15.2.2008

Hungern als einzige Alternative
Immer mehr bedürftige Menschen nutzen Suppenküchen und Tafeln

Von unserer Redakteurin
Maike Albrecht

HANNOVER. Vor allem zum Monatsende wird es schlimm. Dann ist das letzte Geld aufgebraucht, der Kühlschrank leer. Viele Menschen können sich nicht mal mehr ein warmes Essen oder einen Einkauf beim Discounter leisten - und es werden täglich mehr.Das merkt auch die Ökumenische Suppenküche in Hannover. Seit Jahresbeginn kommen 30 Prozent mehr Bedürftige in die Essensausgabe der Probstgemeinde Sankt Clemens. Eigentlich richtet sich die Suppenküche an Obdachlose, deshalb ist sie auch nur in der kalten Jahreszeit von Dezember bis Mitte März geöffnet. Doch nun seien immer mehr Rentner oder Geringverdiener unter den Gästen, sagt Michael Schroeder-Busch.Er arbeitet für die Diakonie und koordiniert die Essensausgabe. Bisher hätten am Monatsbeginn 70 bis 80 Menschen jeden Tag in der Suppenküche gegessen, am Monatsende um die 100. "Im Januar sind selbst am Monatsanfang weit über 100 Menschen gekommen", sagt Schroeder-Busch.Ein Trend, den auch andere Tafeln in Niedersachsen bestätigen. Hier können sich Menschen, die unter einer gewissen Einkommensgrenze liegen, kostenlos mit Nahrungsmitteln versorgen. Die werden den Tafeln vor allem von Supermärkten zur Verfügung gestellt. Die Kunden der Tafeln brauchen einen Berechtigungsschein, der nachweist, dass sie beispielsweise Hartz-IV-Empfänger sind."Die Zahl der bedürftigen Familien nimmt zu", beobachtet Wolfgang Buchholz von der Syker Tafel. Und auch sein Kollege Werner Fuhler, Vorsitzender der Tafel in Friesoythe, sagt: "Die Warteliste wird immer länger. Wir können die gar nicht mehr alle bedienen." Rund 600 Kunden kommen einmal pro Woche nach Friesoythe, um sich einen Korb Lebensmittel abzuholen - und jedes Mal kommen neue.Der Höchststand bei der Versorgung mit Essen und Lebensmitteln sei noch lange nicht erreicht, glaubt Konstantin von Normann. Der Wissenschaftler arbeitet an der Universität Münster im Bereich Haushaltswissenschaften und dissertierte über die deutschen Tafeln. Den Grund für den Anstieg der Armut sieht er vor allem in den Hartz-IV-Gesetzen. "Die Zahl der Kunden hat sich mit Einführung der Gesetze schlagartig erhöht." Der Grund liegt auf der Hand: Ein Hartz-IV-Empfänger hat gerade mal 4,50 Euro pro Tag zum Essen zur Verfügung. Weitere Personen im Haushalt und Kinder noch weniger. "Damit kann man Kinder nicht gesundheitlich förderlich ernähren", sagt von Normann.Rund acht Millionen Menschen leben in Deutschland in Einkommensarmut. Dass heißt, sie haben weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens. "Die Menschen sparen zuerst an der Ernährung", weiß der Wissenschaftler, "weil man diese Armut von außen nicht sieht." Seiner Meinung nach werden auch in Zukunft immer mehr Menschen Tafeln oder Suppenküchen nutzen. Denn: "Die Hemmschwelle sinkt immer weiter. Die Alternative ist Hungern."

© Bremer Tageszeitungen AG



DRUCKEN   |   FENSTER SCHLIESSEN