1.11.2006

Kevins Wohl war nie Thema in den Akten
Sonderbeauftragter Ulrich Mäurer legt Dokumentation im Fall des zweijährigen Jungen aus Gröpelingen vor

Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler

 
 
Justizstaatsrat Ulrich Mäurer. Foto: Koch
   
BREMEN. Kevins Tod kam nicht überraschend. Seit seinem ersten Atemzug fürchteten Fachleute in Bremen um das Leben des Kleinkindes und begründeten ihre Sorgen gegenüber Kevins Fallmanager. Doch dieser blieb bei seiner Haltung, das Kind stets seinen Eltern zurückzugeben. Dies belegt eine Dokumentation, die gestern Staatsrat Ulrich Mäurer vorlegte.Journalisten aus der gesamten Bundesrepublik drängten sich im Rathaus um den Staatsrat, der von Bürgermeister Jens Böhrnsen beauftragt worden war, das "Tun und Unterlassen der Verantwortlichen" aus den vorliegenden Akten zu dokumentieren.

Auf die zentrale Frage, warum Kevins Fallmanager den Jungen trotz diverser Hinweise nicht aus der Familie nahm, musste Mäurer passen. "Die Frage ist Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen. Sie lässt sich bislang nicht beantworten."Gleich zu Beginn wartete Mäurer mit einer Neuigkeit auf: Demnach habe ein aktueller DNA-Test ergeben, dass Bernd Kk., der gegenüber der Behörde als Vater des Jungen auftrat, nicht Kevins leiblicher Vater ist. Ob Bernd Kk. diese Tatsache zu Kevins Lebzeiten bekannt war, ist offen. Der Mann sitzt in Untersuchungshaft und schweigt.

Die Dokumentation belegt akribisch, dass Kevins Leidensweg an den entscheidenden Stellen von Anfang an bekannt war.Am 23. Januar 2004 kommt Kevin zu früh und mit Entzugserscheinungen zur Welt. 47 Tage wird das Kind im Klinikum Nord aufgepäppelt. Die Ärzte äußern große Bedenken, das Kind seinen drogensüchtigen Eltern zu überlassen. Die "Ausnahme-Entscheidung" sei nur zu verantworten, wenn die Familie sehr eng betreut würde.

Die zuständige Familienhebamme hält die Eltern Sandra und Bernd Kk. dagegen nicht für geeignet, das Kind zu versorgen. Doch der Arzt, bei dem Bernd Kk. substituiert wird, und Bernd Kk.’s Anwalt unterstützen den Wunsch der Eltern, das Kind zu behalten.Am 9. März 2004 wird Kevin nach Hause entlassen. Statt einer engen Kontrolle passiert monatelang nichts. Selbst dann nicht, als Zeugen im Sommer die Polizei alarmieren, weil Sandra K. das Baby im volltrunkenen Zustand auf der Straße misshandelt haben soll.

Ende September kommt Kevin mit Verdacht auf Kindesmisshandlung in die Professor-Hess-Kinderklinik. Mäurer: "Die Akten belegen, dass Kevin zu diesem Zeitpunkt in einem erbärmlichen Zustand war." Doch erst nach einem erneuten Polizeieinsatz veranlasst der Sozialarbeiter im Dezember 2004 eine Betreuung durch Mitarbeiter der Hans-Wendt-Stiftung.Viele weitere Angebote, wie Familienhilfe, Tagesmutter oder Spielkreis folgen. "Aber die Eltern haben alle Maßnahmen stets wieder abgebrochen."

Und: "Der Fallmanager hat keine Konsequenz aus dem Verhalten der Eltern gezogen, sondern ihnen nur das nächste Angebot unterbreitet." Dies belege aber zugleich, dass es keinen Zusammenhang zwischen Kevins Tod und den Sparzwängen im Ressort gebe. Denn: "Alle Hilfsmaßnahmen wurden bewilligt." Offenbar konnten weder die erneuten Appelle der Familienhebamme noch die besorgten Nachfragen einer Familienrichterin oder die Warnungen von Kevins Kinderarzt den Fallmanager beeindrucken. Mäurer: "Der Maßstab aller Dinge waren die Wünsche der Eltern.

In der Akte ging es nie um Kevins Wohl." Eine besondere Rolle habe der Arzt, der Bernd Kk. substituierte, gespielt. Trotz des hohen Drogen-Beigebrauchs seines Patienten habe sich dieser wiederholt und erfolgreich dafür eingesetzt, das Kind den Eltern zu überlassen. Mäurer: "Warum sich das Amt überhaupt auf diesen Arzt stützt, kann ich nicht erklären." Siehe auch die Chronologie des Falles auf der übernächsten Seite

© Bremer Tageszeitungen AG



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