2.7.2007

Plädoyer für Ein-Euro-Jobs
Die Arbeiterwohlfahrt befürchtet, dass wichtige Sozialarbeit entfallen könnte

Von unserem Redakteur
Bernd Schneider

BREMEN. Ralf T. ist ein typischer Fall. "Ich brauche die Tagesstruktur, die ist für mich lebensnotwendig", sagt der Ein-Euro-Jobber. Trockener Alkoholiker ist er. "Ich war ganz unten. Jetzt bin ich wieder gesellschaftsfähig." Ralf T. gehört zu den mehr als 25 000 Langzeitarbeitslosen in Bremen. Für Hannelore Bitter-Wirtz vom AWO-Vorstand ist er zudem ein lebendes Argument dafür, dass das Land nach dem Regierungswechsel an Ein-Euro-Jobs festhalten muss. Eine Formulierung im Koalitionsvertrag bereitet der AWO-Vorstandsfrau Sorgen. Darin heißt es, es würden "so viele In-Jobs wie möglich durch befristete sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse wie möglich ersetzt". Integrations- oder In-Jobs nennen die Behörden die Ein-Euro-Stellen. Bitter-Wirtz: "Ein-Euro-Jobs sind wichtig. Wir brauchen ein paar Tausend für die Menschen, die nicht ohne Weiteres auf dem Arbeitsmarkt einsetzbar sind." Etwa zehn Prozent aller Arbeitslosen, schätzt sie, benötigten diese intensive Betreuung, um wieder Grundfertigkeiten für den Arbeitsmarkt zu erwerben.Dabei geht es ihr vor allem um jene Menschen, die keine Vorstellung mehr davon haben, warum es wichtig ist, halbwegs pünktlich am Arbeitsplatz zu sein - oder überhaupt zu erscheinen. "Wir haben vier Stellen in der Küche einer Einrichtung - und der Küchenchef ist schier am Verzweifeln", schildert Hannelore Bitter-Wirtz. "Seit Februar waren noch nicht ein einziges Mal alle vier Leute da." Immer mal einer, mal der, mal die, aber nie alle zusammen.Alkohol, Drogen, Überschuldung, Beziehungs- und Erziehungsprobleme - vieles in einem schwierigen Leben kann so wichtig sein, dass der Blick für die Arbeit verloren geht. "Ein-Euro-Jobs geben den Menschen die Möglichkeit, sich zu stabilisieren", sagt Bitter-Wirtz. "Wir können sie in den Beruf begleiten."Ralf T. (33, Name geändert) war Dachdecker und Gerüstbauer. Zwei Jahre hat er in einer Einrichtung für Suchtkranke gelebt. Jetzt arbeitet er in einem AWO-Kindergarten mit Kindern unter drei Jahren. Zuständig ist er für das Besondere im Alltag - die Ausflüge zur Parzelle, zur Schmetterlingstankstelle, die Arbeit mit Kindern im Garten. Ohne ihn wäre das alles gar nicht möglich. Windeln wechseln - okay, das macht er auch mal. Aber sonst nur die kleinen Extras."Ich bin dankbar, dass ich diese Chance bekommen habe", sagt er. Die Eltern, sagt er, kennen seine Geschichte, er habe sie selbst erzählt. Aber er fühle sich anerkannt von ihnen, nicht weniger als der Zivi und die Erzieherinnen.Eine Perspektive gibt ihm der Einsatz bei der AWO auch. Ralf T. will irgendwann Erzieher werden. Er hofft auf ein Ausbildungsprogramm für Sozialassistenten, das die damalige Sozialsenatorin Karin Röpke eigens für Langzeitarbeitslose aufgelegt hat.Die AWO mit ihren rund 1500 Beschäftigten übernimmt nur wenige Ein-Euro-Jobber. 80 dieser Stellen gibt es, die meisten laufen ein halbes Jahr. "12 bis 15" Kräfte seien im Anschluss übernommen worden - meistens in Stellen, die mit öffentlichem Geld gefördert wurden oder befristet waren. "Ich glaube, der Erste müsste jetzt einen festen Vertrag haben", sagt Elke Rohdenburg, bei der AWO zuständig für die In-Jobber.Regina G. (60, Name geändert) war 55, als das Modehaus geschlossen wurde, in dem sie gearbeitet hat. Fünf Jahre war sie arbeitslos. "Es gibt nichts Schlimmeres, als auf jede Bewerbung nur Absagen zu bekommen." Zu teuer sei sie, zu alt. Bei der Bagis habe sie dann Druck gemacht. So kam das Angebot, mit geistig und körperlich schwerstbehinderten Menschen in einer AWO-Tagesstätte zu arbeiten. "Ich gehe morgens mit Freude zur Arbeit. Dort bekomme ich das Gefühl, dass ich anerkannt und geliebt werde." Seit anderthalb Jahren ist Regina G. dort; ihr Ein-Euro-Job wurde zweimal verlängert. Jetzt ist sie im Programm "Ü 58" und hat erstmals einen Vertrag für ein volles Jahr. "Ich hoffe, ich kann hier bis zur Rente bleiben." Zusätzliches Geld gibt es allerdings nicht. 150 Euro über dem Mindestbedarf - das macht ihr Job aus. Früher habe sie "reichlich mehr Geld" gehabt. "Man wird bescheiden", sagt sie. "Ich habe eine schöne Wohnung - in der ich hoffentlich wohnen bleiben kann, ich habe mein Essen - man wird bescheiden." Der Ein-Euro-Job wird bei ihr zur Dauerlösung - wenn alles gut geht. "Was hätte ich denn machen sollen? Es nimmt mich ja keiner mehr." "Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung muss an erster Stelle stehen", sagt Hannelore Bitter-Wirtz. Und Regina G. sei ganz klar eine Kandidatin für so einen festen Job, finanziert von der öffentlichen Hand. "Aber die In-Jobs haben einen hohen Stellenwert", betont die AWO-Vorstandsfrau. "Nach unseren Erfahrungen glauben wir, es wäre falsch, hier radikal den Rotstift anzusetzen."

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