30.12.2006

Weitere Kinder gelten als gefährdet
Behörde kontrollierte sämtliche Akten von Kevins Fallmanager / Elf Mal "dringender Handlungsbedarf"

Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler

BREMEN. War das qualvolle Leben und der Tod von Kevin eine Verkettung unglücklicher Umstände und menschlicher Fehlentscheidungen? Die unserer Zeitung vorliegende Überprüfung aller Akten des Fallmanagers von Kevin widerspricht dem klar. In elf seiner 79 Fälle sieht die Innenprüfung "dringenden Handlungsbedarf" und eine Gefährdung der betroffenen Kinder."Vertraulich" steht auf der brisanten Unterlage der Sozialbehörde. Dies wird sie wohl nicht lange bleiben. Zu massiv sind die fachlichen Fehlentscheidungen des Fallmanagers, seine Tatenlosigkeit in vielen Fällen, in denen er dringend hätte eingreifen müssen, und das scheinbar blinde Vertrauen auf die beschönigenden Aussagen der betroffenen Väter und Mütter.Der Innenprüfung lagen 79 Akten des Sachbearbeiters vor. Dabei fällt auf, dass rund 20 von ihnen seit Jahren längst abgeschlossen sind oder schon lange keine Arbeit mehr verursachen. "Eine Art Bodensatz, der wohl den Zweck hatte, nach außen stets ausgelastet zu wirken", vermutet ein Insider.Dabei hatten die Prüfer Mühe, manche Schicksale der Kinder überhaupt nachzuvollziehen. Im Fall eines zwölfjährigen Mädchens mussten sie die Unterlagen erst selber einsortieren, bei einem Jungen lag einer von drei Bänden ohne Aktendeckel auf einem Schrank im Zimmer des Sachbearbeiters. Mal hatte er sein hilfebedürftiges Klientel nach Vornamen in der Akte eingeordnet, mal nach den Nachnamen. "Dieser Bearbeitungszustand ist unakzeptabel", so das Fazit des Prüfers.Zu Beginn scheint sich der Fachmann noch über die Entscheidungen seines Kollegen zu wundern. Mehrfach merkt er an, dass der Fallmanager vor Gericht keine eigene Bewertung des Falles vornimmt, sondern lediglich die Haltung der Eltern wiedergibt. An anderer Stelle kritisiert er, dass lediglich die abgebrochenen Hilfsmaßnahmen seitens der Eltern gut belegt seien. Wiederholt äußert er "Zweifel am methodischen Vorgehen". Doch im weiteren Verlauf der Prüfung wird der Ton des Prüfers immer fassungsloser. So empfiehlt er im Fall eines elfjährigen Jungen, "die Sachlage neu aufzurollen". Hinsichtlich eines sechsjährigen Mädchens, dessen Mutter trotz "krisenhafter Entwicklungen in der Familie" niemanden an sich heranlässt, teilt der Fallmanager dem Familiengericht mit, eine Aussage zur aktuellen Situation sei nicht möglich, da kein Kontakt zur Mutter zustande komme. Als "Krönung" in diesem Fall bezeichnet der Prüfer, dass ein Gerichtstermin wegen der Erkrankung der Mutter zwar verschoben werden musste, dabei aber völlig ungeklärt blieb, wo das Kind in dieser Zeit blieb.Die Vorlage für eine Wochenkonferenz, in der über das weitere Schicksal zweier Brüder beraten werden sollte, beurteilt der Prüfer als "oberflächlich". Wiederholt moniert der Fachmann, dass bestimmte Kinder nie in Augenschein genommen und der Fallmanager trotz Hinweisen zur Gefährdung des Kinderwohls keine Hausbesuche gemacht habe. Die Kritik gipfelt in der Feststellung: "Die vorgetragene Position (des Fallmanagers, Anm. der Redaktion) in einem Scheidungsverfahren hält der Unterzeichner für schlicht peinlich."

© Bremer Tageszeitungen AG



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