149. Bremer Montagsdemo
am 10. 09. 2007  I◄◄  ►►I

„Ich kann den Botschaftern aus Afrika zeigen: Auch hier wird gekämpft!“

Grußwort des Bundespräsidenten an die Bremer Montagsdemonstranten

 

Elisabeth Graf (unterbricht ihre Re­de): Da kommt ja schon unser Lottogewinner. Guten Tag, Herr Köhler!

Udo Riedel: Herr Köhler, haben Sie Geld für Bremen mitgebracht?

Horst Köhler: Nun schauen Sie doch nicht so böse! Ich finde das sehr gut, was Sie da machen. Das ist eben Demokratie!

Elisabeth Graf: Sie müssen waagerecht in das Mikrofon reinsprechen.

Horst Köhler: Wenn wir uns hier treffen, glaube ich, haben Sie das Recht zu demonstrieren. Insgesamt haben wir heute festgestellt, dass in Bremen schon Anstrengungen da sind, die meinen Respekt haben. Die Botschafter aus der ganzen Welt sehen das. Sie sehen aber auch, dass Deutschland, in diesem Fall Bremen und Bremerhaven, ebenfalls mit Problemen kämpft. Das ist wichtig, denn aus deren Sicht, aus der vieler Botschafter aus Afrika, geht’s uns in Deutschland riesig gut. Ich möchte ihnen eben dann zeigen: Auch hier wird gekämpft, ist nicht alles rosig. Deshalb müssen wir weiterarbeiten, und deshalb ist es gut, dass wir zur Kenntnis nehmen, was Sie sagen und was Sie beschwert!

Ursula Gatzke: Herr Köhler, Sie haben gesagt, Sie seien ein Mensch für das Volk, Sie wollten sich für jeden Einzelnen einsetzen! Ich finde, Sie setzen sich viel zu wenig für die Rentner ein! Mit 0,54 Prozent Rentenerhöhung wurden wir abgespeist, und von Ihnen habe ich kein Wort gehört!

Udo Riedel: Demnächst aber!

Elisabeth Graf: Bloß die Diäten steigen unaufhörlich, für die Politiker und Parlamentarier!

Horst Köhler: Ich nehme an, wir gehen? Gut, prima. Jetzt, meine Herren Botschafter! Also, schönen Dank, und bitte nicht stören lassen!

Ursula Gatzke: Schade, Herr Köhler!

Elisabeth Graf: Das hören jetzt ein paar Leute mehr, aber das fällt gar nicht weiter auf.

Hans-Dieter Binder: Sie können ruhig mitmachen! Wir bedanken uns bei Herrn Köhler für die freundlichen Worte. Wir sind aber nicht seinetwegen hier, sondern kommen jeden Montag her, zum 149. Mal heute, nächste Woche zum 150. Mal!

Horst Köhler (CDU) beim Überqueren des Bremer Marktplatzes – Tonaufnahme (WAV, 2.139 kB)
Ritterschlag: Bundespräsident spricht am Offenen Mikrofon
zu den Montagsdemonstranten („Kreiszeitung Syke“)

 

Neue Mietobergrenzen werden erst im Oktober beschlossen

Karoline Linnert Hans-Dieter Binder: Die Vorgänge hier in Bremen wollen wir noch ein bisschen erhellen. Bremen versucht gerade, die Arbeitslosengeld-II-Betroffenen aus ihren Wohnungen zu jagen! Frau Linnert schüttelt den Kopf?

Karoline Linnert: Das wissen Sie auch, das das nicht stimmt.

Hans-Dieter Binder: Der letzte Beschluss war wieder so, leider!

Karoline Linnert: Nein, Kenntnisnahme, nicht Beschluss!

Peter Kubiak: Wissen Sie, was Sie für ein Gehalt bekommen, und was Hartz-IV-Empfänger bekommen? Haben Sie da mal drüber nachgedacht?

Karoline Linnert: Manchmal denk ich dran. Ihr müsst aber trotzdem die Wahrheit sagen!

Peter Kubiak: Sie denken nicht nach! Sie können nicht denken!

Karoline Linnert: Es ist nicht beschlossen worden, sondern zur Kenntnis genommen, und das absichtlich, weil nämlich der Politik nicht gefallen hat, was da vorgelegt wurde, von „Gewos“.

Udo Riedel: Na, das sagen Sie noch mal laut!

Demonstrantin: Aber die Bagis zahlt nicht die vollen Mieten! Ich muss bei meiner Miete dazubezahlen! Von 347 Euro, super!

Karoline Linnert: Vielleicht weiß ich es besser, kann das sein, ausnahmsweise? In diesem Fall ist es so: Das Parlament hat überhaupt noch nichts beschlossen. Es gilt der Koalitionsvertrag, den Text habe ich hier auch mal vertreten, und dabei bleibe ich! Jetzt ist man dabei, das, was versprochen wurde, in eine Verwaltungsanweisung umzuwandeln.

Peter Kubiak: Darüber sterben Sie an Altersschwäche!

Karoline Linnert: Ich finde, ihr tut euch keinen Gefallen damit. Ich sterbe darüber nicht an Altersschwäche. Ich bin noch nicht mal 100 Tage im Amt, ich wurde am 29. Juni gewählt! Eins nach dem anderen. Diese Verwaltungsanweisung ist schlecht, und die muss geändert werden. Das Ressort von Frau Rosenkötter hat das gemacht, was es muss, nämlich eine Verwaltungsanweisung formulieren. Die ist nicht in Ordnung, ich finde die Mietgrenzen immer noch zu scharf. Jetzt geht es darum, eine Einigung zu erwirken zwischen dem Parlament – die müssen das nämlich beschließen – und dem Rosenkötter-Ressort, übrigens auch vor dem Hintergrund der Frage: Was kann man davon bezahlen – darum geht’s leider auch, selbst wenn einem das nicht gefällt – und was nicht? Die Verabredung ist, dass im Oktober eine Verwaltungsanweisung beschlossen werden soll. Da hat erst mal noch niemand Verrat begangen, ist ein Schwein oder sonstwas.

Hans-Dieter Binder: Das haben wir auch nicht gesagt.

Karoline Linnert: Sondern das wird ganz normal abgeschlossen. Rot-Grün hat verabredet, dass die Sozialdeputation in Zukunft öffentlich tagen soll. Dann sind Sie die Öffentlichkeit und gehen da hin.

Udo Riedel: Jawohl, das machen wir auch!

Hans-Dieter Binder: 4. Oktober ist der nächste Termin.

Karoline Linnert: Wenn ich es schaffe, komme ich am nächsten Montag. Ich finde, es gibt unheimlich viel zu kritisieren an uns, aber Sie tun uns... sich selber einen Gefallen, wenn Sie bei der Wahrheit bleiben und alles gründlich und exakt machen und genau.

Udo Riedel: Alles klar.

Karoline Linnert: So, ich muss jetzt mal leider da hinterher.

Udo Riedel: Bravo! Tschüß!

Peter Kubiak: Seh’n Sie zu, dass Sie zu wenig Geld haben!

Hans-Dieter Binder: Danke für die offenen Worte!

Finanzsenatorin Karoline Linnert („Die Grünen“) im Gefolge des Bundes­präsidenten und des Diplomatischen Korps am Bremer Roland
 
„Die erste Partei, deren Politiker den Bürgern keine falsche Sicherheit mehr vorgaukeln und stattdessen ihre eigenen Unsicher­heiten bei der Entscheidungsfindung gestehen, würde einen Riesenerfolg haben.“ – Professor Gerd Gigerenzer im „Spiegel“, Heft 37/2007
 
Prekarisierung: Jeder Siebte war schon mal auf Hartz IV („Spiegel-Online“)

 

Fütterung in Deutschland

Immer mehr Kinder hungern in Deutschland. Die Schulspeisung ist manchen Eltern zu teuer. Bei Hartz-IV-Betroffenen ist zum Monatsende der Kühlschrank leer. Wer sich traut oder wessen Not zu groß ist, der holt sich sein Futter von der „Tafel“! Viele Menschen hungern aber lieber, statt sich als solch arme Schlucker zur Schau zu stellen!

Ein Skandal ist es, dass Menschen in Alten- und Pflegeheimen zu wenig zu trinken und zu essen bekommen! In Krankenhäusern kann das auch geschehen: Ich lag mal vier Tage im Krankenhaus und bekam nur Zwieback zu essen, obwohl das nicht nötig war! Wir Verbraucher werden seit Jahren mit Gammelfleisch gefüttert! Uns wird empfohlen, teuer zu kaufen oder essen zu gehen. Prompt wurden die Preise erhöht. Alles teuer, das soll heißen: Alles ist gut!

Ursula GatzkeRentner wurden nach den Nullrunden mit 0,54 Prozent Rentenerhöhung abgespeist! Ein-Euro-Job­bern wird Sklavenarbeit serviert! Aber dann kommt die Fütterung der Raubtiere: Bosse erhalten den Lohn für ihre Sklaven sogar schon vollständig vom Arbeitsamt überwiesen! Herr Lenz vom VW-Affären-Betriebsrat kriegt wieder einen neuen Posten im Unternehmen, damit er nicht verhungert!

Die Selbstbedienung am offenen Büfett der Diätenerhöhung für unsere Volksvertreter lässt nie lange auf sich warten. Sehr beliebt ist der Nachschlag fürs Reisen, Telefonieren und Nebenpostensammeln! Raubtiere müssen sich auch schützen vor der bösen Welt, und das kostet jedes Jahr eine gigantische Summe an Euros!

Flugzeuge und Boote werden mit der modernsten Technik gefüttert. Über die Aufrüstung rieseln die Euros wie Konfetti, Geld spielt hier keine Rolle! Andere Länder werden mit unseren jungen Frauen und Männern als Kanonenfutter versorgt! Kriege lösen immer nur die Machtbesessenen aus, die den Hals nie vollkriegen können!

Für uns alte Menschen wird schon fleißig geforscht, wie man uns am billigsten füttern kann. Die „Mampfmaschine“ steht bald für uns in den Pflegeheimen bereit! Wie ein Schaufelbagger wird sie uns das Essen in den Mund schaufeln! Ein Genuss, alt zu werden, oder? In der globalisierten Welt läuft viel verkehrt: Da werden statt der Alten die Waffen geehrt!

Ursula Gatzke (parteilos)
 
Vor allem Zeitarbeiter sind frustriert: Jeder dritte Beschäftigte ist mit seinen Arbeitsbedingungen extrem unzufrieden („Stern“)

 

„Ausbeutung? Das gibt es
doch heute nicht mehr!“

„Wo kommen wir denn da hin?“ Nach dem Bericht in der Sendung „Fakt“ muss ich leider das Gegenteil annehmen. Wie sagte doch mal ein berühmter Maler: Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte! Da wird ein Mann arbeitslos, der 40 Jahre auf dem Bau gearbeitet hat, kommt nach Arbeitslosengeld I in Hartz IV und kriegt von der Arge nach 14 Tagen eine Wiedereingliederungsmaßnahme verpasst, anders kann man es nicht nennen – nach 40 Jahren regelmäßiger Arbeit!

Info-MichelWie sich dann herausstellt, arbeitet er bei dieser Maßnahme zum Nulltarif für eine Firma, und er ist nicht allein betroffen. Diese Firma spart, da sie keine „realen“ Arbeiter beschäftigt, 100.000 Euro, denn insgesamt wurden ihr von der Arge 15 Mitarbeiter zugeteilt, die auf der Baustelle zum Nulltarif arbeiten.

Ja, meine Herren Politiker, das hat man davon, wenn man es zulässt, dass die Gesetze so missbraucht werden! Was für eine Schweinerei – und in dreierlei Hinsicht schädlich: durch Ausbeutung, Lohndrückerei und Steuergelder, die flöten gehen. Wem soll man nun die Schuld geben? Eigentlich hat der Gesetzgeber festgelegt, unter welchen Bedingungen solche Maßnahmen angewendet werden dürfen, bloß richtet sich kaum einer danach. Armes Deutschland, was ist aus dir geworden! Wollen wir wirklich so weitermachen? Nein, das ist Ausbeutung und – wie gesagt – zum Kotzen!

Ich kann verstehen, dass man es nicht zulassen möchte, dass immer mehr Menschen in Arbeitslosigkeit fallen. Wenn aber jemand, der 40 Jahre Berufserfahrung hat, auf diese schamlose Art und Weise ausgenutzt wird, ist das doch wohl ein Grund, dass man aufschreit: Schluss mit dieser Ausbeutung! Zurückzahlung der eingesparten Gelder! Die kann man sinnvoller einsetzen, da es doch noch immer heißt, wir haben leider kein Geld. Her mit menschenwürdiger vernünftiger Ausbildung für alle, denn das hilft uns allen!

Ihr Politiker, wenn ihr jetzt nicht aufwacht, habt ihr es nicht besser verdient, als dass man euch nicht mehr ernst nimmt! Ihr Gewerkschaften, wenn ihr jetzt nicht aufschreit, habt ihr es nicht besser verdient, als dass die Leute bei euch weiterhin austreten! Ihr Mitmenschen, wenn ihr euch jetzt nicht wehrt, habt ihr euch die Folgen dieser Politik selber zuzuschreiben und könnt in Zukunft nur noch verlieren! Wir von der Montagsdemo wehren uns, und das lautstark! Solche Schweinereien werden wir nicht zulassen!

Udo Riedel (parteilos)
 
Staatlich initiierter Verdrängungswettbewerb: Mittelständische Wirtschaft fordert Auslaufen des beschäftigungspolitischen Irrwegs Ein-Euro-Job („Presseportal“)
 
Kriminalisierung: Immer mehr Ämter verklagen Hartz-IV-Empfänger wegen
„ungerechtfertigten“ Leistungsbezuges („Mitteldeutscher Rundfunk“)

 

Die SPD wird sich nicht scheuen,
Hunde und vielleicht Waffen
auf Menschen zu richten

Das große RedebuchSeit gut drei Jahren sind wir aktiv gegen Hartz IV und die ganze volksfeindliche Politik von Schröder bis Merkel! Trotz Aufschwungsgeredes stehen die Regierung und die sie tragenden Parteien CDU/CSU und SPD vor einem sozialen Scherbenhaufen: Immer mehr Menschen sind mit dieser Politik nicht einverstanden! Laut „ARD Deutschland-Trend“ von „Infratest Dimap“ sagen zum Beispiel 51 Prozent, dass sie die Zahlungen an Hartz-IV-Betroffene für zu niedrig halten, 29 Prozent für angemessen und nur sieben Prozent für zu hoch.

41 Prozent waren dafür, Hartz IV wieder durch das alte System der Sozialhilfe zu ersetzen, 38 Prozent dagegen. Man sieht, da ist etwas in Bewegung geraten! Schon wird im Forum der „Tagesschau“ diskutiert, ob Hartz IV weg muss. Das dämmert wohl auch so manchem in der SPD. Beck hat jetzt den Anfang gemacht mit zaghafter Selbstkritik, und der Abgeordnete Ottmar Schreiner hat offen ausgesprochen, dass Schluss sein müsse mit der schröderschen Agenda 2010, ehe alle Verbliebenen der SPD davonlaufen. Ja, immer mehr Menschen haben kein Vertrauen mehr in CDU und SPD!

Nur hier in Bremen ist bei der SPD noch nicht viel von selbstkritischer Aufarbeitung zu bemerken: Am letzten Donnerstag wollte ein großer Kreis von Betroffenen und Mitstreitern aus verschiedenen Initiativen die Sitzung der Sozialdeputation mit Frau Rosenkötter besuchen. Als wir vom Bahnhof her in unserer spontanen Demonstration mit dem dazugehörigem Lärm vor der Bürgerschaft ankamen, schallte uns das wütende Gebell deutscher Schäferhunde entgegen. Es waren nur zwei Hunde, weitere waren vielleicht noch versteckt in den Hundeführerwagen. Die Hunde wurden auch gleich wieder verstaut, aber sie haben Zeichen gesetzt: Die SPD wird sich nicht scheuen, Hunde und vielleicht auch einmal Waffen auf Menschen zu richten oder richten zu lassen!

Ich möchte nur an das Beispiel 1929 erinnern, als das SPD-Mitglied Zörgiebel, damals Polizeipräsident in Berlin, am 1. Mai auf demonstrierende Arbeiter schießen ließ. Ihr Herren und Damen in der SPD, wir verstehen diese Ansage! Da tut es nichts mehr, dass Frau Rosenkötter Minuten später ganz friedlich vor die Demonstranten trat und ein Angebot machte, dass 20 Vertreter als Delegation in den Sitzungssaal kommen dürften. Zur inhaltlichen Seite wird es noch Redebeiträge geben, sodass ich mich auf diese politische Machtdarstellung beschränken kann.

Wo man hinkommt und Menschen auf die allgemeine Verarmung immer breiterer Schichten und die Forderungen der Montagsdemonstration oder anderer aktiver Gruppen in Sachen Hartz IV anspricht, da erhält man Zustimmung. So haben wir bei der Suche nach einem neuen Unterstellplatz für unseren Lautsprecherwagen durchweg positive Resonanz erhalten. Dessen neues Nachtquartier wird nun der Keller der Buchhandlung Geist Am Wall sein. Wer künftig ein Buch kaufen möchte, kann es vielleicht dort tun. Da der Laden um 19 Uhr schließt, sollten wir die Montagsdemo eine Viertelstunde zuvor beenden und daher pünktlich um 17:30 anfangen.

Nach Angaben der IG Metall Nordrhein-Westfalen gibt es in Deutschland etwa eine Million Leiharbeiter. Die Agentur für Arbeit hält ihre Zahlen unter Verschluss und nennt nur für Juni 2006 die Zahl von 600.000. Der Allianz-Konzern hat für 2006 das Bruttovermögen der privaten Haushalte ermittelt und kommt auf 10,3 Billionen Euro. Das entspricht nach Abzug der Verschuldung mit 8,7 Billionen Euro der Wirtschaftsleistung Deutschlands von vier Jahren. Wie sich aber dieses riesige Vermögen auf die relativ wenigen Milliardäre und Millionäre verteilt und warum es nicht angewendet wird, um auf der Welt neue soziale und ökologische Lebensverhältnisse zu schaffen, das bleibt wie immer ein Geheimnis.

Darum: Hartz IV muss weg, und die ganze volksfeindliche Regierungspolitik dazu! Dies alles immer wieder aufzudecken, anzuprangern und Menschen Mut zu machen, sich zu wehren und gemeinsam aktiv zu werden und etwas zu erreichen, dafür sind wir jeden Montag hier, aber auch jeden anderen Tag da. Unsere 150. Montagsdemo in einer Woche, am 17. September 2007, um 17:30 Uhr hier auf dem Marktplatz soll eine Manifestation unseres Aktivseins mit einigen Überraschungen werden. Wem dazu etwas einfällt, der kann diese 150 Mal Montagsdemo auf seine Weise anerkennen, kommentieren und mitmachen! Bei uns sind Sie richtig!

Jobst Roselius

 

Die Festanstellung mit Tariflohn ist wie ein Lottogewinn

1. Dank Hartz IV können Bauunternehmer Arbeitslose ganz wunderbar ausnutzen. Der Trick: Arbeitslose werden über Trainingsmaßnahmen der Arbeitsagentur für 14 Tage auf Kosten der Agentur beschäftigt, aber nicht weiterbeschäftigt. Bauen und dabei noch Geld sparen, und zwar über 100.000 Euro: Das geht in Deutschland ganz einfach – wenn die Leute von der Arbeitsagentur geschickt werden, Arbeitskräfte wie Erich Eiben. Der gelernte Maurer hat 43 Jahre Berufserfahrung. Gerade mal zwei Monate ist er arbeitslos, da wird er zu einer Trainingsmaßnahme bei einer Baufirma eingeladen – zur „Eignungsfeststellung“, wie es im Schreiben der Agentur heißt.

Elisabeth GrafEs ist doch unglaublich, wenn zur Eignungsfeststellung eingeladen wird, als ob 43 Jahre Berufserfahrung und Arbeitsfähigkeit sich binnen zweier Wochen hätten in Luft auflösen können! In Aussicht gestellt wurde aber eine Festanstellung mit Tariflohn, für den 58-Jährigen wie ein Lottogewinn. Am Ende ist er aber wieder der Verlierer, wie die anderen Arbeitslosen, die das Amt 14 Tage lang zu den Trainingsmaßnahmen schickte. Obwohl immer wieder die Rede davon war, zwei oder drei Mitarbeiter zu übernehmen, wurde letztlich niemand genommen!

Zu den nicht Übernommenen gehört auch Frank Mühlberg. Der qualifizierte Polier war gerade mal 14 Tage arbeitslos, da sollte er seine „Eignung“ nachweisen. Auf der Baustelle im brandenburgischen Cottbus war von Training dann allerdings keine Rede mehr, die Baufacharbeiter leisteten hier vollwertige Arbeit. Für die Baufirma ist die Trainingsmaßnahme auch ein lukratives Geschenk, spart sie doch zu 100 Prozent Lohn und Sozialabgaben, denn Arbeitslosengeld und sogar Fahrtkosten trägt ja die Arbeitsagentur. Einzige Gegenleistung der Firma ist die Absichtserklärung, Leute einzustellen, der sie dann nicht mal nachkommt!

Hier existiert eine Großbaustelle, auf der außer den drei, vier Leuten der Bauleitung nur nicht festangestellte Mitarbeiter tätig sind. Wenn die Lohnkosten gegen Null gerechnet werden, ist das natürlich konkurrenzlos, denn gerade im Baugewerbe liegt der Anteil der Lohnkosten bei 30 bis nahezu 40 Prozent. Zu allem Überfluss wird das dann auch noch staatlich subventioniert, mit Geldern des Steuerzahlers. Dennoch hat die Baufirma wenig zu befürchten: Diese Trainingsmaßnahmen sind im Sozialgesetzbuch verankert.

Probleme sieht die Agentur für Arbeit auch im konkreten Fall nicht. Sie habe ein ordentliches Stellenangebot oder mehrere Stellenangebote von dieser Firma bekommen, die sie bedienen wollten. Es gebe keinen Grund, da irgendetwas anzunehmen oder die Zusammenarbeit zu verweigern. Erstaunlicherweise sind die Sacharbeiter nicht verpflichtet, sich Auskünfte zur Firma einzuholen. So einfach kann man sich das machen und verantwortungslos handeln! Das Beispiel macht Schule. Kein Wunder, wenn durch solche Machenschaften mit den Hartz-IV-Arbeitssklaven auf dieser konkurrenzlos billigen „Schiene“ sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vernichtet werden!

 

2. Die steigende Kinderarmut in Deutschland hat nicht nur bei der Bildung verheerende Auswirkungen. Auch chronische Krankheiten treffen Kinder aus finanziell schwachen Familien besonders hart, weil sie oft kaum Unterstützung finden. Ihr Leidensweg ist dann oft vorbestimmt.

Der achtjährige Marcel leidet an Diabetes und ist Patient einer Kinderklinik in Hessen. Zweimal täglich muss er Insulin spritzen und Mahlzeiten mit festgelegtem Kohlenhydratanteil zu sich nehmen, damit sein Blutzuckerwert normal bleibt. Marcel muss außerdem mehrmals täglich prüfen, ob dieser im angestrebten Bereich liegt. Seine Blutwerte zeigen immer wieder, dass der Diabetes schlecht eingestellt ist. Das kann zu bedrohlichen Folgeerkrankungen und schon im jungen Erwachsenenalter zur Invalidität führen. Wiederholt angebotene und dringend angeratene Patienten- und Elternschulungen nimmt die Mutter nicht wahr. Marcel muss mehrmals im Jahr stationär aufgenommen werden, da die Blutzuckereinstellung zu schlecht ist. Von seiner Mutter bekommt er dann selten und nur kurz Besuch. Sie fühlt sich mit der alleinigen Betreuung der anderen Geschwister überfordert. Der Vater hat auch keinen Kontakt mehr zur Familie.

Ein anderer Patient ist der 38-jährige Herr F. Seit einem Jahr ist er an der Dialyse, weil seine Nieren nicht mehr arbeiten. Sein Leidensdruck ist so groß, dass er nierentransplantiert werden möchte. Dreimal in der Woche ist er für je vier bis fünf Stunden an ein Dialysegerät angeschlossen. Meist fühlt er sich danach kraftlos. Seit seiner Kindheit leidet Herr F. an insulinpflichtigem Diabetes mellitus. Diese frühe Form der Zuckerkrankheit ist auch Ursache seiner Nierenerkrankung. Der Zucker hat die Netzhaut seiner Augen geschädigt und seine Blutgefäße in Mitleidenschaft gezogen. Er lebt allein. Seit es mit der Dialyse losging, hat sich seine Frau von ihm getrennt.

Die Krankengeschichten von Marcel und Herrn F. lassen sich zu einem Lebensweg verknüpfen. Marcels Fall veranschaulicht, womit Kinderärzte zunehmend konfrontiert werden: mit der Hilflosigkeit und Unfähigkeit vieler Eltern, für ihre kranken Kinder angemessen zu sorgen. Die Krankengeschichte von Herrn F. steht exemplarisch für die physischen und sozialen Folgen, die Marcel nach 30 Jahren unzureichend behandelter chronischer Krankheit zu befürchten hat. Neben Depression bei kompletter Perspektivlosigkeit drohen ihm Blindheit, Invalidität und eine verkürzte Lebenserwartung. Mit einer Krankheit geboren zu werden oder während der Kindheit chronisch zu erkranken, ist schlimm genug. Noch schlimmer ist es, wenn Möglichkeiten zur Prävention und Therapie nicht oder nur unbefriedigend genutzt werden – wenn eine angemessene Betreuung und Begleitung kranker Kinder und Jugendlicher in der Familie schlicht nicht stattfindet.

Immer mehr Kinder erfahren keine ausreichende Unterstützung in ihrer Familie. Dies ist vor allem bei Kindern aus finanziell schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen zu beobachten. Diabetes ist ein typisches Beispiel für chronische Erkrankungen, deren Prognose wesentlich von der Kooperation der Betroffenen abhängt. In Deutschland sind Kinder aus finanziell schwächeren Familien kränker als Kinder aus Familien mit höherem sozioökonomischem Status. Der Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2005 zufolge weisen Kinder aus finanziell schwächeren Familien bereits vor der Einschulung deutlich häufiger Gesundheits- und Entwicklungsstörungen auf und sind häufiger von Unfallverletzungen betroffen.

In Deutschland leben 16,9 Prozent der Kinder in Armut. Unter Kindern Alleinerziehender ist die Armutsrate mit 38 Prozent sogar mehr als doppelt so hoch. Kinderarmut steigt in Deutschland schneller als die Armutsrate im Durchschnitt der Bevölkerung. Auch der internationale Vergleich ist nicht rühmlich. Kinderarmut in Deutschland ist seit 1990 stärker gestiegen als in den meisten anderen Industrienationen. Finanzieller Mangel führt auch zu soziokultureller Verarmung, mittelfristige Folge ist oft der Verlust von Alltagskompetenzen. In den Diskussionen um das „abgehängte Prekariat“ kam bisher der medizinische Aspekt zu kurz. Der Lebensweg des achtjährigen Marcel ist nicht nur vorgezeichnet, sondern vorbestimmt. Dieses Kind wird vielleicht einen Schulabschluss machen, kaum aber wird es je eine Ausbildung abschließen. Das braucht es auch nicht, denn ins Berufsleben wird es aufgrund früh einsetzender Folgeschäden der Zuckerkrankheit nie einsteigen.

Gerne wird mit dem Finger auf die USA gezeigt, wo nur Bessergestellte Zugang zu umfassender Krankenversorgung haben – mit eklatanten Unterschieden in Therapie und Krankheitsverlauf. Es wäre töricht, weiterhin zu ignorieren, dass auch in Deutschland der sozioökonomische Hintergrund die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen maßgeblich bestimmt. Die „Süddeutsche“ behauptet, wir hätten einen unbeschränkten Zutritt zur Krankenversorgung, was leider nicht der Wahrheit entspricht. Für Kinder über zwölf Jahren müssen die Medikamente ebenso bezahlt werden wie für Erwachsene! Dabei sind nicht nur chronisch kranke Kinder Opfer einer immer weiter auseinanderklaffenden Gesellschaft. Ist es wirklich so, wie in der „Süddeutschen“ behauptet, dass es in Deutschland für einen großen Teil der Kinder längst nicht mehr um die Frage geht, ob sie Geige oder Ballett erlernen, sondern ob sie morgens hungrig in die Schule gehen oder als 14-Jährige nach der Schule mit dem Bier in der Hand in der U-Bahn sitzen? Woher sollen sie denn das Geld dafür haben? Arme Kinder und Jugendliche haben oft nicht ausreichend zu essen, weil die Hartz-IV-Sätze viel zu niedrig sind!

Ob Folgeerkrankungen auftreten, kann tatsächlich beeinflusst werden, wobei dies die Eigenverantwortung herausfordert. Erkrankungen hingegen, die bereits während der Kindheit auftreten, schaffen ungleiche Startbedingungen. Aber auch der Verlauf solcher Erkrankungen müsste keineswegs schicksalhaft unabwendbar sein, käme nicht bei einem Teil der Kinder der „Risikofaktor Eltern“ ins Spiel, schreibt die „Süddeutsche“. Der Risikofaktor durch eine ausgrenzende Gesellschaft ist da viel gravierender. Im reichen Deutschland wird nichts Grundsätzliches gegen Kinderarmut unternommen, nur hier und da ein wenig herumgedoktert. Solange weiterhin durch Hartz IV und den Neoliberalismus Armut staatlich verordnet wird, kann die Armut der Kinder und ihrer Familien nur kräftig ansteigen und immer weiter Körper und Seele schädigen. So wird ein gesundes Selbstwertgefühl systematisch zerstört oder eben gar nicht erst ausgebildet.

 

3. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla södert herum, dass Kruzifixe in allen Schulen anzubringen seien. Er hält es für unabdingbar, dass das Bekenntnis zum Christentum im öffentlichen Raum erhalten bleibt. Dazu gehören Schulen, auch Gerichte oder Behörden. Die CDU hat drei Wurzeln: die liberale, die christlich-soziale und die konservative. Alle drei finden sich auch ausführlich im Entwurf des neuen Grundsatzprogramms. Die „Leitkultur“ in Deutschland beugt der Bildung von Parallelgesellschaften vor. Jede Nation braucht eine Grundlage für das Zusammenleben aller Menschen, egal ob In- oder Ausländer. Es geht um ein klares Bekenntnis zum Grundgesetz, die Beherrschung der deutschen Sprache, das Bekenntnis zu den Werten, die unsere Geschichte und Kultur geprägt haben.

Die CDU möchte, dass wieder mehr Kinder geboren werden. In ihrem Programm steht, dass sie sich mit den viel zu hohen Abtreibungszahlen nicht mehr abfinden will. Ein Grundsatzprogramm gibt Leitlinien vor, aber keine genauen politischen Vorhaben. Der Lebensschutz am Anfang und am Ende des menschlichen Lebens sei für sie von höchster Bedeutung. Zur Umwelt heißt es im Grundsatzprogramm: „Wir wollen unseren Kindern und Enkeln eine Welt bewahren und hinterlassen, die auch morgen lebenswert ist.“

Das Original ist der Grünen-Spruch: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Und der wird ausgerechnet von der CDU missbraucht! Unseren Kindern wie auch unserer Gesellschaft fehlt es nicht an Symbolen, Leitsätzen und hohlen Bekenntnissen zum Christentum. Was wir brauchen, ist die gelebte Nächstenliebe des Christentums oder der Menschenliebe in Form von ausreichendem Geld, Eingliederungsmöglichkeiten in die Gesellschaft, Chancengleichheit. Das lässt sich nicht mit einem Kreuz an jeder Schulwand und Lippenbekenntnissen herstellen. Wir brauchen die Abschaffung von Hartz IV, einen Mindestlohn, von dem jeder auch mit Familie leben kann, und die Abschaffung des aussiebenden dreigliedrigen Schulsystems!

 

4. In unserer Bananen-, äh, Hartz-IV-Republik kassieren die Unternehmer und verlieren nur die Arbeitnehmer! Vier Jahre lang hat Frau A. als Reinigungskraft gearbeitet, drei Stunden putzen täglich für 349 Euro im Monat. Urlaub habe es keinen gegeben und Lohnfortzahlung bei Krankheit auch nicht. Bei einer westdeutschen Druckerei stehen solche Knebel-Konditionen sogar schwarz auf weiß im Vertrag für Aushilfskräfte. Bei einer Fischverarbeitung in Mecklenburg-Vorpommern bekommen die Arbeiter zwar noch ein Urlaubsgeld, aber die Löhne sind so niedrig, dass viele zusätzlich Hartz IV beantragen müssen.

So sieht sie aus, die Realität im Niedriglohnsektor Deutschlands: illegale Verträge und Löhne, die nicht zum Leben reichen. Doch niemand wehrt sich, die Angst vor der Arbeitslosigkeit ist zu groß. Die Unternehmer machen dagegen satte Gewinne und haben das politische Ziel vom „Fordern und Fördern“ für sich umgedeutet: In der Welt von Hartz IV ist alles zumutbar, auch der Gesetzesbruch. Diesen ausnahmsweise mal realitätsbezogenen, guten Beitrag gab es letzte Woche in „Panorama“ zu sehen, eben über die Macht von Unternehmern und die Not von Arbeitnehmern in Zeiten von Hartz IV.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend)

 

Wer im Glauben, zahlen zu können, gemietet hat, soll wohnen bleiben!

Hans-Dieter Binder1. In Bremen leben über 10.000 Bedarfsgemeinschaften in einer „zu teuren“ Unterkunft. Warum ist dies überhaupt ein so großes Problem? Vor Hartz IV gab es Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Bei Sozialhilfe-Empfängern wurden bereits vor 2005 die Mietkürzungen und Zwangsumzüge durchgesetzt. Viele Betroffene sind in zu kleine Wohnungen gezogen oder zahlen noch heute einen Teil der Miete selber.

Durch Hartz IV wurden Arbeitslosenhilfe-Be­ziehern erhebliche Einkommen weggenommen, bis über 1.000 Euro pro Nase und Monat! Bremen hat 2005 zugegebenermaßen durch die Einführung von ALG II 60 Millionen Euro gespart. Die Stadt wollte sogar doppelt so viel einsparen! Die Umzugsaufforderungen sollen durchschnittlich 125 Euro im Monat pro betroffener Bedarfsgemeinschaft einsparen, laut Frau Rosenkötter insgesamt circa 20 Millionen Euro.

Wie kommt es zu dieser Vielzahl „zu teuer“ wohnender Bedarfsgemeinschaften? Diese Menschen habe ihre Wohnung gemietet, als sie sich diese Wohnung leisten konnten! Sie haben jetzt weniger Geld zur Verfügung, weil sie, aus Arbeitslosenhilfe oder Arbeitslosengeld I kommend, nunmehr ALG II beziehen. Nach der Arbeit soll ihnen jetzt auch die Wohnung genommen werden!

Warum steigen die Ausgaben für ALG II? Es werden immer mehr Menschen zu ALG-II-Empfängern, weil der Zugang zu ALG I erschwert und dessen Bezugsdauer verringert wurde und den Studenten endlich Leistungen für Kosten der Unterkunft gewährt werden. Die Arbeitslosenstatistik spiegelt diese Entwicklung nicht wider, weil sie falsch ist, wie in den Vorwochen schon oft erwähnt!

Warum geht ALG II zu Lasten der Steuerzahler? Weil es nicht aus den Mitteln der Bundesagentur für Arbeit bezahlt wird. Die Regelsätze werden vom Bund getragen, die Kosten der Unterkunft von den Gemeinden, welche einen Teil derselben vom Bund erstattet bekommen. Die Einsparungen der Bundesagentur für Arbeit wurden zur Beitragssenkung genutzt, einschließlich der Änderung beziehungsweise Vorverlegung der Beitragsfälligkeit. Außerdem wurde reichlich Geld für den Bundeshaushalt abgezweigt.

Unklar weil unveröffentlicht ist auch die derzeitige Einsparung Bremens durch ALG II im Vergleich zu der vorherigen Regelung. Darum fordern wir Besitzstandswahrung: Jeder, der seine Wohnung im guten Glauben gemietet hat, dass er sie bezahlen kann, soll wohnen bleiben, und die Kosten der Unterkunft sollen als angemessen akzeptiert und erstattet werden! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen, das geht auch als Rentner: Ich will die Zukunft positiv gestalten!

 

2. Aufgrund der Äußerungen von Frau Linnert möchte ich diese Zeilen zwischenschieben: Zwangsumzug ist ein geächtetes Wort! Trotzdem trifft es den Kern der Sache. Die Presseerklärung der Sozialsenatorin ließ Schlimmstes befürchten. Zum Glück hat Frau Linnert ihre Zusage erneuert, allerdings mit der Einschränkung: Was kann man davon bezahlen? Es liegt uns nicht daran, den Wohnungsmarkt zu verteuern. Kein Betroffener hätte etwas dagegen, wenn die Miete seiner Wohnung reduziert würde. Nur dazu ist selbst die Gewoba nicht bereit!

Statt Anhebung der Mietobergrenzen geht dies auch durch Besitzstandswahrung: Jeder, der seine Wohnung im guten Glauben gemietet hat, dass er diese Wohnung bezahlen kann, soll wohnen bleiben, und die Kosten der Unterkunft sollen als angemessen akzeptiert und erstattet werden. Aber bitte jedem Betroffenen mitteilen: Sie können wohnen bleiben, die Erstattung der Unterkunftskosten erfolgt weiterhin ungekürzt!

Bei Neuanmietungen gibt es Hilfestellung von der Bagis. Diese Mietobergrenzen richten sich nach der aktuellen Rechtsprechung. Die Bagis hat mit vielen Tricks das Vertrauen der Vermieter und auch der Betroffenen verspielt. Daher ist es wichtig, auch hier ein Machtwort zu sprechen! Bereits heute bekommen viele Bedarfsgemeinschaften nicht die vollen Kosten der Unterkunft erstattet!

Ich vertraue auf die erhaltenen Zusagen. Trotzdem bin ich für eine De­monstration am 4. Oktober 2007, wobei wir anschließend alle als Zuschauer an der dann öffentlichen Sozialdeputationssitzung teilnehmen. Ich gehe davon aus, dass es Herrn Henschen möglich ist, eine entsprechende Räumlichkeit zu reservieren. Der DGB hat einen solchen Raum – wir werden dort am 25. September 2007 mit den Verantwortlichen debattieren (die Beratung des „Sozialen Lebensbundes“ im „Hibiduri“ fällt dann aus). Darum Montagsdemo, Kopf zeigen, das geht auch als Rentner: Ich will die Zukunft positiv gestalten!

 

3. Nach unserer Demo zur Sozialdeputation am vergangenen Donnerstag erfolgte die Vorstellung des „Gewos“-Berichts in der Deputationssitzung durch eine Mitarbeiterin des Instituts. Allerdings stimmten die Zahlen an der Wand nicht mit denen auf Papier überein. Differenzen waren nicht zu klären, Berechnungsformeln und Datenherkunft blieben unklar. Auch wegen der Zeitverzögerung durch die Demo wurde die Vorstellung des „Gewos“-Berichts abgebrochen.

Die Verwaltung wurde per Austauschvorlage beauftragt, eine Neufassung der Verwaltungsanweisung Wohnen vorzulegen. In dieser Vorlage geht auch das Sozialressort nur noch von einem „Gewos“-Bericht aus. In diesem Vorschlag nicht erwähnt sind die von Frau Rosenkötter genannten Obergrenzen, die bereits in der von Herr Grotheer als Flugblatt an die Umstehenden verteilten Pressemitteilung der SPD-Fraktion vom 6. September 2007 kritisch hinterfragt wurden: „Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die Anzahl der Umzugsaufforderungen drastisch reduziert werden soll. Wir müssen genau prüfen, ob die vorgeschlagenen Obergrenzen diese Funktion auch tatsächlich erfüllen.“

Warum sollte es eine Preistreiberei durch angehobene Mietobergrenzen geben? Zur Vorgeschichte gehört, dass Bremen gut 80 Prozent des Mietwohnungsbestandes in öffentlicher Hand besaß. Gesellschaften und Anteile wurden verkauft, übrig blieb die „Gewoba“. Deren Hauptanteilseigner ist Bremen mit fast 75 Prozent, die allerdings von verschiedenen GmbHs gehalten werden. Bremen hat aus diesem Besitz ordentlich Dividende gezogen, denn die „Gewoba“ langt auf dem Wohnungsmarkt zu und bietet daher kaum „Hartz-IV-Wohnungen“ zu den in Bremen geltenden Mietobergrenzen an.

Bremen hat mit der „Gewoba“ eine Firma gegründet, deren Ziel in Wohnraumvernichtung besteht, wie man in Tenever sieht. Bremen hat gezahlt und sich aus der Firma wieder verabschiedet. Neun Millionen Euro hat dieser Abschied gekostet, und zwar extra, weil auch auf die bisherigen Werte verzichtet wurde! Bremer Politik hat gerade die kleinen Wohnungen sehr teuer gemacht: 265 Euro für 20 Quadratmeter werden gefordert.

Der Senat wollte auch mit der „Gewoba“ reden, denn sie kann mit Mietsenkungen einer allgemeinen Mieterhöhung entgegenwirken oder einfach jedem Betroffenen mitteilen: Sie können wohnen bleiben, die Erstattung der Unterkunftskosten erfolgt weiterhin ungekürzt! Hamburg akzeptiert bis 423 Euro plus Betriebskosten und Heizung für einen Einpersonen-Haushalt, zusätzlich sind noch zehn Prozent Toleranz zu gewähren. Darum Montagsdemo, Kopf zeigen, das geht auch als Rentner: Ich will die Zukunft positiv gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 
Eva Luise Köhler fordert bessere Startchancen: Kinderarmut steigt in
Deutschland stärker als in anderen Industrienationen („Tagesschau“)

 

Deutschlands Weg
in den Militärstaat

Aus gegebenem Anlass möchte ich noch einmal auf den Antikriegstag zurückkommen. Schäubles Gesetzesvorstöße streben ja dieser Tage immer stärker in Richtung eines totalitären Überwachungsstaates. Die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, Mitglied des „Republikanischen Anwaltsvereins“, hielt auf dem Bahnhofsvorplatz eine bemerkenswerte Rede, die ich als so wichtig erachte, dass ich kurz darauf eingehen möchte. Es geht mir in der Hauptsache um den Teil, der den Einsatz der Bundeswehr im Innern thematisiert. Die Rechtsanwältin befasst sich hier intensiv mit dem „Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“. Daraus hat die Bundesregierung ein „Strategiepapier“ entwickelt, das alles über den Haufen wirft, was die Alliierten, was das Potsdamer Abkommen, was der Parlamentarische Rat bei der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 als Lehre aus dem Faschismus festgeschrieben haben. Trotz Verfassungsgerichtsurteils vom 15. Februar 2006 reklamiert die Merkel-Regierung weitestgehende Einsatzbefugnisse für Inlandseinsätze, und Schäuble setzt sogar noch eins drauf und fordert die Zulassung eines „Quasi-Verteidigungsfalles“ nach den Regeln des Kriegsvölkerrechts. Ein wesentlicher Punkt des forcierten Staatsumbaus ist die Integration der Zivilbevölkerung in das militärische System durch Errichtung von „Heimatschutzeinheiten“.

Wieland von HodenbergDie Regelung der Beziehungen zwischen den Dienststellen der Bundeswehr auf der einen und der Zivilbevölkerung auf der anderen Seite haben Geltung „sowohl innerhalb Deutschlands als auch bei Einsätzen der Bundeswehr im Aus­land“. Was mit der Veröffentlichung des Weißbuchs noch Theorie schien, ist inzwischen Wirklichkeit. Lawinenartig werden Maßnahmen zur militärischen Durchdringung des Staates, zum Einsatz der Bundeswehr im Innern, zur Zentralisierung des Staatsapparates, zur Überwachung und Ausforschung und zur Zerschlagung des Grundgesetzes durchgesetzt. Dabei schreiten Polizei- und Schnüffelminister Schäuble und Kriegsminister Jung Hand in Hand munter vorneweg! Am 11. Januar 2007 wurde in Magdeburg das erste Landeskommando, bestehend aus Reservisten, in Dienst gestellt. Jung hatte 2006 seine Erkenntnis öffentlich gemacht, der „Schlüssel zum Erfolg“ von Militäreinsätzen liege in einer sehr viel engeren Zusammenarbeit mit zivilen Akteuren, also „Seite an Seite mit Polizei, Feuerwehr und technischem Hilfswerk“, unter anderem in Sachen „geplante oder bereits verübte Sprengstoffanschläge“.

Je 12 Reservisten besetzen ein Landratsamt, insgesamt in der Bundesrepublik 5.500 Reservisten. Jeder Trupp wird von einem Oberstleutnant der Reserve geführt und ist direkt der Bundeswehr unterstellt. 5.000 Reservisten werden für die 16 zivil-militärischen Stützpunkte in den 16 Bundesländern gesucht. Geht alles nach Plan, soll der Aufbau 2010 abgeschlossen sein. Mit den 5.500 Reservisten in den Kreis- und Landratsämtern sind dann 10.500 Reservisten zur „permanenten Belagerung“ vorgesehen. In Hamburg und Nordrhein-Westfalen wurden ebenfalls schon Landeskommandos eingerichtet. Diese üben bereits fleißig, unter anderem den Umgang mit Demonstrationen sowie den Kriegsgräbereinsatz und im Sauerland sogar einen Waldbrandeinsatz. Das größte zivil-militärische Manöver und Heerlager in der Geschichte der Bundesrepublik war der G8-Gipfel in Heiligendamm: Mindestens 16.000 Polizisten und 2.100 Soldaten mit Hubschraubern, Aufklärungspanzern und „Tornados“ waren im Einsatz. Die Marine war mit sechs Verkehrsbooten, drei Marinejagdbooten und einer Fregatte auf der Ostsee präsent. Vertreter der Bundeswehr saßen mit den Verbindungskommandos in sämtlichen zivilen Einsatzzentralen zusammen. Das Ganze war eine regelrechte Kriegsübung!

Ergänzt wird die Verwischung der Aufgaben von Militär und Polizei durch den Umbau der „Bundespolizei“, einer Institution, die es vorher nicht gab. 2005 wurde der Bundesgrenzschutz kurzerhand zur „Bundespolizei“ umbenannt. Im Grundgesetz gibt es diese von den Alliierten 1949 verbotene Institution nicht! Die „BuPo“ wird zentralisiert, sie erhält weitere Einheiten für operative Polizeieinsätze, und ihre Befugnisse werden erheblich ausgeweitet. Minister Schäuble hat bereits für den Herbst analog zu den berüchtigten „verteidigungspolitischen Richtlinien“ der Bundeswehr die Vorlage von „sicherheitspolitischen Richtlinien“ angedroht, wohl eine Art „Weißbuch der Polizei“. Wohin diese Entwicklung führt, ist ein deutscher Militärstaat mit einer diktatorischen Verfassung. Dieser Militärstaat wäre dann bereit und gerüstet zu gewaltsamem Vorgehen gegen alle und alles, was sich seinen Interessen im In- und Ausland entgegenstellt. Es ist der Weg in den immerwährenden Krieg. Lasst uns jeden Tag dagegen kämpfen!

Wieland von Hodenberg („Bremer Friedensforum“, „Solidarische Hilfe“)
 
Kruzifix no amoi: Pofalla weiß, woran es in deutschen
Schulen wirklich mangelt („Frankfurter Allgemeine“)
 
Erschüttert im 20-Prozent-Milieu: Segelohrmeister
geht in Klausur („Weser-Kurier“)
Horst Köhler überquert den Bremer Marktplatz

Bundespräsident Köhler trifft auf die Bremer Montagsdemo

Zwischen wenig Sonne und einem Schauer kam es zur Begegnung der „besonderen Art“: Bundespräsident Köhler trifft auf die Bremer Montagsdemo. Zum 149. Mal hatten wir uns am 10. September 2007 um 17:30 Uhr auf dem Bremer Marktplatz mit circa 40 aktiven Teilnehmern und Zuhörern versammelt, als – mit Blaulicht und „weißen Mäusen“ voran – der Werder-Bus und noch weitere Busse auf den Marktplatz rollten und anhielten.

Wie uns von der Polizei vorab angekündigt, entstiegen den Bussen der Bundespräsident und über 130 Botschafter aus allen Ländern der Welt, kurz das Diplomatische Korps. Es sollte ein Gruppenfoto auf dem Marktplatz beim Roland gemacht werden. Wir könnten ruhig an der Seite dabei unsere Kundgebung fortsetzen, sagte uns ein Polizeibeamter. Während gerade ein Redebeitrag vorgetragen wurde, kamen Köhler und sein Gefolge auf uns zu. Nach der Frage des Bundespräsidenten, warum die Rednerin denn so grimmig sei, begann gleich für wenige Minuten eine kleine Diskussion.

Köhler bekundete, er finde es gut, dass wir hier demonstrieren. Er ging dann auf seinen Besuch in Bremen und Bremerhaven ein und was er den Vertretern aus allen Kontinenten habe vermitteln wollen. Dazu gehöre die Erkenntnis: „Auch hier wird gekämpft, ist nicht alles rosig. Deshalb müssen wir weiterarbeiten, und deshalb ist es gut, dass wir zur Kenntnis nehmen, was Sie sagen und was Sie beschwert!“ Dann zog die Gruppe Richtung Rathaus. Es gab auch noch einen kurzen Austausch mit der Bürgermeisterin und Finanzsenatorin Karoline Linnert. Wir haben sie zur 150. Montagsdemo am nächsten Montag eingeladen.

Vorher und auch nachher stand die Begrüßung von Demonstranten am letzten Donnerstag zur Sozialdeputationssitzung im Mittelpunkt, wo Senatorin Ingelore Rosenkötter zwei heiß gemachte deutsche Polizei-Schäferhunde nebst Hundeführern seitlich der Eingangstüren des Parlamentsgebäudes postiert hatte. Nachdem die Demonstranten diese Art der Machtdemonstration scharf kritisiert hatten, wurden die Hunde zurückgezogen, und die Senatorin trat friedlich vor die Demonstranten. Nur eine Delegation von 20 Personen hätte in die Sitzung hineingedurft. Das lehnten wir ab, denn über 80 Menschen aus verschiedenen Initiativen standen vor der Tür!

Thema sollte die Vorstellung eines von der Sozialbehörde „bestellten“ Gutachtens zur Mietsituation in Bremen und der Mietobergrenze sein, die Zwangsumzüge herausfordernt. Teilnehmer aus dem Demonstrantenkreis hatten schon vorher die Unkorrektheit dieses Papiers bekundet. So kam es denn auch: In der Sitzung wurde die Diskussion des Berichtes abgebrochen, weil die Fehler und Unzulänglichkeiten zu offensichtlich waren. Diese „Aktion“ hatte zwei wichtige Ergebnisse: Die Sozialdeputationssitzungen sollen ab sofort öffentlich für jedermann sein, und die Mietobergrenze bleibt weiter in der Diskussion. Wir können weiter für eine notwendige Anhebung kämpfen, als Teil des Kampfes gegen Hartz IV.

Des Öfteren haben wir schon erlebt, dass die Montagsdemo genau richtig steht, in der richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Kreis ist zwar nicht so groß, aber wir sind da. Die Bremer Tageszeitungen bringen zwar auch wieder nur Bilder von Horst Köhler, auf denen die Montagsdemo nicht drauf ist. Sie berichten auch nicht, dass der Bundespräsident auf uns zugegangen ist, aber vielleicht bemerken die Botschafter und Herr Köhler selbst, wie „eingeschränkt“ die Berichterstattung ist.

Im Vorfeld unserer 150. Montagsdemo haben wir unsere Homepage und das „große Redebuch“ zur besseren Benutzung aufgearbeitet. Schaut ruhig mal rein! Aus dem Sommer und Herbst 2004 werden manche erhellenden Details aus der Politik im Widerstand gegen Agenda 2010 und Hartz-IV-Gesetzgebung deutlich. Unsere Regelmäßigkeit und Zähigkeit und die Form, wie wir unseren Protest vortragen, finden trotz des „Totschweigens“ Anerkennung und Resonanz in der Bevölkerung. Das haben wir gemerkt, als wir jetzt eine neue Unterstellmöglichkeit für unseren Lautsprecherwagen suchen mussten. Überall gab es freundliche Aufnahme, auch wenn kein Platz für uns zur Verfügung stand: Wir waren bekannt. Unser neuer „Schirmherr“ sagte: „Mit der Montagsdemo habe ich kein Problem!“

Jobst Roselius für die „Bundesweite Montagsdemo
 
Leitantrag durchgefallen: Grünen-Basis gegen
Afghanistan-Einsatz („Spiegel-Online“)
Horst Köhler schreitet auf die Bremer Montagsdemo zu

 

„Ein schönes Stück Erde“

Bremen, 18:15 Uhr. Vier Polizei-Motorräder rauschen auf den Marktplatz. Die Schlussetappe des „Diplomatenausflugs“ beginnt. Aus vier großen Bussen krabbeln ganz viele Diplomaten. Bundespräsident Horst Köhler steigt derweil aus dem Werder-Bus. Vor dem Roland haben die Montagsdemonstranten brav Platz gemacht. Köhler geht auf sie zu, spricht ein paar Worte. Dann folgt das „Klassenfoto“ vor dem Roland.

„Weiter geht’s zum Empfang in die Obere Rathaushalle. Köhler strahlt Innensenator Willi Lemke (SPD) an: „Da ist ja Werder Bremen.“ Die Botschafter aus aller Herren Länder tröpfeln ein. Der Bundespräsident trägt sich ins Goldene Buch der Stadt ein.

Die Diplomaten bestaunen die altehrwürdige Rathaushalle. Welterbe live sozusagen. Fotohandys werden gezückt, die alten Segelschiffe abgelichtet. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) skizziert Bremen als Raumfahrtstandort, als Kompetenzzentrum für Seeverkehr und Logistik, als Wissenschaftsstandort.

Bundespräsident Köhler sagt: „Der Ausflug hat sich gelohnt.“ Und weiter: „Bremen ist ein schönes Stück Erde in Deutschland.“ Die Hansestadt vertraue auf ihre Stärken, arbeite an ihren Schwächen und sei immer weltoffen. „Auch insofern ist Bremen ein Vorbild“, so Köhler. Und die Stadt und das Land verdienten es, Unterstützung aus ganz Deutschland zu erhalten.

Die bremische Kaufmannschaft mit ihrem Stolz auf Traditonen und Fähigkeiten sei ein „Begriff in ganz Deutschland“, fährt das Staatsoberhaupt fort. Und auch der Slogan der Kaufleute „Buten un binnen, wagen un winnen“* hat es Köhler angetan. „Das ist auch ein guter Wahlspruch für eine bessere Welt.“

Jörg Esser in der Kreiszeitung Syke“ vom 11. September 2007
*„Draußen und drinnen, wagen und gewinnen“

Beim Bad in der Menge auf dem Bremer Marktplatz bewies der Bundespräsident Volksnähe. Die Teilnehmer der dort stattfindenden Montagskundgebung traten für das Foto mit dem Staatsoberhaupt bereitwillig beiseite. Köhler ließ es sich jedoch nicht nehmen, das Gespräch mit den Demonstranten zu suchen und sich kurz ihr Anliegen anzuhören.

Bremer Anzeiger“ vom 12. September 2007 (mit Bildern)
Horst Köhler begrüßt die Bremer Montagsdemonstranten

 

Offener Brief an den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, anlässlich Ihres Besuchs mit den Botschaftern der Welt in Bremen und Bremerhaven sind Sie am Abend des 10. Septembers 2007 vor dem Gang ins Rathaus auf die 149. Montagsdemonstration in Bremen getroffen, und Sie sind auf uns zugegangen. Die Bremer Montagsdemo dankt Ihnen für diese Geste, mit der wir nicht gerechnet hatten. Wir wissen zwar, dass Sie oftmals unkonventionelle Ideen und Wege beschreiten, aber wir erleben auch, dass die politische und öffentliche Meinung kaum Notiz von uns nimmt.

Ihre Aussage, dass Sie es gut finden, dass wir hier auf dem Marktplatz demonstrieren und unsere Forderungen vortragen, weil es zur Demokratie dazugehöre, nehmen wir bewusst zur Kenntnis, und sie ermutigt uns. Sie haben es gewürdigt, dass das Land Bremen und seine Bevölkerung ihre Sache in die eigene Hand nehmen und zeigen, dass wir etwas bewegen wollen und können.

Mit anderen Menschen und Gruppierungen setzt sich die „Initiative Bremer Montagsdemo“ in Bremen – und als bundesweite Bewegung in vielen anderen Städten und Orten Deutschlands – dafür ein, dass eine Gesetzgebung mit weitreichenden Auswirkungen für fast alle Menschen, die unter den Namen „Agenda 2010“ und „Hartz IV“ bekannt geworden ist, zurückgenommen wird und in eine andere Politik mündet, die die Menschen wirklich befähigt, die in allen steckenden Fähigkeiten zu entwickeln und in eine solidarische Gesellschaft einzubringen.

Über das, was möglich ist und das, was geschehen könnte und müsste, werden wir mit Ihnen vielleicht nicht in allen Fragen einer Meinung sein. Wir sehen es darum als besonders wichtig an, darüber zu sprechen und auch zu streiten. Und so verstehen wir auch Ihre Ansprache an uns auf dem Marktplatz.

Im Gegensatz zu Ihrer Offenheit steht aber die „öffentliche Verschlossenheit“. Die Berichterstattung in Wort und Bild nach Ihrem Zusammentreffen mit uns in den Bremer Zeitungen und im Fernsehen war gering bis ausschließend, dass wir es als bewusstes Verschweigen charakterisieren müssen. Selten gibt es Berichte oder Kommentare in den Medien über die Menschen, die mit „Hartz IV“ leben müssen, oder jene, die die Montagsdemos machen, sie organisieren und daran teilnehmen. Deren Ton ist dann meist verächtlich und hat wohl den Sinn, eine bestimmte Bevölkerungsschicht negativ darzustellen.

Wir dagegen erleben, dass die Menschen aus sich heraus mit gezielter gegenseitiger Unterstützung sich entwickeln und Aufgaben anpacken können. Das ermutigt uns, unseren Weg weiterzugehen. Die Organisierung und Entwicklung der Montagsdemobewegung ist eine ehrenamtliche und bewusste Tätigkeit, die nach demokratischen Prinzipien mit dem „Offenen Mikrofon“ – durch das Sie ja auch zu uns gesprochen haben – als neuer Form einer breiten Diskussion, an der jeder teilnehmen kann, der möchte, stattfindet.

Wir möchten Sie deshalb aufrufen, Ihren Beitrag dafür zu leisten, dass diese von wem auch immer gewollte „Medienverschlossenheit“ aufgebrochen wird. Obwohl wir selber gelernt haben, uns von dieser willkürlichen Medien- und Politikhandhabung nicht irritieren zu lassen, warten nicht nur in Bremen, sondern in ganz Deutschland viele Menschen darauf, ernstgenommen zu werden und einen richtigen Beitrag für die Entwicklung der ganzen Gesellschaft leisten zu können. Bei unseren Gesprächen mit den Menschen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen stoßen wir auf die Offenheit und die Bereitschaft, die wir bei Teilen der politisch Verantwortlichen und der Medien vermissen.

Am 13. Oktober 2007 demonstrieren die Montagsdemonstrationen aus ganz Deutschland in Berlin. Wir laden Sie ein, auch dort zu uns zu sprechen. Mit freundlichen Grüßen

i.A. Jobst Roselius („Initiative Bremer Montagsdemo“)
Fotos: Frank Kleinschmidt („Sozialer Lebensbund“)
veröffentlicht bei „Erwerbslosenforum“ und „Rote Fahne News
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz