02.04.2007 / Inland / Seite 8

»Viele müßten dann von 200 bis 250 Euro im Monat leben«

Bremen fordert Erwerbslose zur Mietminderung auf. Mietobergrenzen haben mit Realität nichts zu tun. Ein Gespräch mit Herbert Thomsen

* Herbert Thomsen ist Sozialberater bei der Solidarischen Hilfe in Bremen

Seit Wochen protestieren Erwerbslose bei den Sitzungen des Sozialausschusses in der Bremer Bürgerschaft. Worum geht es?

Die für die Betreuung der Arbeitslosengeld-II-Bezieher zuständige ARGE hat rund 6500 Erwerbslose angeschrieben und sie zu einer Senkung ihrer Mietkosten aufgefordert. Am besten durch Umzug in eine billigere Wohnung. Während sich die Zahl solcher Anschreiben in diesem Frühjahr noch verdoppeln soll, gibt es in Bremen pro Jahr maximal 1 000 freie Wohnungen, die den Angemessenheitskriterien der Behörde entsprechen. Wem es aber nicht gelingt, eine billigere Wohnung zu finden, der muß Senkungen bei den Mietkostenzuschüssen hinnehmen. Die Differenz muß aus den Regelleistungen für die Grundsicherung aufgebracht werden. Das heißt für viele, daß sie dann ihren Lebensunterhalt von 200 bis 250 Euro im Monat bestreiten müssen.

Wie kommt es, daß die Mietobergrenzen so gering bemessen sind?

Nach dem Wohngeldgesetz richten sich die Mietobergrenzen nach dem Zeitpunkt, in dem eine Wohnung gebaut oder modernisiert wurde. Doch in Bremen wird die Mietstufe 3, die sich auf Neubauten ab 1992 bezieht, einfach nicht anerkannt. Für einen allein- stehenden Erwerbslosen liegt deshalb die Mietobergrenze für eine zulässige Bruttokaltmiete nicht bei 325, sondern bei 265 Euro im Monat. Für einen solchen Preis gibt es in Bremen kaum Wohnungen. Da die Stadt jeden Euro in die Haushaltssanierung stecken möchte, soll diese Praxis auch nicht geändert werden. Wie aber sollen dann die betroffenen 10000 bis 12000 Menschen eine Wohnung finden, die den Mietobergrenzen entspricht?

Sie haben die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt selbst untersucht. Wie waren Ihre Ergebnisse?

Unsere Untersuchung bezog sich auf alle Mietangebote, die im Monat Januar zur Verfügung standen. Insgesamt waren das 950 Wohnungen. Doch von diesen entsprachen nur etwa 100 den zulässigen Mietobergrenzen. Und zu 70 Prozent lagen sie in den Stadtteilen, in denen es schon jetzt eine Arbeitslosenquote von etwa 20 Prozent gibt. Würde man die Vorgaben der ARGE also rigide anwenden, dann müßten noch mehr Erwerbslose in solche Armutsquartiere ziehen. Die Bildung solcher Ghettos vor allem am Standrand würde noch zunehmen.

Sind nur Alleinstehende betroffen?

Die im besonderen Maße. Denn die Neubauten des sozialen Wohnungsbaus wurden früher meist auf Familiengröße zugeschnitten. Inzwischen haben sich die Lebensgewohnheiten vieler Menschen geändert. Deshalb gibt es einen besonderen Mangel für kleinere, bezahlbare Wohnungen. Betroffen sind aber auch die größeren Haushalte, denn auch bei ihnen entsprechen die Mietobergrenzen nicht der tatsächlichen Situation auf dem Wohnungsmarkt.

Was fordern Sie?

Wir fordern eine Besitzstandswahrung für alle, die schon jetzt mit Arbeitslosengeld II leben müssen. Das sind ja größtenteils Menschen, die früher Arbeitslosenhilfe bekommen haben. Deren Ersatz durch das Arbeitslosengeld-II war eine politische und keine sachliche Entscheidung. Sie darf aber nicht dazu führen, daß die Menschen auch noch ihre letzte Lebensgrundlage verlieren. Und wir fordern zudem, daß nun endlich auch in Bremen die Mietstufe 3 anerkannt wird.

Wie reagieren die Abgeordneten auf diese Forderungen, und wie verliefen Ihre Aktionen?

In der großen Koalition aus CDU und SPD wird meist gemauert. Vielfach ist man dort der Meinung, daß nur die Einhaltung der bisherigen Mietobergrenzen, die Wohnungsgesellschaften dazu zwingt, günstigeren Wohnraum anzubieten. Da ist sicherlich was dran. Doch das Perfide dieser Strategie besteht darin, daß die Erwerbslosen in diesem Konflikt mit den Wohnungsanbietern als Kanonenfutter benutzt werden. Sie werden im Mühlstein dieser unterschiedlichen Interessen zerrieben.

Dreimal hintereinander waren wir mit mehr als 100 Leuten bei Sozialausschußsitzungen. Das hat die Sozialsenatorin so sehr genervt, daß sie die Sitzung beim letzten Mal einfach abbrach, nachdem wir uns weigerten zu gehen. Mit unseren Aktionen werden wir aber nicht nachlassen. Am 13. Mai wird eine neue Bürgerschaft gewählt. Gemeinsam mit den Erwerbslosengruppen der IG Metall und von ver.di, aber auch mit den Montagsdemonstranten haben wir beschlossen, die Wahlkampfveranstaltungen von SPD und CDU zu besuchen.

Interview: Andreas Grünwald