Hart IV macht in Frankreich Schule Bedingungen für den Bezug von Arbeitslosengeld sollen verschärft werden Gewerkschaften laufen Sturm Von unserer Korrespondentin Karin Finkenzeller PARIS. Die Mitarbeiter des französischen Arbeitsamts ANPE standen bisher nicht in dem Ruf, ihrer Klientel das Leben besonders schwer zu machen. Doch das soll sich ändern. Noch vor der Sommerpause will die Regierung die Bedingungen für den Bezug von Arbeitslosengeld verschärfen und nimmt sich dafür ein Beispiel an den deutschen Hartz-Reformen. Die streitbaren Gewerkschaften laufen Sturm. „Man muss diejenigen entschädigen, die keine Arbeit haben. Aber diejenigen, die keine Arbeit haben, müssen die Arbeit annehmen, die man innen vorschlägt“, erklärte Präsident Nicolas Sarkozy das Prinzip. „Alles andere wäre denen gegenüber ungerecht, die arbeiten.“ Der Staatschef will Wort halten und sein im Wahlkampf 2007 gegebenes Versprechen einer Vollbeschäftigung bis 2012 in die Tat umsetzen. Dafür, so die Überzeugung im Elysee-Präsidentenpalast und bei der Regierung, müssen auch schärfere Gesetze her. Wer seinen Job verliert, soll nach drei Monaten dazu verpflichtet werden, eine neue Arbeit auch dann anzunehmen, wenn sie nur mit 95 Prozent des letzten Bruttogehalts entlohnt wird. Nach sechs Monaten sinkt das Limit auf 80 Prozent. Außerdem darf ein solches laut Gesetzentwurf „vernünftiges Arbeitsangebot“ ab diesem Zeitpunkt auch mit einem Anfahrtsweg von mehr als 30 Kilometern beziehungsweise über einer Stunde verbunden sein. Nach zwölf Monaten gilt jede, auch befristete Stelle als akzeptabel, die mehr als das durchschnittliche Arbeitslosengeld von 57,4 Prozent des letzten Einkommens bringt. Obwohl die Regierungspläne eine weich gespülte Form dessen sind, was in Deutschland im Rahmen der Agenda 2010 unternommen wurde, protestieren die Gewerkschaften. Von „Sozialdumping“ spricht die mächtige CGT. In Frankreich werde es künftig wie beim Nachbarn Deutschland ein Heer von armen Arbeitern geben. Die Force Ouvrière beklagt, Arbeitssuchende würden pauschal als Faulenzer stigmatisiert. „Man muss endlich bekennen, dass es auch Arbeitslose gibt, die lieber gemütlich zu Hause bleiben“, sagt Claire Schaffnit-Chatterjee von Deutsche Bank Research. „Aber die Gesellschaft ist - noch - nicht bereit, das deutsche Modell eins zu eins zu übernehmen.“ Im Grundsatz gibt es in Frankreich heute schon die Möglichkeit, arbeitsunwillige Erwerbslose zu sanktionieren. Allerdings wird davon kaum Gebrauch gemacht. Der Ökonom Henri Sterdyniak hält die Aufregung deshalb auch für überzogen. „Die Betroffenen müssen schon ganz doof sein, ein Angebot von vornherein auszuschlagen. Da gibt es schließlich andere Möglichkeiten.“ Warum die Gewerkschaften dennoch so aufgebracht sind, liegt vor allem daran, dass sich die Regierung erstmals mit detaillierten Vorgaben in ein Thema einmischt, das bisher den Sozialpartnern vorbehalten war. Da Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, waren es auch ihre Vertreter, die alle drei Jahre die Bedingungen aushandelten, unter denen sich Erwerbslose aus dem Topf bedienen durften. Die Regierung segnete die Einigung anschließend ab. Arbeitsstaatssekretär Laurent Wauquiez bemüht sich, die Vorteile des Vorhabens herauszustreichen. In den noch zu gründenden sogenannten Arbeits-Service-Stellen solle die Beratung der Erwerbslosen künftig „so persönlich wie möglich“ erfolgen. Und wer sich bereit erkläre, einen Job anzunehmen, der nicht ganz den Ansprüchen entspreche, dürfe fest mit der weiteren Unterstützung der SPE-Berater auf der Suche nach einer besseren Stelle rechnen. „Weser-Kurier“ vom 31. Mai 2008