straßburg, ein Feuermärchen

Wieland von HodenbergWährend des Nato-Gipfels am 4. und 5. April 2009 in Straßburg probten Frankreich und die Bundesrepublik schon mal Bürgerkrieg und Ausnahmezustand. Die Szenerie erinnerte an den G8-Gipfel vor fast zwei Jahren in Heiligendamm, wo auch alles abgeriegelt war und sich die teilnehmenden Staatschefs sozusagen selbst eingesperrt hatten. So war es auch diesmal, nur dass alles noch viel schlimmer kam. Die Medien sprachen fast nur noch von „gewalttätigen Chaoten“, die die Sicherheitskräfte sogar ganz fürchterlich mit Handküsschen und Staubwedeln attackiert hätten! Und dann steckten sie auch noch mehrere Gebäude, unter anderem ein Hotel, in Brand. Wer nun wirklich die Brandstifter waren, wird hoffentlich so schnell wie möglich eine eingehende und unabhängige Untersuchung klären.

Dass aber 30.000 Menschen friedlich gegen die Nato und gegen die gewaltige und gewalttätige Polizei- und Militärpräsenz demonstriert hatten, war selbigen Medien wohl irgendwie gar nicht richtig aufgefallen. Der „Weser-Kurier“ war immerhin in seiner Sonntagsausgabe so vorsichtig, nicht von „gewalttätigen Demonst­ranten“, sondern lediglich von „Gewalttätern“ zu schreiben. Das lässt Raum für Interpretationen! Von dieser Zeitung ist mensch ansonsten ja anderes gewohnt.

Schon im Vorfeld gab es massive Behinderungen. So kamen mehr als 20 Busse gar nicht erst in den Zielorten an, und es wurden Menschen aus den Fahrzeugen heraus verhaftet. Angeblich wurden sogar Schusswaffen in den Bussen sichergestellt. Schon während der Demonstrationen waren Einzelheiten in Sachen Polizeibrutalität bekannt geworden. Demozüge sind stundenlang eingekesselt und die Rheinbrücken zwischen Frankreich und Deutschland gesperrt worden. Einigen Demonstranten wurde Tränengas direkt in die Augen gesprüht. Es kamen Hartgummigeschosse zum Einsatz, wobei eine Frau schwer am Bein getroffen wurde. Es ließen sich noch unzählige weitere Beispiele anführen. Die ganze Zeit über dröhnten unablässig Militär- und Polizeihubschrauber über den Kundgebungsplätzen!

Das „Netzwerk Friedenskooperative“ hat die Polizeiwillkür scharf verurteilt. Die Gastgeber des Nato-Gipfels präsentierten sich als Polizeistaaten, die das Demonstrationsrecht systematisch aushebelten. Die Gewaltprognosen deutscher und französischer Behörden, die massiven Einschränkungen sowie das gewalttätige Vorgehen besonders der französischen Einheiten hätten die Militanz begünstigt, so die „Friedenskooperative“. Die große Mehrheit der friedlichen Demonst­ranten sei daran gehindert worden, vielfältigen bunten Protest auf die Straße zu bringen. Blendschockgranaten, Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse seien auch gegen friedfertige Demonstranten eingesetzt worden.

Das „Bremer Friedensforum“ schließt sich dem scharfen Protest an und stellt fest, dass Polizei und Staatsmacht beider Seiten auf die Anklagebank gehören! Die Verstöße gegen die Verfassungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Frankreich seien der schwerwiegende, aber auch zigfach zu belegende Anklagepunkt. Wir betonen, dass es nur dem friedlichen und verantwortungsvollen Verhalten der Demonstrierenden zu verdanken ist, dass die bewussten Provokationen der Polizei nicht aufgegangen sind. Wir haben demonstriert, dass wir das Ziel, für das wir kämpfen, auch vorleben! Wir bleiben dabei: Der Protest gegen die Nato ist legitim, gerechtfertigt und notwendig! Er muss ausgeweitet und fortgesetzt werden, national und international. Der nächste Schritt dazu sind die Ostermärsche. Kommt und beteiligt euch!

Wieland von Hodenberg („Bremer Friedensforum“, „Solidarische Hilfe“)

 

Jeder bekommt, was er verdient

Es ist immer leicht, einem anderen etwas in die Schuhe zu schieben, doch wer es zulässt, dass der andere machen kann, was er will, hat auch keinen Grund, sich zu beklagen. Wie der Mensch sät, so wird er ernten, aber was wir zurzeit ernten, sind nur die Früchte unserer schlechten Pflege. Kein Wunder bei so unaufmerksamen Gärtnern! Zu wenige kümmern sich um das Wohl aller; Gerechtigkeit und Gemeinsinn bleiben auf der Strecke. Der Hohn allerdings ist es, dass die wenigen, die sich im Rahmen der Demokratie hiergegen zur Wehr setzen, von anderen, die ebenfalls unter dieser Ungerechtigkeit leiden, noch verunglimpft und beleidigt werden. Das ist nicht nur eine Schande, nein: Ihr alle schadet euch selber!

Udo RiedelEs gibt immer mehr psychisch Kranke in der Gesellschaft, immer mehr Rentner verlieren ihre Nebenjobs, Leiharbeiter sind Arbeiter zweiter Klasse. Das ist nur ein Teil der „Früchte“, die wir jetzt ernten! „Aber was juckt es mich? Ich bin ja jetzt noch nicht betroffen!“ Das stimmt vielleicht, doch wie sieht es mit deinen Mitmenschen aus, deinen engsten Verwandten, Freunden und Nachbarn, die durch diese Ungerechtigkeiten leiden, ihren Arbeitsplatz verloren haben, es aber nicht preisgeben? Wie sieht es mit der Jugend aus, die keinen Ausbildungsplatz bekommt? Wie sieht es mit denen aus, die in unserer Gesellschaft nie eine faire Chance bekommen? Das geht uns alle an!

Genau das sagen wir von der Montagsdemo jeden Woche um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz, ganz überparteilich. Wir warten darauf, dass ihr lieben Mitmenschen euch mit uns gemeinsam wehrt, gegen soziale Ungerechtigkeiten an uns Bürgern! Sonst müsst ihr noch lange warten, bis die Politik endlich handelt. Wenn Gewerkschaften Löhne mit aushandeln, von dem kein Mensch richtig leben kann, ist etwas nicht in Ordnung! Wenn wir die Leiharbeiter zu Menschen zweiter Klasse machen lassen, ist etwas faul! Wenn ihr Herrschaften von der Politik immer wieder davon redet, wir dürften unserer kommenden Generation nicht so viel Schulden hinterlassen, ist das zwar löblich, aber auch heuchlerisch; denn was da auf uns zurollt an Kosten, wird tausendmal größer sein, wenn wir so mit der Ungerechtigkeit weiter machen wie jetzt! Weil das nicht geschehen soll, stehen wir hier und helfen euch, damit die Politik endlich handelt. Je mehr Menschen sich einig sind, desto schneller muss sie das tun. Wenn ihr Politiker die Probleme nicht lösen könnt, nehme ich euch das nicht übel, aber seid bitte so fair und macht Platz für andere, die zumindest handeln und nicht nur reden!

Udo Riedel (parteilos)
 
Am Samstag, dem 11. April 2009, findet in Bremen der traditionelle Ostermarsch statt. Er beginnt um 11 Uhr am Ziegenmarkt und endet eine Stunde später mit einer Kundgebung auf dem Marktplatz. Zu Ostern – am 13. April 2009 – findet keine Montagsdemo statt.
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz