13.2.2007

Ein-Euro-Jobs als Gratwanderung
Sind Stellen in Schulen und bei privaten Pflegediensten wirklich immer zusätzlich? / Nicht nur Kritiker haben ihre Zweifel

Von unserem Redakteur
Bernd Schneider

BREMEN. Ein-Euro-Jobs bedrohen reguläre Stellen und führen kaum in feste Arbeit. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Auftrag der Agentur für Arbeit jüngst festgestellt. In Bremen wird diese Kritik geteilt. Zudem diene die Zuweisung der Jobs oft der "Disziplinierung" von Hartz-IV-Empfängern und nicht der "Aktivierung", meinen Kritiker.Zusätzlich und im öffentlichen Interesse müssen Ein-Euro-Jobs nach dem Gesetz sein, damit sie genehmigt werden. "Ich habe lange darüber nachgedacht, ob meine Arbeit zusätzlich ist", meint Injobberin Susanne Drees. Die Streetworkerin bei der St.-Petri Kinder- und Jugendhilfe in Tenever betreut Hartz-IV-Empfänger. "Es werden immer mehr, die Betreuung ist gesellschaftlich notwendig." Ihr Arbeitgeber sieht das ähnlich und will sie fest anstellen. Bundesweit hat diese Chance nach IAB-Analysen nicht mal einer von 50 Injobbern.Uwe Helmke von der Blauen Karawane kennt Kräfte an Schulen, die wohl nicht übernommen würden, aber aus seiner Sicht reguläre Aufgaben wahrnehmen: in der "Assistenz für Behinderte, in der Bibliotheksarbeit und in der Förderung beim Lesenlernen. Eine hoch qualifizierte Psychologin sei beschäftigt, um Lehrer zu beraten. Helmke: "Gesellschaftspolitisch kann man diese Arbeit nicht als zusätzlich ansehen." "Viele Einrichtungen stecken in einem Dilemma, weil sie sich reguläre Arbeitskräfte gar nicht leisten könnten", sagt Ursula Stielicke von der Aktionsgemeinschaft Arbeitsloser Bürgerinnen und Bürger (agab). So würden weite Bereiche in Kunst und Kultur mit Injobbern betrieben.Susanne Drees berichtet sogar von Stellen bei privaten Pflegediensten. "Zusätzlich" sei dort die menschliche Zuwendung, Hilfe beim Abwaschen oder Einkauf. "Das ist sicher wünschenswert", sagt sie. "Aber wo die Kräfte reguläre Pfleger entlasten, ist der Einsatz wettbewerbsverzerrend." Michael Busch, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, beklagt solche Tendenzen auch für das Handwerk, das "regulär beschäftigte Mitarbeiter entlassen" müsse.Die Bremer Arbeit GmbH (bag) prüft und bewilligt Injobs. "Dass die Entscheidung über die Zusätzlichkeit oft eine Gratwanderung ist, wissen alle Beteiligten", sagt Geschäftsführerin Katja Barloscky. Die bag prüfe jeden Einzelfall. Bundesweit sei das einmalig. "Wir bitten ausdrücklich um Hinweise, wenn jemand den Eindruck hat, dass etwas mit einem Injob nicht stimmt."Wer einen Injob ablehne - und sei es nur aus Sorge um die Berufsbiografie -, den erwarte die Kürzung der Bezüge um 30 Prozent. So würden "viele in einen ein Euro-Job gepresst, die gar nicht arbeitsfähig sind", sagt Susanne Drees. Krankheit, schwere Alkoholprobleme oder Drogenabhängigkeit würden jedem Vierten ihrer Klienten das Arbeiten unmöglich machen. Nach IAB-Zahlen ist aus Sicht der Betriebe sogar nur jeder zweite Injobber "geeignet für eine reguläre Stelle". Mit Injobs sei oft nicht die angebliche "Aktivierung für den Arbeitsmarkt" verbunden, sondern Disziplinierung, so Ursula Stielicke."Absurd", so die Arbeitslosenberaterin weiter, sei auch die Praxis, Menschen mit "Minijobs" (bis 400 Euro) zur Annahme eines Injobs aufzufordern. Der sechs Monate laufende Job verdränge Menschen damit sogar aus dem regulären Arbeitsmarkt. In einer "öffentlichen Verhandlung" sollen Freitag ab 17 Uhr im Speicher XI Kritiker und Befürworter des Ein-Euro-Jobs zu Wort kommen, Veranstalter ist die Blaue Karawane.

© Bremer Tageszeitungen AG



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