2.12.2006

Behinderte kritisieren Senat
Missbilligungsantrag gegen Sozialbehörde / "Warum wird gerade bei uns gekürzt?"

Von unserem Mitarbeiter
Thomas Andre

BREMEN. Emotional ging es gestern in der Bürgerschaft zu. Das Bremer Behindertenparlament tagte zum 14. Mal. Das Fazit der Behinderten nach leidenschaftlichen Diskussionen fällt ziemlich bescheiden aus. Ernst genommen fühlen sie sich nämlich nicht. Heftig ist deswegen ihre Kritik an Bremens Landespolitikern. Sie mündete in einem Missbilligungsantrag gegen die Sozialbehörde.So sei zu den Beschlussvorschlägen an den Senat aus dem vergangenen Jahr teilweise nicht einmal Stellung genommen worden. "Das ärgert uns", sagt Kassandra Ruhm. Die Präsidentin des Behindertenparlaments begrüßte gestern mehr als 150 behinderte Bremer im Plenum. Deren erste Amtshandlung sei die Bewertung der Arbeit der Politik gewesen. Dabei habe es in beinahe allen Fällen die "rote Karte" gegeben.Die sinnfällige Beurteilung der Reaktion auf die Eingaben der Behinderten wurde erstmals im Plenum vorgenommen. Wichtig war den Delegierten dabei noch nicht einmal die konkrete Umsetzung iher Vorschläge, sondern die Resonanz der Politiker. "Und die müssen auch für uns da sein", bekräftigt Ruhm, die zusammen mit dem Landesbehindertenbeauftragten Joachim Steinbrück, Dieter Stegmann (Landesarbeitsgruppe Selbsthilfe behinderter Menschen Bremen e.V.) und Horst Frehe (Interessensvertretung Selbstbestimmt Leben e.V.) grundsätzlich das Vorgehen von Parteien und Behörden in Frage stellt.Besonders in Harnisch bringt die Betroffenen die Haltung der Sozialbehörde in bezug auf die Kürzung öffentlicher Gelder im stationären Bereich. "Wenn dort schon gekürzt wird, wollen wir wenigstens mitbestimmen, wo dies geschieht", erklärt Ruhm. Ihr Vorschlag sei schroff abgebürstet worden.Wobei das Behindertenparlament sowieso gegen die weitere Kürzung von Eingliederungshilfen protestiert. "Es klann nicht sein, dass die Mehrwertsteuer um drei Prozent steigt, die Pflegesätze in der Behindertenhilfe aber um acht Prozent gekürzt werden", moniert Stegmann. Es stelle sich die Frage, warum gerade bei Menschen mit Behinderung so viel gekürzt werde.Grundsätzlich wollen die Behinderten, dass künftig mehr Geld in die ambulante Betreuung gesteckt wird. "Sie ist nicht teurer als die stationäre Betreuung in den Heimen", glaubt Landesbehindertenbeauftragter Steinbrück. Es sei unerlässlich für die selbstbestimmte Lebensführung behinderter Menschen, eine eigene Wohnung zu haben. "Das ganze System muss geändert werden."Die aktuellen behindertenpolitischen Forderungen beschäftigen sich besonders mit dem Thema "Barrierefreiheit" in öffentlichen Gebäuden. Unmissverständliche Forderung der Bremischen Bürgerschaft behinderter Menschen hierzu: Die Barrierefreiheit nach Landesbauordnung müsse endlich eingehalten werden. Insgesamt bewerten die Behinderten in Bremen das Jahr 2006 äußerst negativ. Sie stellten auch wegen der Kürzung der Härtefallregelung beim Sonderfahrdienst für behinderte Menschen einen Missbilligungsantrag gegen die Deputation für Frauen, Jugend, Soziales und Senioren.

© Bremer Tageszeitungen AG



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