2.8.2007

Länder zweifeln an Bremer Notlage
Gutachten: Bremen kann Haushalt allein in den Griff bekommen / Böhrnsen und Linnert reagieren empört

Von unserem Redakteur
Michael Brandt

 
 
Karoline Linnert bezeichnet das Gutachten als "Spielerei". Foto: frei
   
BREMEN. Bremen hat noch Einspar-Potenziale von einer Milliarde Euro pro Jahr. Diese Auffassung vertreten Wirtschaftswissenschaftler in einem Gutachten, das mehrere Bundesländer in Auftrag gegeben haben. Hintergrund ist die Bremer Klage auf Finanzhilfe beim Bundesverfassungsgericht. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) ist stocksauer. Er bezeichnete das Papier gestern als "akademisches Geschwafel".Professor Lars P. Feld von der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und der Prozessbevollmächtigte der Gegner-Länder, Professor Ulrich Häde, lassen kein gutes Haar an den Bemühungen Bremens, die Haushaltsnotlage in den Griff zu bekommen. Feld hat sich im Auftrag von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen die Situation des kleinsten Bundeslandes angesehen.

Grob zusammengefasst vertritt er die These: Bremen geht es überhaupt nicht schlecht genug, um eine "extreme Haushaltsnotlage" vor Gericht geltend zu machen.So werfen die Gutachter Bremen zum Beispiel vor, dass die Sozialausgaben hier zwischen 2000 und 2004 um 16, 2 Prozent gestiegen seien, während sie in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin stagnierten. Als "deutlich aufgebläht" bezeichnen die Wissenschaftler beispielsweise auch den Personalbestand an Hochschule und Universitäten.Alles in allem lägen die Ausgaben pro Einwohner über denen Hamburgs und Berlins und weit über denen der Flächenstaaten. Nähme sich Bremen jeweils den sparsamsten Stadtstaat zum Vorbild, sagt Professor Feld, ließen sich mehr als 541 Millionen Euro pro Jahr sparen.
Das aber reicht nicht: Wer bundesstaatliche Hilfe einfordere, dürfe sich nicht am Ausgabenniveau seiner reichen Nachbarn orientieren.Auch die Bremer Sanierungsstrategie seit 1993 - Stärkung der Wirtschaftskraft durch öffentliche Investitionen - greifen die Heidelberger an. Das Gesamturteil des Gutachtens steht den bisherigen Einschätzungen des Rathauses direkt entgegen. Es könne keine Haushaltsnotlage festgestellt werden, heißt es. Und: "Bremen kann seinen Haushalt aus eigener Kraft konsolidieren."

Jens Böhrnsen nannte allein die Vorstellung abwegig, Bremen könne bei einem Ausgabenvolumen von vier Milliarden Euro - allein eine Milliarde Euro für Personal - eine weitere Milliarde einsparen. Dies entlarve die Gutachter. Die Verfasser hätten offenbar eher die Zielvorgaben ihrer Auftraggeber befolgt als wissenschaftliche Sorgfalt walten zu lassen. Böhrnsen lädt die Heidelberger Wissenschaftler ein, ihren Elfenbeinturm zu verlassen und "vier Wochen Politik in einem Haushaltsnotlageland mit konkreten sozialen Herausforderungen zu begleiten".Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) stellte gestern die Methode des Feld-Gutachtens in Frage.

Der reine Zahlen-Vergleich mit anderen Ländern sei eine "wissenschaftliche Spielerei" und habe mit der politischen Wirklichkeit nichts gemein. Wenn man die Einsparungen des Gutachtens in die Wirklichkeit umsetzen würde, dann ruiniere man Bremen. Nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag: Man könne ja auch das Bremer Ausgabenniveau für die Bereiche Landwirtschaft und Forsten als Maßstab für Bayern nehmen.Bremen hat seinen Schriftsatz zur Klage im März dieses Jahres vervollständigt und abgeschickt.

Die grundlegenden Argumente liegen zwar schon einige Monate länger in Karlsruhe, das Rathaus hatte sich aber entschieden, auf 56 Seiten noch einmal nachzubessern. Grund dafür war, dass Berlin von den Karlsruher Richtern mit einer ähnlichen Klage eine Abfuhr kassiert hatte. Mit einer Entscheidung über den "Fall Bremen" wird für 2008 gerechnet.

© Bremer Tageszeitungen AG



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