19.10.2006

"Warum treten Sie nicht auch zurück, Jens Böhrnsen?"
Aufgewühlt und entsetzt: Wie sich der Bremer Bürgermeister in einer TV-Debatte über den Fall des toten Kevin schlug

Von unserem Redakteur
Jürgen Hinrichs

BREMEN. Nervös war er schon. Das konnte man sehen, als die Sendung begann und Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen nicht so recht wusste, wohin mit seinen Händen. Er saß direkt neben Sandra Maischberger, gespannt auf ihre Fragen, die bei dem SPD-Mann alle auf das Schicksal des toten Kevin zielen würden. Wie konnte das passieren? Ein Kind, zwei Jahre alt, das beweisbar von seinem Vater misshandelt wurde, unter der Aufsicht von Behörden sozusagen, und Böhrnsen wusste von dem Fall."Ich habe mir nicht vorstellen können, dass der Bürgermeister sich kümmert und trotzdem nichts passiert", sagte der Regierungschef. Seine Behörden hätten sich mit dem Fall befasst, nicht aber mit dem Kind. "Blankes Entsetzen" löse das bei ihm aus. Vater Staat sei mit der Übertragung der Vormundschaft für Kevin tatsächlich mal Vater geworden und habe prompt kläglich versagt. "Das wühlt uns alle auf", sagte der Bürgermeister.Sandra Maischberger wollte wissen, warum nicht auch er von seinem Amt zurücktrete, so nahe wie er an dem Fall dran gewesen sei. Die Sozialsenatorin Karin Röpke habe es ihm vorgemacht. Drei Mal stellte sie Jens Böhrnsen diese Frage. Drei Mal gab er keine klare Antwort, bis die Talkmasterin schließlich aufgab.Heiner Geißler war es mal wieder, der alte Recke vom Sozialflügel der CDU, der den großen Zusammenhang bemühte. Er sieht den Fall Kevin als Beispiel für eine "Ökonomisierung der Gesellschaft". Ein Kind, das möglicherweise deswegen sterben musste, weil Aufsicht und Betreuung auch aus finanziellen Gründen nicht optimal sein konnten. "Das ist ein Sparen am Menschen", schimpfte Geißler.Jens Böhrnsen hat dem nicht widersprochen. "Wir müssen ein engmaschiges Netz der Sorge um die Kinder legen", nimmt der Bürgermeister sich für die Zukunft vor. Wie dieses Netz genau aussehen soll, konnte er nicht sagen, stattdessen zum Schluss der Sendung ein offenes Bekenntnis: "24 000 Kinder in Bremen leben unter der Armutsgrenze - das ist eine Zahl, die man eigentlich gar nicht aushalten kann."

© Bremer Tageszeitungen AG



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