29.11.2006

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen
Broschüre zum Skandal der Kinderarmut

Von unserem Mitarbeiter
Ingo Hartel

BREMEN. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat gestern seine neue Broschüre "Der Skandal der Kinderarmut" vorgestellt. Wolfgang Luz, hauptamtlicher Vorstand, erinnerte daran, dass in Bremerhaven 40 und in der Stadt Bremen immerhin noch 30 Prozent der Kinder in Armut lebten und vom Sozialgeld abhängig seien.Dabei liege der Regelsatz pro Kind bei gerade 207 Euro im Monat. Dieser Betrag sei mit 60 Prozent schlicht abgeleitet vom Regelsatz für Erwachsene und berücksichtige in keiner Weise die besonderen Bedürfnisse oder auch nur das Wachstum von Kindern, die häufiger neue Kleidung oder Schuhe benötigten, so Luz. Kinder seien in diesem Fall keine kleinen Erwachsenen, bei denen nur das im Regelsatz eingeplante Geld für Alkohol und Zigaretten zu kürzen sei. So zu rechnen sei absurd.Der Paritätische Wohlfahrtsverband erhebt laut Luz die Forderung, den pauschalierten Regelsatz für Kinder nicht mehr abzuleiten, sondern einen eigenen zu errechnen. Auch soll es ermöglicht werden, Anträge für besondere Unterstützungen zu stellen.Vorstandsvorsitzender Gerd Wenzel ergänzte, dass Kinderarmut nicht allein auf die materiellen Aspekte begrenzt werden dürfe. Denn Armut bedeute auch Ausgrenzung von Bildung du Entwicklungschancen. Gerade für ein reiches Land wie Deutschland sei es nicht erträglich, dass Bildung abhängig vom materiellen Wohlstand sei. Um diesem belegten Missstand zu begegnen, fordere der Paritätische mehr Chancengleichheit im Bildungssystem und eine Ganztagsschule für alle Kinder bis zur neunten Klasse, sowie zusätzliche Förderungen im musischen und sportlichen Bereich. Auf den skeptischen Einwand, wie dies finanziert werden solle, entgegnete Wenzel: "Geldargumente sind Abwehrargumente. Es liegt nicht am Geld, sondern am politischen Willen." Bezahlt werden könnte die Ganztagsschule etwa durch Streichung aller familienbezogenen steuerlichen Leistungen. Er räumte jedoch ein, dass dies noch nicht genau berechnet worden sei.Am Rande des Pressegesprächs zur Kinderarmut teilte Luz ferner mit, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband seine Verbandsstruktur professionalisiert habe. So sei mit seiner Person ein hauptamtlicher Vorstand etabliert worden, der vom ehrenamtlichen Verwaltungsrat kontrolliert werde. Der Verwaltungsrat sei aber mehr als eine Kontrollinstanz und forme auch die sozialpolitische Ausrichtung des Verbandes.Ferner verwies Luz auf die wirtschaftliche Bedeutung des Paritätischen mit seinen 191 Mitgliedsorganisationen und insgesamt über 7500 hauptamtlichen und etwa 3000 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Hier werde auch Geld für Bremen erwirtschaftet. Ein entsprechendes Gutachten, das die Bedeutung der Sozialwirtschaft für Bremen belegen solle, sei bereits in Auftrag gegeben worden.

© Bremer Tageszeitungen AG



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