2.3.2009

Jedes dritte Kind braucht Hilfe
Erstmals Armutsbericht des Senats / Drastische Unterschiede innerhalb der Stadt Von Michael Brandt
 

Bremen. Bremen ist eine geteilte Stadt. Das ist das Ergebnis eines Armutsberichts, den der Senat in seiner Endfassung in diesem Sommer vorlegen will. Schon der jetzt in den Behörden kursierende Entwurf zeigt zum Teil dramatische Unterschiede zwischen den Stadtteilen. So leben zum Beispiel Männer im privilegierten Schwachhausen acht Jahre länger als im sozial schwachen Gröpelingen.

Durchschnittlich 4,5 von 1000 Säuglingen sterben in den sogenannten privilegierten Ortsteilen nach der Geburt. Gemeint sind offenbar Bereiche wie Borgfeld oder Oberneuland. In benachteiligten Ortsteilen beträgt die Säuglingssterblichkeit hingegen bis zu elf von 1000. Sprachauffälligkeiten, Übergewicht, psychische Erkrankungen sind weitere Indikatoren dafür, dass es eine Verbindung von Einkommen, Wohnumfeld und Gesundheit gibt.

Arm und Reich trennen sich offenbar immer konsequenter voneinander - das betrifft nicht nur die Teilhabe am öffentlichen Leben, sondern auch den Wohnort. Die sogenannte Segregation verstärkt sich nach Ansicht der Experten. Als benachteiligt werden immer wieder Tenever und Gröpelingen genannt. 16 Ortsteile werden in den vorliegenden Unterlagen als "gefährdet" bis "prekär" eingestuft. Hier bestehe für die Menschen ein Armutsrisiko und die Gefahr, dass sich Armut verfestige. Um welche Ortsteile es sich dabei handelt, wird im Entwurf noch nicht gesagt.

Betroffen von Armut sind offenbar in hohem Maße Kinder. Ende 2007 erhielt fast ein Drittel aller Kinder in Bremen Sozialleistungen. In manchen Ortsteilen steigt die Quote auf über 60 Prozent. Die Benachteiligung findet sich im Bildungsweg - in Verbindung mit der Migrationsproblematik - wieder: Rund ein Drittel aller Jungen aus Familien mit Migrationshintergrund bringen nicht die Voraussetzungen mit, problemlos in die Grundschule einzusteigen. Die Abiturquote schließlich variiert in den Bremer Stadtteilen zwischen 18 und 55 Prozent.

Frauen gehören laut Bericht der Gruppe an, deren Gefährdung, von Armut betroffen zu sein, überproportional ansteige. Die Ursache dafür: Der Anteil der Frauen, deren Lebensunterhalt hauptsächlich von Familienangehörigen gesichert werde, lag 2007 bei knapp 28 Prozent. Wenn die Beziehungen aber unsicher seien, werde die "Versorgerehe" zur "Armutsfalle".

Hauptursache für Armut sei die Arbeitslosigkeit. Aber nicht allein: Ende 2007 waren 23 Prozent der Arbeitslosengeld-Empfänger gleichzeitig erwerbstätig. "Die Anzahl der unteren Einkommen nimmt in Bremen zu."

Während der Arbeitslohn in Bremen von 2000 bis 2006 real um ein Prozent gesunken sei, sind die Einkünfte aus Kapital um 23 Prozent gestiegen. Der Anteil der Haushalte, die nach Einschätzung der Fachleute überschuldet oder davon zumindest bedroht sind, liegt "bundesweit auf Höchstniveau". Betroffen seien 60 000 Personen in 30 000 Haushalten, laut Bericht eine "zurückhaltende Interpretation". Und: "Das Verschuldungsproblem hat ein hohes und zudem weiterhin steigendes Ausmaß erreicht."

Die rotgrüne Regierung hatte sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, einen Armutsbericht vorzulegen. Die Federführung hat das Ressort von Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) übernommen. Beobachter gehen davon aus, dass die Diskussion über den Entwurf noch einige Monate andauert, ehe die endgültige Version präsentiert wird. Von staatlicher Seite hat es in Bremen bislang keinen Armutsbericht gegeben. Die Arbeitnehmerkammer hat in den vergangenen Jahren allerdings regelmäßig Untersuchungen zu diesem Themenkomplex vorgelegt.

Der Senat plant, im Anschluss an die Diskussion ein "Programm für sozialen Zusammenhalt" aufzulegen und damit an bisherige Maßnahmen gegen soziale Ausgrenzung anzuknüpfen. So heißt es im Entwurf, es sei eine gesellschaftliche Aufgabe, soziale Gerechtigkeit herzustellen. Dazu zähle unter anderem ein auskömmliches Mindesteinkommen und ein "Ausgleich zwischen niedrigen und hohen Einkommen." Weitere Spiegelstriche sind die "Entkopplung von sozialer Herkunft und Bildungsabschluss" sowie die Schaffung von ausreichend günstigem Wohnraum.

© Bremer Tageszeitungen AG



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