09.04.2008 / Inland / Seite 5

Mißbrauch von Ein-Euro-Jobs angeprangert

Wiesbadener Gewerkschafter: »Arbeitsgelegenheiten« oft weder zusätzlich noch in öffentlichem Interesse

Katrin Küfer
Wochenlang machten Medien Wirbel um einen spontanen Besuch von Wiesbadener Gewerkschaftern bei sogenannten »Ein-Euro-Jobbern« an unterschiedlichen Einsatzorten (jW berichtete). Am Dienstag haben sich die unter öffentlichen Beschuß geratenen Akteure mit einer Pressekonferenz in der hessischen Landeshauptstadt selbst zu Wort gemeldet. Sie schilderten Mißstände, nannten Namen und zogen politische Schlußfolgerungen.

Als einen »Stich ins Wespennest« bezeichnete Horst Schmitthenner, ehemaliges IG-Metall-Vorstandsmitglied, das Ergebnis seiner Recherchen. Vielfach werde gegen Vorschriften gehandelt, wonach die als »Ein-Euro-Jobs« bezeichneten Arbeitsgelegenheiten im öffentlichen Interesse liegen und zusätzlich sein sollten sowie die Chance auf ein Stelle im ersten Arbeitsmarkt erhöhen müßten. Demgegenüber beschäftigte die Wiesbadener Caritas in Großküchen neben wenigen Festangestellten ausschließlich »Ein-Euro-Jobber« bei der regulären Produktion von Mittagessen für Schüler und Senioren, bemängelte der Gewerkschafter. Auch in einem örtlichen Pflegewohnheim der Arbeiterwohlfahrt seien mehrere »Ein-Euro-Jobber« mit dauerhaft anfallenden und keinesfalls »zusätzlichen« hauswirtschaftlichen Tätigkeiten beschäftigt. Damit sei klar, daß die Zulässigkeitskriterien nicht eingehalten und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verdrängt würden. Diese Praxis trage auch zur Wettbewerbsverzerrung bei, weil bei dem von der Caritas vorgegebenen Herstellungspreis von 2,07 Euro und Verkaufspreis von 2,50 Euro pro Mittagessen andere Anbieter nicht mithalten könnten, so Schmitthenner. Würde ein großer Teil dieser »Ein-Euro-Jobs« für die Betroffenen in reguläreArbeitsverhältnisse umgewandelt, so könnten dadurch nicht zuletzt auch die Rentenansprüche steigen. Während Bezieher von Arbeitslosengeld II pro Jahr ihrer Erwerbslosigkeit einen monatlichen Rentenanspruch von 2,49 Euro erwerben, kämen Durchschnittsverdiener mit regulären Sozialabgaben auf weit über 20 Euro.

Darüber hinaus kritisierte der Metaller, daß in Wiesbaden »Ein-Euro-Jobber« für 38,5 Stunden in der Woche eingesetzt würden, obwohl gesetzlich höchstens 30 Stunden zugelassen seien. Schmitthenner bemängelte auch die kommunale Praxis, »Ein-Euro-Jobbern« pro Stunde nur einen Abschlag von 80 Cent zu zahlen und den Rest später oder bei Beendigung der Arbeitsgelegenheit nachzuzahlen.

Veit Wilhelmy, Gewerkschaftssekretär der IG BAU in Wiesbaden, schilderte mehrere konkrete Fälle. So setze die auf Biolandwirtschaft und gehobene Gastronomie spezialisierte kommunale Domäne Mechthildshausen Scharen von »Ein-Euro-Jobbern« ein. Einer davon habe bis vor kurzem neun Monate lang »die Pferde bewegt und die Stallungen ausgemistet«. 30 von rund 35 in der Domäne untergebrachten Pferden gehörten privaten Besitzern. Weil der Betroffene immer wieder bemängelt habe, daß er eigentlich auf Gewinn gerichtete versicherungspflichtige Arbeiten und keine zusätzliche Tätigkeit verrichte, sei er massiv unter Druck gesetzt worden. Pferde bewegen und Stallungen ausmisten gehöre eindeutig zum Ausbildungsberuf des Pferdewirtes. Auch hier werde reguläre tarifvertraglich geregelte Beschäftigung verdrängt. Wilhelmy forderte die Stadt Wiesbaden auf, diese Mißstände sofort abzuschaffen.

In einem weiteren Fall war eine »Ein-Euro-Jobberin« von Wiesbadener Sozialeinrichtungen als Reinigungskraft eingesetzt worden. Die Frau wurde zum Putzen sogar an andere Träger »verliehen«.

Kritik an der Praxis der Kommune Wiesbaden übte am Dienstag auch der Stadtverordnete Jürgen Becker (Linke Liste). Während die amtliche Statistik für 2006 eine Erfolgsquote von 35,6 Prozent der »Hilfebedürftigen« verkünde, die »in den ersten Arbeitmarkt integriert« worden seien, sehe die Realität nüchterner aus. Von den knapp 6000 integrierten Personen bezögen lediglich 1161 ein existenzsicherndes Einkommen. Der Rest sei entweder weniger als 400 Euro pro Monat geringfügig beschäftigt oder erziele nur Einkünfte unterhalb des Existenzminimums.