27.4.2007

"Politik muss auch Nein sagen können"
Bürgerschaft debattiert Abschluss bericht im Fall Kevin

Von unserem Redakteur
Volker Junck

BREMEN. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses "Kindeswohl" liegt der Öffentlichkeit vor. All die grauenvollen Details sind bekannt. Nun ging es in der Bürgerschaft um die politische Wertung des Falles Kevin, um Konsequenzen und Aussichten bei der Umsetzung. Nach der Debatte verabschiedete das Parlament das neue Kindeswohlgesetz.Vor vollbesetzen Rängen mit etlichen Schulklassen skizzierte der Ausschuss-Vorsitzende Helmut Pflugradt (CDU) noch einmal das kurze Leben und qualvolle Sterben des kleinen Kevin etwa im Mai vergangenen Jahres und das bundesweite Entsetzen nach der Entdeckung der Leiche am 10. Oktober im Kühlschrank des Ziehvaters. Die drogen- und alkoholabhängigen Eltern hatten ihm 25 nachgewiesene Verletzungen an 19 verschiedenen Körperteilen zugefügt.Dafür machte Pflugradt in erster Linie das Versagen des Casemanagers vom Jugendamt, aber auch des substituierenden Arztes des polizeibekannten Paares verantwortlich. Aus seiner Sicht hat im speziellen Fall kein Spardruck auf die Sozialbehörde zur Katastrophe geführt. Doch bei den Rahmenbedingungen habe es erhebliche Defizite gegeben. Er forderte strukturelle Veränderungen und eine bessere Erreichbarkeit des ambulanten Dienstes "Junge Menschen".Bei aller Zurückhaltung angesichts des nahen Wahltermins stellte Klaus Möhle (Grüne) fest, dass der Senat sehr wohl die Spartrommel überdreht und das Schicksal Kevins indirekt durch finanziellen Druck auf die Jugendbehörde mitverantwortet habe. Er plädierte für eine erhebliche Ausweitung von präventiven Maßnahmen, damit nicht ganze Stadtteile in eine soziale Schieflage gerieten. Der nächste Senat werde daran zu messen sein, wie er die Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss umsetze.Für Hermann Kleen (SPD) hat das "Wächteramt des Staates" seit dem Fall Kevin eine neue Bedeutung bekommen. Immerhin hatte sich der Junge in staatlicher Obhut eines Vormundes befunden. Die Politik müsse auch "Nein" sagen, wenn Grenzen des Sparens überschritten würden. Immerhin seien massive Umsteuerungen bei der Kinder- und Jugendhilfe eingeleitet worden.Dies bestätigte Jugend- und Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD). Mitarbeiter des Jugendamtes hätten mehr Zeit für jeden einzelnen Fall, würden besser mit Sachmitteln wie der elektronischen Akte ausgestattet und erführen eine Qualifizierung im Casemanagement. Rosenkötter bekräftigte, dass bei drogenabhängigen Müttern oder Eltern eindeutig das Wohl des Kindes vor dem der Erwachsenen rangiere. Dies sei in der Vergangenheit nicht eindeutig der Fall gewesen. Sie beklagte, dass die notwendigen Mittel allerdings noch nicht im Haushalt eingestellt seien.Nach der parlamentarischen Würdigung des Untersuchungsausschusses verabschiedeten die Fraktionen einstimmig das "Gesetz zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Kindesvernachlässigung". Danach werden alle Erziehungsberechtigten durch das Gesundheitsamt aufgefordert, ihre Kinder regelmäßig zur Früherkennungsuntersuchung zu bringen. Einen Zwang dazu gibt es nicht. Doch bei Nichteinhaltung informiert die Gesundheitsbehörde das Jugendamt, von dem dann entsprechende Konsequenzen eingeleitet werden.

© Bremer Tageszeitungen AG



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