20.11.2006

Erst Gesetz beschließen, danach wieder ändern?
Vorziehen des neues Wahlrechts bleibt in der Diskussion / Parlamentsjuristen zeigen Probleme auf

Von unserem Redakteur
Peter Voith

BREMEN. Während die Bürgerschaftsverwaltung über Wege grübelt, das neue Wahlrecht schon zur kommenden Wahl in Kraft zu setzen, wehren sich Bremerhavener Politiker von SPD und CDU gegen das neue Wahlrecht überhaupt.Grund: Sie befürchten, dass der Wegfall der Fünf-Prozent-Klausel zur Zersplitterung der Stadtverordnetenversammlung führen könne und radikale Parteien dadurch Auftrieb bekommen könnten. Die Wahlrechtsinitiative "Mehr Demokratie" hält diese Argumentation für "Panikmache". Sie verweist darauf, dass die Fünf-Prozent-Hürde inzwischen in elf von 16 Bundesländern abgeschafft sei: "Dies führt nicht zu Unregierbarkeit, sondern kann zu einer lebendigeren Demokratie führen." Wie berichtet, hatten sich CDU und SPD darauf geeinigt, den Gesetzentwurf zur Wahlrechtsreform - ihn hatten über 70 000 Bremerinnen und Bremer per Unterschrift gefordert - anzunehmen. In das Papier hatte die Initiative eine Frist von 15 Monaten hineingeschrieben, nach der die Reform erstmals angewendet werden soll - in der Annahme, der Volksentscheid findet parallel zur Bürgerschaftswahl im kommenden Mai statt. Doch nachdem nun die Koalition den Volksentscheid überflüssig machen will, mehren sich die Stimmen, das neue Wahlrecht bereits während der kommenden Bürgerschaftswahl und nicht erst 2011 anzuwenden. Die Wähler erhalten fünf Stimmen und haben so mehr Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments.Ob ein Vorziehen der Wahlrechtsänderung möglich ist? Mit dieser Frage betraute Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) den wissenschaftlichen Dienst in seinem Haus. Auf vier Seiten listen die Experten einige rechtliche Probleme auf. Denn die Bürgerschaft müsste das im Volksbegehren formulierte neue Wahlrecht (inklusive der 15-Monats-Frist) zunächst beschließen, um es kurz danach wiederum zu ändern. Die Fachleute: "Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen umgehenden Änderung kann in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht abschließend beantwortet werden." Aber es stelle sich die Frage, ob "der Gesetzgeber sich widersprüchlich verhalten hat". Weiteres Problem: die derzeit laufende Kandidatenaufstellung: "Dies geschieht im Vertrauen auf die Geltung des jetzigen Wahlrechts." Allerdings halten die Experten der Parlamentsverwaltung ein Vorziehen nicht für unmöglich. Ihr Schlusswort: "Wenn die Frage weiter verfolgt werden soll, erscheint es ratsam, mit dem Senator für Justiz und Verfassung und dem Senator für Inneres und Sport in eine vertiefte rechtliche Prüfung einzutreten."

© Bremer Tageszeitungen AG



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