1.11.2007

Geständnis auf der Fahrt ins Präsidium?
Polizistin sorgt im Prozess gegen Kevins Ziehvater für Überraschung: Bernd K. soll sich als Täter bezeichnet haben

Von unserer Redakteurin
Elke Gundel

BREMEN. Einen Moment ist es vor Gericht ganz still: Als eine Polizistin, die Kevin am 10. Oktober 2006 aus der Wohnung seines Ziehvaters Bernd K. holen wollte, berichtet, was der an jenem Tag auf der Fahrt ins Polizeipräsidium gesagt hat. Kurz vorher hatten die Polizisten Kevins Leiche in Bernd K.s Kühlschrank entdeckt. Und einem Beamten schwante schon im Auto: "Das Jugendamt muss sich warm anziehen." Darauf habe Bernd K. gesagt: "Die haben keine Schuld. Ich bin das Schwein." Das war gestern für alle Beteiligten im Prozess gegen den 42-jährigen Drogenabhängigen, der Kevin immer wieder misshandelt haben soll, bis das Kind seinen Verletzungen erlag, eine Überraschung. Denn in den Akten ist dieses Detail nicht notiert. Verblüfft fragte Verteidiger Jörg Hübel denn auch nach, warum keiner der Polizisten diese Äußerung festgehalten hat. Die Antwort der 35-Jährigen: "Ich kann Ihnen das nicht erklären. Vielleicht weil jeder von uns dachte, dass der andere das vermerkt."Vorangegangen war ein dreistündiges Hin und Her. Zentrale Frage: Darf das, was der Ziehvater - er schweigt vor Gericht - damals gegenüber den Beamten gesagt hatte, im Prozess verwertet werden? "Nein", finden die beiden Verteidiger. Ihr Argument: Bernd K. sei nicht korrekt über sein Recht zu schweigen belehrt worden. Um diese juristische Frage zu klären, zerlegt das Gericht die Befragung zunächst: Die Beamten dürfen nur erzählen, wie Bernd K. wirkte, was er tat und was passierte - aber nicht, was er sagte.So ergibt sich eine Art Lückentext: Die Polizisten schildern, wie sie Kevin zunächst nicht in der Wohnung fanden, immer wieder dessen Ziehvater fragten, wo das Kind sei - und dessen Leiche dann im Kühlschrank entdeckten, eingewickelt in einen gelben Sack. Daraus lässt sich schließen: Bernd K. hatte die Beamten auf die Küche verwiesen; jedoch nicht direkt auf den Kühlschrank, denn ein Polizist hatte als Erstes im Backofen nachgesehen.Diese Befragung ist absurd, das findet jedenfalls Staatsanwalt Daniel Heinke und zwingt das Gericht mit einer vorbereiteten Stellungnahme, früher als geplant über das Ansinnen der Verteidigung zu entscheiden. Zu dem Zeitpunkt dauerte die Befragung schon zwei Stunden. Ergebnis der folgenden Beratung des Gerichts: Weil Bernd K. weder auf der Fahrt ins Polizeipräsidium noch im dortigen Gewahrsam direkt befragt worden war, sondern ungefragt reagierte, dürfen seine Äußerungen verwendet werden. Eine viertel Stunde später sorgte die Beamtin dann für die erwähnte Überraschung.Weiter als Zeugin geladen: Eine junge Mutter, die ihre damals fast dreijährige Tochter zu der Tagesmutter brachte, die auch Kevin im Frühjahr 2006 kurz betreute. Die Tagesmutter, berichtet die 23-Jährige, habe sie auf Kevin angesprochen. Mit dem Jungen stimme etwas nicht. Ob sie bereit sei, sich das Kind einmal mit ihr gemeinsam anzusehen? Die 23-Jährige sagte zu. Vor Gericht beschreibt sie, was die beiden Frauen schließlich entdeckten: Einen zweijährigen Kevin, zu dünn und zu schwach für sein Alter, der nicht laufen und nicht sprechen konnte. Dessen Trinkfläschchen nicht steril ausgewaschen, sondern leicht verschimmelt war und sauer roch. Zudem: blaue Flecke am Körper des Kindes, Hoden und Penis geschwollen, ein Fuß verstaucht oder gebrochen. Die Frauen riefen im Jugendamt an, beim Kinderarzt der 23-Jährigen, beim Träger "Pflegekinder in Bremen" (PiB). Sie fragten um Hilfe: "Das Kind ist verletzt und in keinem guten Zustand. Was sollen wir tun?" Kevins Ziehvater stand da bereits vor der Tür, um den Jungen abzuholen. Er klingelte, die Frauen ließen ihn zunächst nicht herein: "Wir wollten das Kind nicht rausgeben." Doch alle, die sie angerufen hatten, hätten erklärt: Gebt das Kind heraus, das ist nicht eure Sache - oder auch, seitens des Jugendamtes: Der Ziehvater hat bereits Hilfe, wir kümmern uns.Der Prozess wird morgen um 9 Uhr im Landgericht (Raum 231 oder 218) fortgesetzt. Als Zeuge ist unter anderem ein Arzt aus der Prof.-Hess-Kinderklinik geladen.

© Bremer Tageszeitungen AG



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