1.9.2008
Montagsdemo für die Todesstrafe

LEIPZIG. Kerzen brennen. Vor dem Geländer des Tümpels stapeln sich Stofftiere und Blumensträuße. An den Metallstangen flattern Briefe von Kindern. In dem kleinen Teich im Leipziger Stadtteil Stötteritz fand ein Spaziergänger die Leiche der achtjährigen Michelle, die am Montag vor zwei Wochen nach Ferienspielen nicht nach Hause gekommen war. Rechtsradikale versuchen nun, den Fall für sich auszuschlachten.

Bislang gibt es fast 800 Hinweise, denen eine Sonderkommission mit 177 Polizisten nachgeht. Über Details des Verbrechens ist nichts bekannt. Niemand weiß, was mit der Schülerin geschehen ist. Die Polizei schweigt eisern, um kein Täterwissen preiszugeben. Andere in der Messestadt sind längst einen Schritt weiter. Sie haben die Täter schon ermittelt: einen Kinderschänder und den viel zu laschen Rechtsstaat.

Nicht nur am Teich und vor der Grundschule des ermordeten Mädchens liegen die Flugblätter, die "Todesstrafe für Kinderschänder" fordern. "Wollt ihr es nicht kapieren, Kinderschänder kann man nicht therapieren." Zwei Trauerzüge hat die Messestadt nach dem Gewaltverbrechen erlebt: Den einen organisierten Neonazis, bei dem anderen schlossen sie sich besorgten Eltern an.

Für heute Abend hat die rechtsradikale Szene einen weiteren Aufmarsch angemeldet. Unter dem Motto "Unsere Kinder - unsere Zukunft" sollen propagandistisch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Bewusst wird an die Montagsdemos angeknüpft, die das Ende der DDR wesentlich beschleunigten - und an den Jahrestag des Angriffs von Hitlers Wehrmacht auf Polen.

Die Anwohner-Initiative will sich jedoch nicht länger vereinnahmen lassen. "Wir sind keine Rechten, und wir wollen nicht als solche abgestempelt werden", erklärt Mitorganisatorin Simone Thalheim, die eine ebenfalls für heute geplante Gedenkveranstaltung für Michelle abgesagt hat. Noch deutlicher wird Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). "Die Neonazis zeigen jetzt unverhohlen ihr menschenverachtendes Gesicht." Ohne Rücksicht auf die Würde der ermordeten Michelle und ohne jeden Anstand, heißt es in seiner Erklärung, "wollen sie politisches Kapital aus der schrecklichen Tat ziehen". Auch der Vater Michelles hat sich nach Angaben seiner Anwältin von den rechten Aktivitäten klar distanziert.

Allerdings geht durch die Familie ein Riss. Denn der Onkel des ermordeten Mädchens lief bei dem ersten Trauerzug nicht nur in der ersten Reihe, sondern ist auch in der Szene gut bekannt. Isztvan R. gehört zur Leipziger Gruppe "Nationale Sozialisten" und hat schon mehrfach bei der Polizei rechte Demos angemeldet. Vergeblich soll Michelles Mutter versucht haben, ihrem jüngeren Bruder die heutige Kundgebung auszureden. Zwar prüft die Stadt noch Auflagen. Doch der braune Apparat läuft längst auf Hochtouren.

Aus Dresden versuchte sich der Chef der NPD-Landtagsfraktion, Holger Apfel, zum Sprachrohr der "berechtigten Empörung der Bürger" zu machen. Die Funktionäre der rechtsradikalen Partei fordern lautstark "schärfere Gesetze" und die "Todesstrafe für Kindermörder". Im Dresdner Landtag hat man allerdings noch nicht vergessen, dass der NPD-Abgeordnete Matthias Paul wegen des Vorwurfs zurücktreten musste, er habe Kinderpornos auf seinem Computer gespeichert.

Im Rathaus der Messestadt befürchtet man, dass die rechtsradikale Szene den Volkszorn weiter schüren wird, weil es in ihr Konzept passt. Während die Ermittler weiter fieberhaft nach Hinweisen und Fakten suchen, bleibt Leipzigs Polizeipräsident Horst Wawrzynski nur übrig, deutlich zu sagen, was er von den Fackelmärschen der Neonazis hält: "Es ist unzumutbar, den Tod eines achtjährigen Mädchens für politische Interessen zu missbrauchen."

© www.weser-kurier.de



DRUCKEN   |   FENSTER SCHLIESSEN