25.10.2006

Mediziner: Rechte der Kinder höher bewerten
Laut Professor Hans-Iko Huppertz haben manche Kinderärzte den Glauben an das Gute verloren

Von unserer Redakteurin
Rose Gerdts-Schiffler

BREMEN. Mit klaren Worten hat sich der Chefarzt der Prof.-Hess-Kinderklinik in Bremen, Prof. Hans-Iko Huppertz zum Thema Kindesmisshandlung zu Wort gemeldet. "Das Elternrecht wird in Deutschland höher eingeschätzt als das des Kindes. Ich kenne Kinderärzte, die haben inzwischen den Glauben an das Gute verloren."         Ausdrücklich bezog sich Huppertz mit seiner Kritik auf den in vielen deutschen Städten vorherrschenden Umgang mit misshandelten Kindern. "Wenn nicht klar ist, wer das Kind zu Hause verletzt hat, dann geht das Kind nach seiner Genesung in der Klinik in der Regel wieder zurück in die Familie." Nötig seien Jugendämter, die selbstbewusster aufträten und den Mut hätten, gegen den Elternwillen zu entscheiden. "Dazu braucht unsere Gesellschaft aber auch Familienrichter, die die Entscheidungen der Ämter unterstützen." Etwa einmal im Monat würden Kinder mit Schädel- oder Knochenbrüchen, Verbrennungen oder Hämatomen in die Klinik eingeliefert, bei denen die Ärzte misstrauisch würden. "Wenn wir nur einen sehr vagen Verdacht haben, setzen wir uns mit dem Kinderarzt des kleinen Patienten in Verbindung und suchen vor allem das Gespräch mit den Eltern", betonte Huppertz. Bei sicheren Befunden würde immer das Jugendamt eingeschaltet. Manchmal sei eine aufwändige "Rekonstruktion" der Familie mit Hilfe eines Sozialarbeiters, der über einen bestimmten Zeitraum fünf Tage die Woche sechs Stunden vor Ort sei, nötig und auch erfolgreich.Huppertz bedauerte, dass es keine Rückmeldung des Jugendamtes an die Klinik über das weitere Schicksal des kleinen Patienten gebe. Nicht alle Auswüchse seien mit mehr Geld und Sozialarbeitern zu lösen. "Die Gesellschaft muss kinderfreundlicher werden", sagte der Mediziner entschieden. "Die beste Hilfe für überforderte Eltern ist die Unterstützung von Nachbarn, Freunden und Angehörigen." "Die allerwenigsten Mütter und Väter, die ihre Kinder misshandelt haben, sind bösartig", ist auch Professor Hansjörg Bachmann, Leiter der Kinderklinik Links der Weser, überzeugt. Pflegepersonal und Ärzte würden gezielt das Gespräch mit den betroffenen Eltern suchen, Hilfen anbieten, aber gebenenfalls auch Familiengericht und Jugendamt einschalten. Viele Fälle von Kindesmisshandlung blieben allerdings unentdeckt, so Bachmann. Ein Schädelbruch könne schließlich davon herrühren, dass ein Säugling vom Wickeltisch gefallen oder dass er misshandelt worden sei.Die Staatsanwaltschaft erklärte unterdessen auf Nachfrage, dass die Polizeiakte über die unklaren Todesumstände der im November 2005 verstorbenen Mutter des kleinen Kevin im Juni 2006 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen sei. Anfang September 2006 sei ein Gutachten in Auftrag gegeben worden, das ihren Tod aufklären soll. Sandra K. war an einem Milzriss gestorben. Mögliche Ursache: Schläge oder ein Sturz. "Da am Körper der Frau keine äußeren Gewalteinwirkungen festzustellen waren, ihr Mann Bernd K. an dem Abend zudem den Notarzt gerufen hatte und Sandra K. bereits im November 2004 volltrunken im Treppenhaus ihres Hauses gestürzt sei, habe das Gutachten nicht oberste Priorität gehabt.

© Bremer Tageszeitungen AG



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