7.2.2007

Berater fürchten Hartz-IV-Ghettos
Günstige Wohnungen nur in bestimmten Stadtteilen

Von unserem Redakteur
Bernd Schneider

BREMEN. Wohnungen für Hartz-IV-Familien sind knapp, das bestreitet niemand. Eine Erhebung der Solidarischen Hilfe zeigt nun: Nur jede zehnte Wohnung auf dem Markt wird zu Konditionen angeboten, die in Bremen als "angemessen" gelten. Im Januar seien das rund 100 gewesen. Bis Sommer 2008 müssten aber bis zu 13 000 Familien ihre Mieten senken. Die Solidarische Hilfe, ein Selbsthilfeverband vor allem für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, hat im Januar Zeitungsinserate, Online-Angebote von Wohnungsbaugesellschaften und die Internet-Seiten der Stadt Bremen ausgewertet. "Das Ergebnis ist erschreckend", sagte Herbert Thomsen vom Verein gestern vor der Presse. Von 950 angebotenen Wohnungen hätten nur 105 die Ansprüche erfüllt, die Bremen an Miete und Größe für Hartz-IV-Wohnungen stelle. Davon müssten nochmals rund 30 "Kleinstwohnungen" abgezogen werden, die mit Größen zwischen 15 und 30 Quadratmetern offenbar als Studentenbuden gedacht seien.Vom Rest, so Thomsen, liege der weitaus größte Teil (über 80 Prozent) in Stadtteilen mit heute schon überdurchschnittlich vielen Hilfeempfängern. Es bestehe "die Gefahr einer Bevölkerungswanderung" von armen Familien in diese Stadtteile. Thomsen: "Da bilden sich Ghettos."Aktuelle Bedeutung erhält die Wohnungsmarkt-Analyse, weil in diesen Tagen die ersten Fristen für Hartz-IV-Familien ablaufen, ihre Mieten zu senken. Ab April dürfte das Problem drängender werden. Dann, so Bagis-Geschäftsführer Eckhard Lange, läuft die in Bremen übliche Jahresfrist für eine größere Zahl von Familien ab.Wer nicht umzieht oder beim Vermieter einen Nachlass heraushandelt, muss "die Differenz aus dem Lebensunterhalt finanzieren", so Thomsen. Der Lebensunterhalt beträgt für Alleinstehende 345 Euro, für Kinder (unter 14) 207 Euro. Nach Angaben der Sozialbehörde zahlt ein Alleinstehender, wenn er zu teuer wohnt, im Schnitt 135 Euro zu viel, eine vierköpfige Familie 211 Euro.Nach diesen Daten zahlen fast 6500 Haushalte mindestens 20 Prozent zu viel Miete. Weil die Daten erst nach und nach erhoben werden, spiegele das aber nur einen Teil der Fälle wider, erläuterte Thomsen. "Wir gehen davon aus, dass sich die Zahl verdoppelt." Bei allenfalls 100 passenden Wohnungen pro Monat müsse Bremen also generell höhere Mieten als angemessen anerkennen. Zumal die Stadt - durch den Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften - Chancen verspielt habe, günstigen Wohnraum in allen Stadtteilen selber vorzuhalten.Das Sozialressort hat inzwischen eine Studie bestellt, um den Wohnungsmarkt einzuschätzen. Zudem will es eine Servicestelle einrichten, die prüft, ob und wo günstige Wohnungen frei werden. Auf dieser Grundlage solle über angemessene Mieten und Kürzungen neu nachgedacht werden - auch mit dem Ziel, das drohende Entstehen von Ghettos zu vermeiden. Thomas Beninde vom Verband der offenen Erwerbslosenberatungen fordert daher: Zumindest bis dahin solle die Bagis Mieten nicht kürzen.Wo dennoch gekürzt wird, soll der Weg über die Beratungsstellen in die Justiz führen. "Wir bereiten schon eine Klage vor", sagt Beninde. Auch Thomsen will mit Betroffenen vor Gericht ziehen. Er strebt zunächst "eine einstweilige Verfügung" an, um Kürzungen zu verhindern - und baut auf die Signalwirkung für die Praxis.

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